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Chance für Assad

Riesenaufgaben vor dem alten und neugewählten Präsidenten. G-7-Staaten besorgt wegen der Rückkehr eigener »Gotteskrieger« in die Heimatländer

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Das Ergebnis der syrischen Präsidentschaftswahlen vom Dienstag wird im Lande differenziert betrachtet. Bewaffnete Gruppen waren offenbar schon vorher uneinig, wie sie sich zu der Abstimmung verhalten sollten. Das erklärte ein Gesprächspartner, der gut über die Kampfverbände informiert ist, namentlich aber nicht genannt werden möchte, gegenüber jW. Kämpfer der »Freien Syrischen Armee« hätten gesagt, daß sie das Recht der Syrer zu wählen respektieren wollten. Die Nusra- und die Islamische Front hätten Anschläge angekündigt. Manche Gruppen hingegen seien so isoliert, daß sie nicht einmal gewußt hätten, daß ein neuer Präsident in Syrien gewählt werden sollte. Die Beteiligung der Syrer an den Wahlen müsse in einem »größeren Zusammenhang« gesehen werden, so der Insider. Offenbar traue man Assad zu, Syrien vor dem Auseinanderbrechen zu bewahren, dabei werde er von der Armee unterstützt. Die Regierung habe klug taktiert und den Kampfverbänden freies Geleit zugesagt, wenn sie ihren Kampf einstellten. So seien viele lokale Waffenstillstände ermöglicht worden. Angesichts der religiös-fanatisch auftretenden Kämpfer der Nusra-Front und des »Islamischen Staat im Irak und in der Levante« werde Assad »als Modernisierer und Verteidiger des Säkularismus wahrgenommen«.

George Jabbour, Vorsitzender der Syrischen Gesellschaft der Vereinten Nationen, bezeichnete die Wahlen als deutliches Signal, daß man Assad »die Führung aus der Krise« zutraue. »Wenn wir ein Land von Soldaten sind, soll er offensichtlich der erste dieser Soldaten sein«, so Jabbour. Die Zustimmung zu Assad habe in den letzten drei Jahren zwischen 30 und 70 Prozent gelegen. Nun werde sich zeigen, was dieser mit dem »neuen Vertrauen in seine Führung« anfange. Das wichtigste sei die Frage einer neuen Verfassung und ob Assad tatsächlich weitere sieben Jahre im Amt bleiben werde, sagte Jabbour, der sich als »außerhalb der »politischen Entscheidungsgremien stehende Person« bezeichnete. Als Präsident habe Assad die Möglichkeit, eine Diskus­sion über die Dauer der Amtszeit eines Präsidenten anzustoßen. Die Fragen der »Gefangenen und der Entführten müssen geklärt werden«, so Jabbour. Syrien brauche eine neue Rechtsprechung, die Rückkehr von Millionen Flüchtlingen müsse garantiert werden. Die wirtschaftliche Krise sei eine besondere Herausforderung. Die Weltbank habe bereits Hilfe zugesagt, doch unter welchen Bedingungen könne das geschehen?

Beim G-7-Gipfel in Brüssel wurden die syrischen Präsidentschaftswahlen von Spitzenpolitikern unisono als »Farce« verurteilt. Allerdings ging es bei dem Treffen nicht um eine politische Lösung für Syrien, sondern um die Frage, wie Europa sich vor europäischen Kämpfern, die aus Syrien in ihre Heimat zurückkehren, schützen könne. Aus England sollen 850, aus Frankreich 700 und aus Deutschland 320 Kämpfer in Syrien sein. Auslöser der Debatte war die Ermordung von vier Personen im Jüdischen Museum in Brüssel Ende Mai, die von einem ehemaligen Syrien-Kämpfer verübt worden war. Mehdi Nemmouche, ein Franzose algerischer Herkunft, war 2012 von Frankreich über Libanon in die Türkei geflogen und von dort über die Grenze nach Syrien geschleust worden. Dort hatte Nemmouche ein Jahr in den Reihen des »Islamischen Staat im Irak und in der Levante« (ISIL) gekämpft, bevor er nach Frankreich zurückkehrte. Die libanesische Tageszeitung As Safir berichtete, daß nach Erkenntnissen französischer Geheimdienste 3000 Europäer allein in den Reihen von ISIL kämpfen. Etliche von ihnen konnten demnach unter dem Vorwand humanitärer Hilfe über islamische Hilfsorganisationen nach Syrien gelangen. Die Grenzübergänge Bab Al-Hawa und Bab Al-Salam zur Türkei seien dafür die wichtigsten Passagen.

Die kontinuierliche Zunahme europäischer Gotteskrieger in Syrien und deren Rückkehr hatte europäische Geheimdienste bereits Anfang 2013 zur Kontaktaufnahme mit ihren syrischen Kollegen veranlaßt. Kürzlich wollte auch Washington – auf Umwegen – von Damaskus mehr über US-Bürger erfahren, die in Syrien kämpften. Sowohl Assad-Beraterin Bouthaina Schaaban als auch Außenminister Walid Mouallem bestätigten die Anfragen kürzlich bei Fernsehinterviews. Damaskus sei im Rahmen geregelter politischer Beziehungen zur Zusammenarbeit bereit, sagten beide. Die Staaten sollten ihre Botschaften in Damaskus wieder öffnen, dann könne man weitere Informationen über die europäischen Gotteskrieger in Syrien zur Verfügung stellen.

* Aus: junge Welt, Samstag, 7. Juni 2014


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