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"Israel unterstützt Terrorgruppen"

Syriens Präsident Assad wirft in US-Magazin Westen vor, Al-Qaida und IS zu befördern

Von Karin Leukefeld *

Das US-amerikanische Magazin Foreign Affairs hat in seiner aktuellen Ausgabe vom 26. Januar 2015 ein ausführliches Interview mit dem syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad über den Krieg gegen sein Land geführt. Die Kämpfe gehen in diesem Frühling in das fünfte Jahr. Die USA und der Westen müssten aufhören, einen »Schutzschirm« über die Kampfverbände zu halten, indem sie diese als »moderate Opposition« unterstützten. »Sie wissen, dass wir hier vor allem Al-Qaida, ISIS und die Nusra-Front haben«, so Assad. Den USA und der westlichen Welt wirft der syrische Staatschef vor, Einfluss in der Region ausüben zu wollen, ohne zur Kooperation mit den Staaten bereit zu sein und deren Souveränität anzuerkennen. Das unterscheide den Westen vom Iran.

Einen militärischen Sieg werde es in Syrien nicht geben, räumte Assad ein. »Alle Kriege in der Welt wurden mit einer politischen Lösung beendet.« Anders, als es in Medien oft dargestellt werde, sei Syrien nicht in »Mini-Staaten« aufgeteilt, die Syrer wollten die Einheit des Landes. Die könne nur eine Regierung herbeiführen und darum habe seine Regierung heute mehr Unterstützung als zuvor. In Syrien gehe es nicht um einen »konfessionellen oder ethnischen Streit«, es gehe um verschiedene Fraktionen, die Gebiete militärisch kontrollieren wollten.

Seine Regierung sei von Anfang an zum Dialog bereit gewesen, so Assad. Es gehe um die Interessen der Syrer, »nicht um die einer Opposition oder der Regierung«. Letztendlich müsse jede Lösung, auf die man sich einigen könne, durch ein Referendum bestätigt werden. »Wenn es darum geht, die Verfassung oder das politische System zu verändern, muss man sich an das syrische Volk wenden.« Die syrische Regierung sei bereit, sich mit jedem von der Opposition zu treffen, »aber wir müssen jeden fragen, für wen er spricht«. Er unterstütze den Plan des UN-Sondervermittlers für Syrien, Staffan de Mistura, der für die Stadt Aleppo einen Waffenstillstand erreichen und den Konflikt »einfrieren« will. Allerdings habe die syrische Regierung das, was de Mistura vorgeschlagen habe, schon längst an vielen anderen Orten Syriens verwirklicht. »Wir haben das in Homs gemacht, einer großen Stadt. Wir haben es in kleineren Orten, Vororten und Dörfern umgesetzt und waren erfolgreich.«

Um eine Lösung zwischen den verschiedenen Gruppen in Syrien zu erreichen, müsse die Regierung »direkt mit den Rebellen« sprechen. Davon gebe es zwei Richtungen, so Assad: »Die Mehrheit gehört zu Al-Qaida, ich meine ISIS und Al-Nusra und ein paar andere ähnliche Gruppen, die aber kleiner sind. Was übrig bleibt sind die, die Obama als (…) ›moderate Opposition‹ bezeichnet. Aber sie gehören nicht zur Opposition, sie sind Rebellen. Und die meisten von ihnen haben sich Al-Qaida angeschlossen. Erst kürzlich haben viele diese Gruppen verlassen und sind zur Armee zurückgekehrt.« Die ehemaligen Deserteure hätten erklärt, »wir wollen nicht mehr kämpfen«, also blieben nur wenige von den sogenannten Moderaten übrig.

Assad forderte die Umsetzung der UN-Sicherheitsratsresolution 2170 (August 2014), in der die Nusra-Front und der »Islamische Staat« (IS, früher ISIS) als »terroristische Organisationen« gelistet worden waren. Eindeutig heiße es da, dass »jede militärische, finanzielle oder logistische Hilfe für diese Gruppen« unterbunden werden müsse. »Aber die Türkei, Saudi Arabien und Katar tun genau das weiterhin«, so Assad. Dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan warf er vor, »persönlich für das Geschehen in Syrien verantwortlich« zu sein. Der Staatschef des Nachbarlandes sei »fanatisch« und hänge »der Ideologie der Muslimbruderschaft an, die die Basis für Al-Qaida ist«. Die Bruderschaft habe den gewaltsamen politischen Islam seit ihrer Gründung Anfang des 20. Jahrhunderts propagiert und den Säkularismus angegriffen. Der Westen habe einen Fehler gemacht, diese Gruppe in Tunesien, Ägypten und Libyen zu unterstützen. Statt dessen sollten sie »Frieden in der Region und wirtschaftliche Entwicklung fördern«, so Assad. Der Westen müsse den »Säkularismus, Bildung und Modernisierung in den Gesellschaften« unterstützen.

Kritisch äußerte sich der syrische Präsident auch zur Rolle Israels, das »die Rebellen in Syrien unterstützt«. Jedesmal, wenn die syrische Armee Fortschritte erzielt habe, habe Israel zu deren Schwächung angegriffen. In Syrien machten die Leute schon Witze darüber und sagten: »Wie könnt Ihr sagen, Al-Qaida hat keine Luftwaffe? Sie haben die israelische Luftwaffe.«

* Aus: junge Welt, 28. Januar 2015

Siehe auch das Interview mit Assad in SANA (Syrian Arab News Agency; 27.01.2015): "Israel is supporting terrorist organizations in Syria": sana.sy/en [vollständiger Text (englisch); externer Link]


Ankaras Traum

Türkei will »neuen Mittleren Osten« **

Auf einem Kongress der Regierungspartei AKP in Diyarbakir versprach der türkische Ministerpräsident Ahmed Davutoglu am Sonntag eine »friedliche Lösung für die kurdische Frage«. Seine Regierung strebe einen »neuen Mittleren Osten« an, der »Heimat für Türken, Kurden und Araber« sein solle. »Gegen die Tyrannen in Syrien wollen wir einen neuen Mittleren Osten, den Türken, Kurden und Araber überall zusammen aufbauen sollen«, wird der Regierungschef in der englischen Ausgabe der Tageszeitung Hürriyet zitiert. »Die tapferen Türken, Kurden und Zaza werden überall zusammen leben und diese Bruderschaft wird ewig währen«, so Davutoglu. Die Türkei werde den Islam vertreten, symbolisiert durch den Halbmond auf der türkischen Fahne. Zaza ist eine Bezeichnung für Kurden in der Türkei, die die Zazaki-Sprache sprechen, die dem Gorani ähnelt, das von Kurden im Iran und auch im Nordirak gesprochen wird. Der Frieden in der Region sei in der Geschichte durch innere und äußere Feinde immer wieder torpediert worden, so Davutoglu. Er und Präsident Recep Tayyip Erdogan arbeiteten daran, dass das nicht so bleibe.

Um die Türkei und den angestrebten »neuen Mittleren Osten« der AKP-Regierung noch besser schützen zu können, hat nun auch der NATO-Partner Spanien eine »Patriot«-Raketenabwehrbatterie in den Südosten des Landes an die Grenze zu Syrien geschickt. Die Raketen wurden am 26. Januar auf dem Gelände der Recai-Engin-Kaserne in Adana stationiert, erklärte der leitende Kommandeur Luis Burgos Sanchez. Fünf Abschussrampen mit je vier Raketen seien schon einsatzbereit. Die Raketen haben eine Reichweite von 70 Kilometern. Er und sein Team würden eng mit den türkischen Streitkräften zusammenarbeiten.

Spanien löst die Niederländer ab, die seit Anfang 2013 mit Deutschland und den USA den »Patriot«-Raketenabwehrschirm an der Grenze zu Syrien bilden. Die Türkei zu unterstützen sei normal, so der spanische Verteidigungsminister Pedro Morenés. »Wir unterstützen auch einen Sicherheitskorridor, den die Türkei mit anderen NATO-Alliierten in dieser Region einrichten will.« Die Führung in Ankara will im Grenzgebiet mit Syrien – auch auf syrischem Territorium – eine Flugverbotszone durchsetzen. Seit Ende 2011 rollen – unter Kontrolle des türkischen Geheimdienstes MIT – über Adana Waffentransporte für die Aufständischen in Syrien. (kl)

** Aus: junge Welt, 28. Januar 2015


Sondierung in Moskau

Politische Gespräche und Kampf gegen Terroristen: Auf Initiative von Russland und Ägypten treffen sich Vertreter der syrischen Opposition und der Regierung

Von Karin Leukefeld ***


Hinter verschlossenen Türen haben am Montag in einem Hotel in Moskau Gespräche von syrischen Oppositionellen begonnen. Nach Auskunft des russischen Außenministeriums waren 28 der insgesamt 35 eingeladenen Gäste eingetroffen und noch am gleichen Tag zu einem ersten Treffen zusammengekommen. Am Dienstag wurden die Diskussionen fortgesetzt, Presse ist nicht zugelassen. Bei der Begegnung, die als »Moskau Forum« bezeichnet wird, geht es um Austausch und Beratungen, nicht um Verhandlungen.

Am heutigen Mittwoch soll das Forum mit einem Treffen zwischen Opposition und einer sechsköpfigen Delegation der syrischen Regierung fortgesetzt werden. Letztere wird vom Botschafter Syriens bei den Vereinten Nationen, Baschar Al-Dschafari, geleitet. Moderiert werden die Gespräche vom stellvertretenden russischen Außenminister Michail Bogdanow, der auch Sonderbeauftragter des Präsidenten für den Mittleren Osten und Afrika ist. Sollten die Gespräche konstruktiv verlaufen, wird auch der russische Außenminister Sergej Lawrow daran teilnehmen. Das Büro des UN-Sondervermittlers für Syrien, Staffan de Mistura, hat einen Beobachter zu den Gesprächen entsandt.

Ziel der zweitägigen Beratungen unter den Oppositionellen war, sich über Differenzen und Gemeinsamkeiten auszutauschen, um in dem Gespräch mit den Regierungsvertretern mit einer gemeinsamen Position auftreten zu können. Lawrow sagte am Montag, dass dieses Treffen den Weg für weitere Gespräche zwischen allen Fraktionen des Konflikts in Syrien öffnen solle. Wichtig sei vor allem, dass Vertreter der Opposition direkt mit der syrischen Regierung ins Gespräch kämen. Alle, die zu dem Moskauer Treffen gekommen seien, stimmten darin überein, dass eine politische Lösung für Syrien gefunden und terroristische Gruppen dort bekämpft werden müssten. Alle Beteiligten sind sich einig, dass die Gespräche an die Genfer Vereinbarung (30. Juni 2012) anknüpfen und unter dem Dach der Vereinten Nationen fortgesetzt werden sollen.

Das jetzige Treffen ist auf eine gemeinsame Initiative von Russland und Ägypten zustandegekommen. Die russische Regierung hatte seitens der Opposition keine Parteien oder Gruppierungen, sondern Einzelpersonen eingeladen. So wurden beispielsweise neun Personen der »Nationalen Koalition« (Etilaf) eingeladen, deren neuer Präsident Kaled Koja dem Treffen in Moskau allerdings zuvor eine klare Absage erteilt hatte. An einem Vorbereitungstreffen der Opposition, das am vergangenen Wochenende in Kairo stattgefunden hatte, haben allerdings fünf Mitglieder der »Koalition« teilgenommen, darunter die ehemaligen Präsidenten Ahmed Dscharba und Hadi Al-Bahra. Beide gelten als »Männer Saudi-Arabiens« in dem Oppositionsbündnis. Ihre Teilnahme an dem Kairo-Treffen wird dahingehend gewertet, dass die Russland-Ägypten-Initiative des »Moskau Forums« auch von der Regierung in Riad unterstützt wird, die wiederum hinter der ägyptischen steht. Der Grund dafür dürfte die übereinstimmende Ablehnung der Muslimbruderschaft und der hinter dieser stehenden Staaten Türkei und Katar sein. Diese Entwicklung deutet an, dass die bisherigen regionalen Allianzen im Syrien-Krieg aufbrechen.

Die US-Administration äußerte sich positiv zu dem Treffen in Moskau. Die New York Times hatte kürzlich berichtet, dass die US-Administration offenbar eine neue Sprachregelung in Bezug auf Staatschef Baschar Al-Assad ausgegeben hat. Demnach sei der »Westen leise von seinen Forderungen nach einem sofortigen Rücktritt des syrischen Präsidenten abgerückt«. Die Forderung nach dessen Abgang war 2011 von westlichen Staaten erhoben und vom Zusammenschluss der »Freunde Syriens« sowie der von diesen legitimierte Auslandsopposition zur Voraussetzung für jede politische Lösung in Syrien gemacht worden.

In einem Interview mit dem US-Magazin Foreign Affairs sagte Präsident Assad, seine Regierung blicke mit Hoffnung auf das Treffen in Moskau. Was die Haltung der US-Administration betreffe, herrsche in Syrien Misstrauen, so Assad. »Sie reden immer, aber die Frage ist doch, was sie tun werden.«

*** Aus: junge Welt, 28. Januar 2015


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