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Bomben, Uran, ein Heckenschütze

Internationale Atomenergiebehörde findet Spuren angereicherten Urans in Syrien. Bewerten will sie das vorläufig nicht

Von Jürgen Cain Külbel *

In der syrischen Militäranlage Al-Kibar sind Spuren von künstlich angereichertem Uran entdeckt worden. Das teilte Mohamed ElBaradei, Generalsekretär der Internationalen Atomenergiebehörde IAEO, am Montag auf einer Wirtschaftskonferenz in Dubai mit. Der Ursprung des Urans, so ElBaradei, bleibe vorerst ungeklärt, und ein Untersuchungsbericht, den die UN-Behörde im Laufe der Woche veröffentlichen wolle, werde keine abschließende Bewertung enthalten. Daß das Uran gefunden wurde, heiße nicht, daß dort ein Reaktor stand. Über den Zeitpunkt des Fundes hüllte sich ElBaradei in Schweigen; noch im Oktober hatte er öffentlich verkündet, es gäbe in der Anlage keinerlei Anzeichen von Radioaktivität.

Al-Kibar war am 6. September 2007 von Israels Luftwaffe in einer spektakulären Nacht- und Nebelaktion bombardiert worden. Westliche Medien heizten danach das Gerücht an, der Angriff habe einer »geheimen Atomanlage« gegolten. Im April 2008 lieferte die CIA dann auch »belastendes Material«: Nordkorea habe Syrien beim Bau eines Reaktors geholfen, in dem Plutonium für Atomwaffen hätte hergestellt werden können. Syriens Präsident Bashar Assad dementierte umgehend.

Anfang vergangener Woche steckte dann ein »anonymer Diplomat« der Nachrichtenagentur Reuters, daß »die Menge (Uran) zwar sehr gering gewesen sei, die IAEO aber trotzdem glaube, daß Syrien nun einige Fragen zu beantworten habe«. IAEO-Sprecherin Melissa Fleming konterte einen Tag später: »Unsere Einschätzung und Bewertung der Fakten ist noch nicht abgeschlossen. Wir bedauern, daß Leute versuchen, die technischen Untersuchungen der IAEO im vorhinein zu beurteilen.« Syriens Außenminister Walid Moallem erklärte dazu im Spiegel: »Wir erlaubten den Inspekteuren der IAEO, die Anlage zu besichtigen. Sie waren (im Juni 2008) drei Tage dort, nahmen Proben und analysierten die. Sie fanden keine Materialien, die zum Bau eines Reaktor notwendig sind.« Auf einer Pressekonferenz ergänzte er: »Woher sollen denn die Spuren Uran stammen, wenn die Anlage noch im Bau war, wie die USA (und Israel) behaupteten?« Er fügte hinzu: »Keiner hat bisher gefragt, welche israelischen Bomben die Anlage getroffen haben und was sie enthielten.« Die USA und Israel hätten auch im Irak und in Afghanistan Bomben abgeworfen, die abgereichertes Uran enthielten. Die Berichte über den Spurenfund, so der Außenminister, seien lückenhaft. Das sei ein Signal, daß durch die Meldungen lediglich Druck auf Syrien ausgeübt werden solle.

Im Kontext des Uranfundes behandeln internationale Medien auch ein brisantes Verbrechen: Am 2. August 2008 hatte ein Scharfschütze in der syrischen Hafenstadt Tartous den Berater des syrischen Präsidenten, Brigadegeneral Muhammad Suleiman, hingerichtet. Der Mörder schoß von einer Yacht auf den am Strand sonnenbadenden Militär. Suleiman, 49, hatte eine wichtige Rolle bei den Inspektionen der IAEO in der bombardierten Anlage gespielt. Er assistierte im Juni 2008 dem stellvertretenden Direktor, Olli Heinonen, der mit seinen UN-Mannen vor Ort ermittelte.

Israelische Medien fütterten die in- und ausländische Bürgerpresse – die Exekution des Militärs betreffend - mit abenteuerlichen Geschichten: Suleiman sei in das syrische Nuklearprogramm involviert gewesen (Debka.com); er war »zuständig für den Transport syrischer und iranischer Waffen an die Hisbollah« (Haaretz); Assad habe die Eliminierung angeordnet, um Zeugen auszuschalten, die im Mordfall Rafik Hariri vor dem Internationalen Gericht gegen ihn aussagen könnten (Ysrael News).

In Libanon war eine andere Version zu hören. Ali Jarrah, vor wenigen Tagen festgenommener Chef einer seit 1982 in dem Land aktiven Spionagezelle des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad, gestand am Wochenende, er habe für die Israelis nicht nur den Distrikt Kfar Soussa in Damaskus, wo im Februar Hisbollah-Militärchef Imad Mughniyeh getötet worden war, observiert, sondern auch »bestimmte Punkte in Tartous«. Eben dort, wo Suleiman erschossen wurde! »Ich hatte keine Ahnung von den Zielen, die der israelische Geheimdienst in Kfar Sousa oder Tartous treffen wollte«, gab der Agent laut den Beiruter Tageszeitungen The Daily Star und An Nahar zu Protokoll.

* Aus: junge Welt, 19. November 2008


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