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Streit im Sicherheitsrat

Großbritannien und USA rufen zu »grundlegender Aktion« in Syrien. Rußland und China warnen vor Ausweitung des Konflikts durch Parteinahme für Aufständische

Von Karin Leukefeld *

Der UN-Sicherheitsrat hat sich am Montag (12. März) mit den »dramatischen Veränderungen, die den Mittleren Osten und Nordafrika überschwemmen«, so der Titel der Veranstaltung, befaßt. Die »Welle der Demokratiebewegungen« habe vor einem Jahr begonnen und wirke sich nachhaltig auf die Region und die Welt aus. »Der Arabische Frühling (sei) das bedeutendste Ereignis« des frühen 21. Jahrhunderts«, stellte der britische Außenminister William Hague fest. Großbritannien, das im März den Vorsitz im Weltsicherheitsrat hält, hatte die Sitzung vorbereitet.

Aktuell: Assad setzt Parlamentswahlen an

Inmitten der anhaltenden Gewalt in Syrien hat Staatschef Baschar Al-Assad Parlamentswahlen für den 7. Mai angesetzt. Das meldete die amtliche Nachrichtenagentur SANA am Dienstag (13. März). Die Führung, die sich seit einem Jahr heftigen Protesten und bewaffneten Aufständischen gegenüber sieht, hatte bereits im Herbst vergangenen Jahres »freie und transparente« Wahlen versprochen.
Der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan sagte in Ankara nach einem Treffen mit der syrischen Opposition, er erwarte noch am selben Tag eine Antwort auf seine Lösungsvorschläge. »Das Töten und die Gewalt müssen enden.« Der Chef des Syrischen Nationalrats, Burhan Ghaliun, sagte, die Opposition hoffe noch immer auf eine »politische und diplomatische Lösung«. Sollte diese nicht gelingen, werde man das Angebot von Waffenlieferungen aus anderen Ländern annehmen. Zu den angesetzten Parlamentswahlen äußerte er sich nicht. (AFP/jW, 14.03.2012)



»Internationaler Frieden und Sicherheit« seien zutiefst betroffen, so Hague weiter. Die Volksaufstände hätten langgediente Regime in Tunesien, Ägypten, Libyen und Jemen gestürzt. »Seit dem Ende des kalten Krieges« habe es keine »größere Aussicht auf die Ausweitung der menschlichen Freiheit« gegeben. »In 20 Jahren könne der Mittlere Osten aus offenen, wohlhabenden und stabilen Gesellschaften bestehen«, so Hague, der zwei Gründe für die Einberufung des Treffens nannte. Erstens wolle Großbritannien zu stärkeren internationalen Bemühungen aufrufen, um politische und wirtschaftliche Freiheiten im Mittleren Osten zu unterstützen, natürlich unter Achtung der Souveränität der arabischen Nationen. Dafür müsse Ägypten, Tunesien, Jemen und Libyen überlegt Hilfe geleistet werden, damit der Übergang gelänge. Als zweiten Grund nannte Hague das eigentliche Anliegen des Sondertreffens: Syrien. Großbritannien rufe »erneut zu einer dringenden, grundlegenden Aktion des Sicherheitsrates auf«, so Hague, »um das Blutvergießen in Syrien zu stoppen«.

Dem britischen Außenminister folgte seine US-Amtskollegin Hillary Clinton, die erneut Rußland und China für deren Veto bei der Abstimmung im Februar angriff. Die USA respektiere die Souveränität und territoriale Integrität aller Mitgliedsstaaten, was aber nicht bedeute, ruhig zu sein, wenn »Regierungen ihr eigenes Volk massakrieren und damit den regionalen Frieden und die Sicherheit bedrohen«. Bundesaußenminister Guido Westerwelle erinnerte daran, daß Deutschland »von Anfang an« den UN-Sicherheitsrat zum Handeln in Syrien aufgefordert habe, der aber habe »seine Verantwortung verfehlt«. Deutschland habe »unermüdlich für eine politische Lösung« gearbeitet. Erst müsse »die Gewalt aufhören«, dann müsse »sofort und ohne Behinderung humanitäre Hilfe« zugelassen werden, forderte Westerwelle. Drittens müsse »ein friedlicher Übergangsprozeß« eingeleitet werden, den »die Syrer basierend auf den Entscheidungen der Arabischen Liga führen« sollten. Schließlich reichte Westerwelle »allen die Hand, die für einen friedlichen und demokratischen Wandel« in Syrien arbeiteten, »insbesondere dem Syrischen Nationalrat«. Der hatte erst vor wenigen Tagen die Eröffnung eines militärischen Verbindungsbüros in der Türkei angekündigt, um Waffenlieferungen, die von Katar und Saudi-Arabien angekündigt wurden, an Kämpfer zu verteilen, die den Sturz von Präsident Baschar Al-Assad herbeischießen sollen.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon forderte politische Führer in der arabischen Welt auf, »den Weg nachhaltiger Reformen zu gehen oder denjenigen Platz zu machen, die das wollten. »Die Völker wollen keine kosmetischen Veränderungen, die nicht einmal den geringsten Geschmack von Demokratie« hätten, wird Ban in einer UN-Presseerklärung zitiert. »Sie wollen eine Regierungsführung, die man zur Rechenschaft« ziehen könne, und starke Maßnahmen gegen Korruption und Vetternwirtschaft.« Politischer Pluralismus, Schutz der Rechte von Minderheiten, Stärkung der Rechte für Frauen seien wichtig, so der UN-Chef weiter. Jungen Leuten müßten Berufschancen eingeräumt werden, um der Region Frieden zu bringen.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow sagte, die syrische Führung trage »sehr viel Verantwortung« an dem blutigen Konflikt. »Hastige Forderungen nach Regimewechsel, Unterstützung für eine bewaffnete Konfrontation und sogar für eine ausländische Militär­intervention« wies der Moskauer Chefdiplomat als »riskante Rezepte einer geopolitischen Entwicklung« zurück. So, wie der Westen mit dem Konflikt in Syrien umgehe, werde dieser ausgeweitet. Der chinesische UN-Botschafter Li Baodong wiederholte, daß Peking sich gegen jede »Einmischung in die inneren Angelegenheiten unter dem Vorwand der Humanität« ausspreche. Baodong lehnte erneut jede militärische Intervention in Syrien und die Forderung nach einem Regimewechsel ab. Rußland und China machten erneut deutlich, daß sie auch in Zukunft jede Entscheidung blockieren werden, die nicht einen Waffenstillstand von der Opposition wie von der Regierung fordere. Im Anschluß an die offizielle Runde kamen die Außenminister der Veto-Staaten – neben Rußland und China sind das Großbritannien, Frankreich und die USA – zu separaten Gesprächen zusammen.

* Aus: junge Welt, 14. März 2012


Hintergrund: Lawrow kritisiert Fensterreden **

Die Erklärung der katarischen Führung, wonach eine militärische Lösung der Situation in Syrien notwendig sei, widerspricht dem russischen Außenminister Sergej Lawrow zufolge den Prinzipien einer friedlichen Konfliktregelung, die sein Land und die Arabische Liga am 10. März in Kairo abgestimmt haben. Zu seinem »höchsten Erstaunen« habe er nach der Landung in New York erfahren, daß sein Amtskollege, Katars Premier und Außenminister Hamad Bin Jassim Al-Tani, öffentlich aufgerufen habe, »mit der Bildung arabischer oder internationaler Kräfte zu beginnen und diese nach Syrien zu schicken«, sagte Lawrow am Dienstag laut RIA Nowosti.

Lawrow verwies darauf, daß Rußland und die Arabische Liga am Wochenende in Kairo einen Fahrplan zur Beilegung der Syrien-Krise vereinbart hätten. »Wir stimmten dort fünf Punkte ab, die der Regelung zugrunde gelegt werden sollen, und eines dieser Prinzipien ist eben die Unannehmbarkeit eines ausländischen Eingreifens in Syrien.«

Lawrow verwies auf die Zwiespältigkeit in der Position der Weltgemeinschaft zum Syrien-Problem. »Ich habe ein weiteres Mal den wesentlichen Unterschied zwischen der öffentlichen Polemik und den Konsultationen zu spüren bekommen, die wir unter Ausschluß der Öffentlichkeit durchführen«, konstatierte er nach der jüngsten Sitzung des UN-Sicherheitsrates in New York. Lawrow zufolge beschreiben viele Länder die Situation in Syrien öffentlich in absolut schwarzen Tönen, bei Diskussionen hinter verschlossenen Türen würden aber keine kategorischen Losungen artikuliert werden, sondern eine pragmatische Position, die darauf abziele, zu einer gegenseitig akzeptablen Übereinkunft zu einer Regelung in Syrien zu kommen. »Bei diesen Gesprächen unter Ausschluß der Öffentlichkeit (...) tritt die Einsicht ein, daß es notwendig ist, aufzuhören, in der Sprache von Ultimaten und von der Position der eigenen Unfehlbarkeit aus zu sprechen, und mit der Suche nach Lösungen zu beginnen, die umsetzungsfähig sind, die real helfen werden, die Gewalt zu stoppen und nicht einfach die innenpolitischen Bedürfnisse von irgendjemand zu befriedigen«, so Lawrow. (jW/RIA Nowosti)

** Aus: junge Welt, 14. März 2012

‘Arab Leaders Must Choose Path of Meaningful Reform or Make Way for Those Who Will,’ Secretary-General Declares in High-level Security Council Meeting

United States Abhors Silence When Governments Massacre Own People; Russian Federation Says Demands for Regime Change, Military Intervention ‘Risky Recipes’

In overcoming the challenges posed by the dramatic changes in the Middle East and North Africa, strict commitment to political reform and inclusiveness were needed, as well as an international change in attitude towards the Arab world, United Nations Secretary-General Ban Ki-moon told the Security Council in a meeting addressed by Government ministers and other high-level officials this morning.

“The spontaneous and home-grown democratic movements are a credit to the Arab people,” Secretary-General Ban said, warning on the other hand against underestimating the challenges ahead. “We have reached a sober moment,” he added in his opening statement to a meeting chaired by the Secretary of State for Foreign and Commonwealth Affairs of the United Kingdom and attended by the Foreign Ministers of France, Guatemala, Russian Federation, Portugal and Germany, as well as the Secretary of State of the United States.

He stressed that “leaders must choose the path of meaningful reform, or make way for those who will”, eschewing cosmetic change, corruption and cronyism. Minority rights must be protected. Women had a right to sit at the table, with real influence and safety from violence. “The deficit in women’s empowerment has held back the Arab region for too long,” he said. Opportunities for young people must also be created, he added.

In engaging with the emerging situation in the region, he said, it was crucial that the international community move beyond what he called the “damaging notion that the Arab world is not ready for democracy”, as well as the assumption that security must take precedence over human rights. “These have the effect of keeping unrepresentative Governments in power — with little to show for democracy or security.”

Surveying the ongoing challenges, Mr. Ban reiterated his calls for a peaceful and early transfer of power to a civilian Government in Egypt, the holding of inclusive dialogue and a meaningful reform process in Bahrain, the revival of the peace process between Israelis and Palestinians, and the peaceful resolution of the Iranian nuclear issue. On Syria, he urged swift acceptance of newly appointed Joint Special Envoy Kofi Annan’s proposals to end the violence, including what Mr. Ban called “shameful operations” against urban populations, and embark on an inclusive, Syrian-led political process.

Following Mr. Ban’s introduction, the high-level officials representing several Council members hailed the struggles of the peoples of the region to realize their aspirations through participatory political systems and offered their Government’s support of nationally led transitions. The British Secretary of State, speaking in his national capacity, said his country had convened the meeting to call for intensified action in support of political and economic freedoms in the Middle East and for “urgent, essential Security Council action to stem the bloodshed in Syria”.

He said there was great hope in the United Kingdom that, within perhaps 20 years, the Arab region would be one of prosperous, open societies. He said that the Council must support United Nations-Arab League facilitation of a Syrian-led political process for that country. The United States Secretary of State added that respect for sovereignty did not demand that “the Council stand silent when Governments massacre their own people”.

The Russian Foreign Minister, however, evoked the situations in Libya and Syria to maintain that the goal of ensuring that transformations in the Middle East brought more gains than losses should not be achieved by misleading the international community or manipulating Council decisions. “Making hasty demands for regime change, imposing unilateral sanctions […] making calls to support armed confrontation, and even to foreign military intervention — all of the above are risky recipes of geopolitical engineering that can only result in the spread of conflict,” he said. The Russian Federation’s approach on Syria, he reiterated, focused on a non-violent solution through Syrian-led inclusive political dialogue and implementation of overdue reforms.

Morocco’s representative, outlining reforms enacted by his Government, pledged more advances through “righteousness and law”. He stressed the need for regional cooperation, particularly economic integration as was now being pursued the North African Maghreb, in order to consolidate progress, and warned that stability and peace in the greater region could not be achieved without the Palestinians realizing their national aspirations. Guatemala’s Foreign Minister warned against overly facile generalizations about the prospects and strategies for transition in the region. Speaking from the experience of the democratic transitions in Central America, he stressed that, “there are no universally valid formulas for transitions”, as the cultural basis was extremely important. He also warned that plural and participatory systems were not easy to develop. “What is important is to persist and trust that millennium-old cultures that had contributed so much to the civilized world would find the strength, creativity and leadership to take their democratization process to safe port,” he said.

Also speaking this morning were representatives of Togo, China, India, South Africa, Azerbaijan, Colombia and Pakistan.

Source: Security Council, Department of Public Information, 6734th Meeting, 12 March 2012 (SC/10575); www.un.org




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