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Einseitige Verurteilung

UNO macht weiterhin ausschließlich syrische Regierung für Konflikt verantwortlich

Von Karin Leukefeld *

Erneut hat die UNO-Vollversammlung am Donnerstag in New York die Menschenrechtslage in Syrien verurteilt. Ein unter anderem von Katar, Saudi-Arabien und Marokko eingebrachter Text macht dabei ausschließlich die Regierung für die Entwicklung verantwortlich. Offensichtliche und dokumentierte Verbrechen bewaffneter Aufständischer werden nicht ausdrücklich verurteilt. Gefordert wird allerdings, daß die zu Syrien gebildete UNO-Untersuchungsgruppe freien Zugang zum Land erhalten soll, um eine »unabhängige, internationale Untersuchung« durchzuführen. 135 Staaten stimmten dem nicht bindenden Text zu, zwölf stimmten dagegen, darunter auch Rußland, China und eine Reihe lateinamerikanischer Staaten. 36 Staaten enthielten sich.

Die UNO-Vertreterin Syriens kritisierte, daß die einseitige und politisch motivierte Resolution die Suche nach einer friedlichen Lösung in Syrien behindere. Syrien habe sich zum Sechs-Punkte-Plan und zur Zusammenarbeit mit dem Sonderbeauftragten für Syrien, Lakhdar Brahimi, verpflichtet. Die Resolution werde von Staaten unterstützt, die mit ihrer Förderung des Terrorismus im Land verantwortlich für viele Tote seien. Sie unterstützten bewaffnete Gruppen in Syrien, die Anschläge auf Pipelines, strategische Nahrungsmittellager und Infrastruktur verübten und damit die staatlichen Institutionen zu Fall bringen wollten. Das sei »gleichbedeutend mit einem militärischen Angriff«.

Das syrische Außenministerium hatte erst kürzlich der UNO und dem UN-Sicherheitsrat Listen mit Namen von arabischen und ausländischen Kämpfern vorgelegt. Journalisten der BBC und des britischen Senders Sky News hatten Mitte Dezember die Gelegenheit, einige inhaftierte Salafisten zu interviewen. Sky-News-Korrespondent Tim Marshall berichtete unter anderem über Mahmoud Al-Ahab und Ahmed Al-Rabido, die sich der Al-Nusra-Front angeschlossen hatten, die von den USA als »terroristische Organisation« gelistet ist. Beide Männer bezeichneten ihre Entscheidung als »Fehler«. Der 48jährige Al-Rabido sagte, er sei ein Mufti, ein religiöser Führer der »Freien Syrischen Armee« gewesen und habe sich dann der Al-Nusra-Front angeschlossen, »weil ich den säkularen Staat zerstören wollte«. Heute sehe er das als Fehler an, »weil unser Land ruiniert wird«.

Einwohner aus Aleppo zeigten sich derweil schockiert darüber, daß in einigen Gebieten der Umgebung von Stadt, die unter der Kontrolle von Aufständischen sind, eine Art »Religionspolizei« aufgestellt worden sei. Sie hätten neue Gesetze verhängt, heißt es in einem Bericht darüber in der libanesischen Zeitung Al Akhbar. Menschen müßten die Gebetszeiten in der Moschee einhalten, Frauen dürften nicht mehr Auto fahren. Aus Oppositionskreisen wurden die Vorwürfe zurückgewiesen. Die neuen Sicherheitskräfte seien eine »revolutionäre Version einer zivilen Polizeitruppe«, die vor allem Verbrechen verhindern sollten, hieß es zur Begründung. Die Anordnungen sollen vom »Revolutionären Militärrat in Aleppo« verfügt worden sein.

Über das Schicksal der vor wenigen Tagen entführten russischen und italienischen Staatsbürger ist nichts bekannt. Auch die Journalistin Ankhar Kochneva, die bereits Mitte Oktober verschleppt wurde, bleibt verschwunden. Die Entführer der Journalistin hatten vor einer Woche angekündigt, ihre Geisel hinzurichten. Der oppositionelle Jurist Haithem Al-Maleh hatte vor wenigen Tagen in einem Interview mit dem arabischen Sender Al-Dschasira erklärt, daß Rußland und Iran die syrische Regierung »mit Waffen und Munition« unterstützten. »Deshalb sind die Bürger dieser Länder legitime Ziele für die Rebellen in Syrien«, so Al-Maleh. Das widerspreche nicht der Genfer Konvention. Der 78jährige gehörte zunächst dem Syrischen Nationalrat (SNR) und inzwischen der in Katar gegründeten »Nationalen Koalition« an. Am 8. März 2011 war er per Dekret von Präsident Baschar Al-Assad aus der Haft entlassen worden und lebt heute in Kairo. Der »Nationale Rat« distanzierte sich von den Äußerungen Al-Malehs, die nicht mit den »Prinzipien der syrischen Revolution und ihren ethischen Standards, Interessen und Politik« übereinstimmten.

Der syrische Oppositionelle und Mitbegründer des Demokratischen Forums, Michel Kilo, hatte kürzlich in einem Beitrag für die libanesische Tageszeitung As Safir dazu aufgerufen, alle Aktionen und jede Politik zu stoppen, die dazu geführt haben, daß die legitimen Forderungen der syrischen Opposition »von Islamisten und ihren ausländischen Patronen« vereinnahmt werden konnten.

* Aus: junge Welt, Samstag, 22. Dezember 2012


Auftritt der Kriegspropheten

NATO meldet Scud-Einsatz in Syrien, de Maizière die Niederlage Assads **

Die NATO lieferte am Freitag einen vermeintlichen Beleg für die Notwendigkeit, »Patriot«-Abwehrraketen in das Mitgliedsland Türkei zu verlegen. Es sei der Abschuß mehrerer »Scud«-Raketen registriert worden, behauptete NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. Es handele sich um die Taten »eines verzweifelten Regimes kurz vor dem Kollaps«. Auch wenn die Raketen nicht auf das Nachbarland Türkei abgefeuert worden seien, zeige der Abschuß, wie wichtig die jüngst beschlossene Stationierung von »Patriot«-Abwehrsystemen an der Grenze zu Syrien sei. Unklar ist, ob »Scud« überhaupt eingesetzt wurde. Die NATO machte keine Angaben, von wo oder wohin sie abgeschossen wurden. Die Regierung in Damaskus bestreitet den Einsatz dieser Waffe.

In Berlin meldete sich Verteidigungsminister Thomas de Maizière mit Untergangsprognosen zu Wort. Die Herrschaft von Syriens Präsident Baschar Al-Assad neigt sich nach Einschätzung des CDU-Politikers dem Ende zu. »Es gibt Anzeichen dafür, daß die Opposition bald vor dem militärischen Sieg über das Regime steht«, erklärte de Maizière laut Vorabbericht der Bild. Daß dann Islamisten die Macht übernähmen, könne man nicht ausschließen.

Der Westen habe zwar bei der Formierung der Opposition und bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme geholfen. »Aber da ein militärisches Eingreifen überhaupt nicht zur Debatte steht, bleibt uns jetzt leider nur noch, verbittert zuzuschauen, wie der Bürgerkrieg weitergeht«, sagte de Maizière.

Tatsächlich haben die Staats- und Regierungschefs der EU auf ihrem Gipfel Mitte Dezember bekundet, »alle Optionen« zu prüfen. Wörtlich heißt es in den jW vorliegenden »Schlußfolgerungen« des Europäischen Rats vom 14. Dezember: »Der Europäische Rat bekundet seine Erschütterung über die weitere Verschlechterung der Lage in Syrien. Er beauftragt den Rat (Auswärtige Angelegenheiten), sich mit allen Optionen zu befassen, mit denen der Opposition Unterstützung und Hilfe geleistet werden kann (...)«.

Israelische Medien zitierten am 16. Dezember das von einen Führer der Salafisten in Jordanien, Abed Schihadeh alias Abu Mohammed Al-Tahawi, ausgegebe Kampfziel für die von ihm unterstützten Mitkämpfer in Syrien: Erst nehmen wir Damaskus, dann Tel Aviv.

** Aus: junge Welt, Samstag, 22. Dezember 2012


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