Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Erpressungsversuch

Bei UN-Vollversammlung streiten USA und Rußland über Syrien

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Die Differenzen zwischen den USA und Rußland über das Vorgehen in Syrien werden bei der UN-Vollversammlung in New York weiter ausgetragen. Für den heutigen Mittwoch hat UN-Generalsekretär Ban Ki Moon die Außenminister der fünf Vetomächte im Sicherheitsrat – USA, Rußland, China, Frankreich und Großbritannien – zu einem Treffen geladen. Erst vor zwei Wochen hatte die Einigung der beiden Außenminister John Kerry und Sergej Lawrow einen amerikanischen Militärschlag gegen das Land verhindert. Die prompte Einwilligung der syrischen Führung und die fristgerechte Vorlage aller Unterlagen bei der Organisation zur Kontrolle chemischer Waffen (­OPCW) hätten weiter zur Entspannung beitragen können. Doch trotz des kooperativen Verhaltens von Damaskus hatten die USA, Großbritannien und Frankreich mit »ernsten Konsequenzen« gedroht, sollte Syrien die Zerstörung seiner Chemiewaffen verzögern.

Der russische Außenminister Lawrow hatte dann vor seiner Abreise nach New York in einem ausführlichen Interview mit dem russischen Nachrichtensender Kanal 1 die »amerikanischen Partner« scharf kritisiert. Der Westen wolle »seine Überlegenheit« beweisen und »die Musik im Nahen Osten bestellen«, so Lawrow. Die USA versuchen Lawrow zufolge, Rußlands Zustimmung zu einer Sicherheitsratsresolution nach Kapitel VII der UN-Charta »zu erpressen«. Diese soll sowohl Sanktionen als auch einen Militärschlag gegen Syrien vorsehen, wenn Damaskus nicht kooperiert. Sollte Rußland dem nicht zustimmen, würden die USA die Arbeit in der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) und damit die Zerstörung des syrischen Chemiewaffenarsenals blockieren. Das sei »eine absolute Abkehr« von dem, was er mit Kerry in Genf vereinbart habe, sagte Lawrow. Erst müsse es einen OPCW-Beschluß geben, der von einer UN-Sicherheitsratsresolution bekräftigt werden solle. Über eine Entschließung nach Kapitel VII habe es zwischen ihm und Kerry keine Einigung gegeben. Syrien sei mit der Unterzeichnung der Konvention gegen Chemiewaffen »Partei dieses juristisch verbindlichen Dokuments« geworden, so Lawrow. Die Weltgemeinschaft müsse dem Land nun helfen, die Verpflichtungen umzusetzen. Dafür sei die OPCW zuständig. Internationale Polizeieinheiten sollten die Arbeit der Inspekteure schützen. Rußland sei bereit, dies zu tun.

Ein ranghoher Diplomat bei den Vereinten Nationen sagte derweil gegenüber der Nachrichtenagentur RIA Nowosti, man habe Hinweise, daß Extremisten auf dem syrischen Golan UN-Helme und -Uniformen gestohlen hätten. Sie würden die Ausrüstung benutzen, um die syrische Armee in die Irre zu treiben, so der Diplomat. Die Angaben seien glaubwürdig und vom Kommando der UN-Mission für die Sicherung der Pufferzone zwischen Israel und Syrien auf dem Golan (UNDOF) bestätigt worden. In einem Interview mit dem chinesischen staatlichen Sender CCTV in Damaskus warnte der syrische Präsident Baschar Al-Assad zudem davor, daß bewaffnete Gruppen mit Unterstützung ihrer ausländischen Sponsoren einen Angriff gegen die internationalen Chemiewaffeninspekteure ausführen könnten. Eine solche Attacke könnte »unter falscher Flagge« gestartet werden, so Assad.

Russischen Angaben zufolge sollen die UN-Inspekteure am heutigen Mittwoch nach Syrien zurückkehren. Dort werden sie vermutlich drei Orte untersuchen, an denen möglicherweise bereits im März Angriffe mit Chemiewaffen stattgefunden haben. Die syrische Regierung hatte damals umgehend bei den Vereinten Nationen eine Untersuchung gefordert. Der Führer der libanesischen Hisbollah, Hassan Nasrallah, hat derweil am Montag den Vorwurf zurückgewiesen, daß die syrische Führung ihre Chemiewaffen an die Hisbollah übergeben habe. Die Beschuldigung, die von seiten der oppositionellen Nationalen Koalition erhoben worden war, sei »ein Witz«, so Nasrallah im Fernsehsender Al-Manar. Die angeblich gelieferte Tonne chemischer Substanzen könne nicht transportiert werden »wie Weizen oder Mehl«. Für die Hisbollah sei ein Einsatz solcher Waffen »ein religiöses Tabu«.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 25. September 2013


New Yorks East River im Schatten Syriens

Die Generaldebatte der 68. UN-Vollversammlung beginnt

Von Olaf Standke **


Für Guido Westerwelle ist es nach dem Ergebnis der Bundestagswahl eine Abschiedstour. Zum vorläufig letzten Mal wird der Bundesaußenminister am Sonnabend als deutscher Vertreter in der 68. UN-Vollversammlung vor den Delegierten der 193 Mitgliedstaaten sprechen, und irgendwie dürfte es zur Gemütslage des FDP-Mannes passen, dass die Generaldebatte wegen Umbauarbeiten im New Yorker Hauptquartier der Vereinten Nationen in diesem Jahr nicht im prächtigen Kuppelsaal, sondern in einem fensterlosen Raum hinter einfachen Kunststofftischen stattfindet. Die Sitzungsperiode der Vollversammlung dauert ein Jahr, besondere Aufmerksamkeit aber findet traditionell die gut einwöchige Generaldebatte zu Beginn.

Wie Westerwelle hat der Repräsentant jedes Mitgliedstaates – in diesem Jahr mit über 130 mehr denn je Staats- und Regierungschefs – 15 Minuten Redezeit, um zu einem Thema zu sprechen, das ihm wichtig erscheint. Man muss kein Hellseher sein, um vorauszusagen, dass sich vieles um den Syrien-Konflikt drehen wird. Auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon erhofft sich Anregungen für eine politische Lösung der »ohne Zweifel größten Krise der internationalen Gemeinschaft«, wie er bei der Eröffnung der 68. UN-Vollversammlung in der Vorwoche sagte. Der Bundesaußenminister hat schon so etwas wie eine deutsche Initiative angedeutet.

Kritiker befürchten jedoch, dass diese Fokussierung zur Vernachlässigung globaler Probleme wie das Erreichen der Millenniumsziele für die Armutsbekämpfung führt. Noch immer steht ein Teil der im Jahr 2000 versprochenen Gelder aus. Die Vereinten Nationen werden einige zentrale Entwicklungsziele wie eine deutliche Senkung der Kindersterblichkeit absehbar verfehlen. Die Vorhaben nach 2015 waren eigentlich als übergreifendes Thema für die Generaldebatte gedacht.

Letztlich geht in Sachen Syrien ohnehin nichts ohne den Weltsicherheitsrat, in dem die Vetomächte gerade beinhart über eine Syrien-Resolution streiten (siehe Beitrag unten). In der Generaldebatte wird grundsätzlich nichts beschlossen, Anträge oder Resolutionsentwürfe darf man dort nicht einbringen. Gleichwohl können in diesen Tagen durchaus weitreichende Entscheidungen fallen, in Konferenzen und Sondergipfeln am Rande der Generaldebatte. Themen sind etwa die nukleare Abrüstung oder »Migration und Entwicklung«.

Zudem gibt es in New York diverse bilaterale Gespräche zwischen den angereisten Staats- und Regierungschefs. So soll USA-Präsident Barack Obama u.a. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas treffen – seinen neuen iranischen Amtskollegen aber wohl nicht. Dennoch dürfte Hassan Ruhani, der heute in der Generaldebatte sprechen wird, bei seinem ersten Auftritt am East River besondere Aufmerksamkeit finden. Er hat dem Westen schon vorab vorgeschlagen, erst den Atomstreit zu beenden und dann gemeinsam die Weltprobleme zu lösen.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 24. September 2013


Hintergrund

Die jährliche Generaldebatte der UN-Vollversammlung bietet allen 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen die Möglichkeit, gleichberechtigt ihre Position zu wichtigen internationalen Themen deutlich zu machen. Zum Auftakt gibt Generalsekretär Ban Ki Moon einen Bericht über die Arbeit der Organisation. Geleitet wird die Generalversammlung vom gewählten Präsidenten John W. Ashe aus Antigua und Barbuda. Er hat auch das Thema für die 68. Auflage vorgeschlagen: »Die Post-2015-Entwicklungsagenda: Voraussetzungen schaffen«. Ein solcher Schwerpunkt von globalem Interesse wird seit 2003 gesetzt. Damit sollen Rolle und Autorität des Weltforums gestärkt werden.

1945 per UN-Charta eingeführt, besetzt die Vollversammlung als höchstes beratschlagendes und repräsentatives Organ zwar eine zentrale Position der Vereinten Nationen und bietet eine einzigartige Bühne für multilaterale Debatten, doch sind ihre Beschlüsse völkerrechtlich nicht bindend. Die kann allein der Weltsicherheitsrat fassen. Die UN-Charta bestimmt fünf Staaten mit Vetorecht zu ständigen Mitgliedern (China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA). Die anderen zehn werden von der Vollversammlung nach einem regionalen Schlüssel für eine jeweils zweijährige Amtszeit gewählt.

Gleichwohl kann die Vollversammlung in Übereinstimmung mit der Resolution »Vereint für den Frieden« (3. November 1950) auch handeln, wenn der Sicherheitsrat im Falle eines Vetos nicht reagiert, obwohl damit die Bedrohung des Friedens, ein Friedensbruch oder eine Aggression gegeben wäre. Sie kann Berichte des Rates und anderer UN-Organe entgegennehmen und erörtern, sie genehmigt den Haushaltsplan der UNO, bestimmt auch die Mitglieder anderer UN-Hauptorgane und ernennt auf Empfehlung des Sicherheitsrates den UN-Generalsekretär.

Zudem spielt sie eine wichtige Rolle bei der Kodifizierung internationaler Gesetze. So hat die Vollversammlung nicht nur mit der 2000 verabschiedeten Millenniumserklärung Initiativen ergriffen, die maßgeblichen Einfluss auf die Lebensumstände in allen Teilen der Welt haben.

Olaf Standke




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