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Annan zuversichtlich

Ab heute sollen in Syrien die Waffen schweigen

Von Karin Leukefeld *

Syrien hat nach UN-Angaben ein Ende der Militäreinsätze für den heutigen Donnerstag zugesichert. Die Regierung in Damaskus habe dem internationalen Syrien-Gesandten Kofi Annan in einem Brief mitgeteilt, daß die Kampfhandlungen bis 6.00 Uhr morgens eingestellt würden, teilte die UNO am Mittwoch mit. Diese Frist war in einem Plan Annans zur Beilegung der Syrien-Krise festgelegt worden.

Letzte Meldungen

Waffenruhe wird eingehalten

Die Waffenruhe in Syrien ist von den Konfliktparteien offenbar weitgehend eingehalten worden, melden die Nachrichtenagenturen am 12. April. Die Waffenruhe werde "scheinbar" befolgt, erklärte der internationale Syrien-Sondergesandte Kofi Annan in New York. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon kündigte für Freitag (13. April) die erneute Entsendung des norwegischen Generals Robert Mood nach Damaskus zur Vorbereitung einer möglichen UN-Beobachtermission in dem Land an.

"Syrien erlebt offenbar einen seltenen Moment der Ruhe", erklärte Annan. Er erinnerte beide Seiten an die Verpflichtung zur vollständigen Umsetzung seines Sechs-Punkte-Plans zur Beendigung des Konflikts. Die in dem Plan geforderte Waffenruhe war um 06.00 Uhr Ortszeit (05.00 Uhr MESZ) in Kraft getreten.

Trotz der Waffenruhe wurden nach Angaben des oppositionellen Syrischen Nationalrats mindestens zwei Menschen in der Region Hama getötet. In den Regionen Aleppo, Homs und Daraa gab es demnach dutzende Festnahmen. Die in London ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete ebenfalls von einem erschossenen Zivilisten. Das syrische Staatsfernsehen meldete seinerseits, ein Offizier sei am Morgen bei einem Angriff "einer bewaffneten terroristischen Gruppe" in Aleppo getötet worden.

Der Chef des Syrischen Nationalrats, Burhan Ghaliun, zeigte sich laut AFP skeptisch in Bezug auf die Einhaltung der Waffenruhe und rief die Syrer zu Demonstrationen auf, um die Versprechen der Regierung zu testen. "Wir rufen das Volk auf, zu demonstrieren und sich zu äußern, denn das ist ein absolutes Recht", sagte er. Sollte dies nicht möglich sein, habe die Waffenruhe "keinerlei Bedeutung".



Nach Gesprächen mit dem iranischen Außenminister Ali Akbar Salehi am Mittwoch in Teheran äußerte sich Annan zuversichtlich in bezug auf die Vereinbarung der am heutigen Donnerstag beginnenden Waffenruhe in Syrien. Der politische Prozeß liege in der Hand der Syrer, viele Regierungen arbeiteten mit Damaskus zusammen, um die Krise zu überwinden, so Annan. Sollte die Lage »außer Kontrolle geraten«, wären die Folgen »katastrophal« für die gesamte ­Region. Wegen seiner engen Beziehungen zu Syrien sei Iran Teil einer Lösung. Annan forderte die Entsendung internationaler Beobachter nach Syrien, um den Waffenstillstand zu überwachen.

Bereits am Dienstag (10. April) hatte der russische Außenminister Sergej Lawrow die Bereitschaft seines Landes erklärt, UN-Truppen in Syrien zu stationieren. George Jabbour, Präsident der Syrischen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, bezeichnete gegenüber jW die Stationierung ausländischer Truppen in Syrien als hochsensibel. Seit dem Waffenstillstandsabkommen mit Israel 1949 habe Syrien die Nationalität von UN-Truppen auf seinem Gebiet genau überprüft, denn die Souveränität Syriens sei für Regierung und Volk »ein sehr hohes Gut, das geschützt« werden müsse. Sollten ausländische Beobachter nach Syrien kommen, »um sich zwischen Regierung und Volk zu plazieren« sei das »viel schwerer zu akzeptieren, als wenn ausländische Beobachter zwischen Syrien und Israel stationiert werden, wie auf dem Golan«.

Salehi wiederholte, Iran werde keine ausländische Einmischung in die internen Angelegenheiten Syriens zulassen. Der syrischen Regierung müsse die Chance gegeben werden, die Reformen, die Präsiden Baschar Al-Assad eingeleitet habe, umzusetzen. Iran unterstütze alle Seiten, um eine Lösung am Verhandlungstisch zu finden.

Gegen Verhandlungen sprachen sich derweil die beiden US-Senatoren John McCain (Republikaner) und Joe Lieberman (Unabhängiger) aus. Sie besuchten am Wochenende Flüchtlingslager in der türkischen Provinz Hatay im türkisch-syrischen Grenzgebiet und erklärten, die Welt müsse »den Mut haben, um das zu tun, was notwendig ist, um das Morden zu stoppen und Assad zu vertreiben (…) militärische Hilfe inbegriffen«. Die Syrer warteten »auf die Führung der USA in Syrien«, so die beiden Senatoren.

Die Türkei hat derweil ein scharfes Eingreifen des UN-Sicherheitsrates gegen Syrien gefordert. Außenminister Ahmet Davutoglu sprach von »eindeutigen Übergriffen« durch syrisches Militär an der gemeinsamen Grenze. Vor dem Außenministertreffen der G-8-Staaten, das am Mittwoch (Ortszeit) in Washington (USA) begann, bezeichnete Davutoglu die Vorfälle als »Problem der Grenzsicherheit«. Der syrische Außenminister Walid Muallem warf der Türkei derweil vor, Aufständische zu beherbergen und sie bewaffnet nach Syrien zu lassen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 12. April 2012


Der Mann am Bosporus

Türkei vor Einmarsch in Syrien

Von Werner Pirker **


Die militärischen Vorkehrungen für ein Eingreifen der Türkei in den syrischen Bürgerkrieg zugunsten der Aufständischen sind Medienberichten zufolge so gut wie abgeschlossen. Politisch steht die Entscheidung indessen noch aus. Ankara geht es vor allem darum, sich der Zustimmung aus den westlichen Hauptstädten, vor allem aus Washington, zu versichern. Auf ein Mandat des UN-Sicherheitsrates glaubt der starke Mann am Bosporus verzichten zu können, weil er eine Militärintervention völkerrechtlich ohnedies bereits abgesichert zu haben meint.

Die türkischen Kriegsplaner berufen sich dabei auf Abmachungen, die Ankara mit Damaskus noch im Zeichen der Partnerschaft getroffen hat. So auch auf einen Vertrag aus dem Jahr 1998, in dem sich Syrien verpflichtet, auf seinem Territorien keine Aktionen zuzulassen, welche die Sicherheit der Türkei gefährden konnten. Gemeint waren Aktivitäten der kurdischen PKK. Nun fühlt sich die Türkei durch den syrischen Bürgerkrieg, den sie selbst maßgeblich angeheizt hat, »bedroht«. Auch Denunziationen aus syrischen Oppositionskreisen, denen zufolge die Regierung in Damaskus den kurdischen Rebellen im Norden Syriens freie Hand gegeben habe, werden von den türkischen Militaristen als Kriegsvorwand herangezogen.

Damit agiert Ankara wieder im Einklang mit der westlichen Hegemonialpolitik. Dabei schien es schon, als wollte sich die gemäßigt islamische Regierung unter Recep Tayyip Erdogan aus der einseitigen Bindung an den Westen lösen und einen neuen außenpolitischen Kurs der »strategischen Tiefe« einschlagen. Dahinter verbarg sich vor allem das Bestreben, zu einer Führungsmacht in Nahost und Mittel­asien aufzusteigen. Am deutlichsten schlug sich das in der drastischen Verschlechterung der Beziehungen zu Israel nieder. Angebote an Teheran und die neue Führung in Ägypten, ein Gegengewicht zur westlichen Hegemonie herzustellen, wiesen ebenfalls in diese Richtung. Mit der Überrumpelung des »arabischen Frühlings« durch den westlichen Interventionismus entstand indes eine Situation, in der die Türkei ihre Machtexpansion erneut in strategischer Allianz mit den Westmächten durchzusetzen versucht.

Offensichtlich besteht in Washington und den europäischen Machtzentren wenig Bereitschaft, das lybische Szenario in Syrien 1:1 noch einmal durchzuspielen. Doch wären die Rebellen in Syrien aus eigener Kraft wohl ebensowenig wie ihre libyschen Kollegen imstande, das Baath-Regime zu Fall zu bringen. Also besinnt sich die Türkei ihrer »Schutzverantwortung« für die notleidende syrische Bevölkerung. Gedacht ist an die Schaffung einer Pufferzone auf syrischem Gebiet. Das nötige know how, ungebeten in Nachbarländer einzudringen, hat sich die türkische Armee bei zahlreichen Überfällen auf irakisches Territorium längst erworben. Damals ging es um die Bekämpfung eines Aufstandes, nun um seine Unterstützung.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 12. April 2012 (Kommentar)


Syrien-Konflikt: Erdogan erwägt Hilferuf an Nato bei Grenzverletzung ***

Der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan hat nicht ausgeschlossen, dass sich die Türkei als Nato-Mitglied mit der Bitte um Hilfe an die Allianz wenden kann, falls Syrien die Grenzen der Türkei verletzt.

„Wir haben zahlreiche Varianten. Eine davon ist die Anwendung des fünften Artikels des Washingtoner Vertrages über die Gründung der Allianz, der die Verpflichtung vorsieht, einem Nato-Verbündeten Hilfe zu leisten, der einer Aggression ausgesetzt wurde. Wir werden eine Entscheidung in Abhängigkeit von der Entwicklung der Situation treffen“, zitieren türkische Medien den Regierungschef am Donnerstag (12. April) und erinnern daran, dass am 12. April der Termin abläuft, der Syrien für die Umsetzung des Annan-Plans zur Verfügung gestellt worden war.

Die Erklärung gab Erdogan nach dem Abschluss seines China-Besuches ab, bei dem die Situation im benachbarten Syrien zur Sprache gekommen war.

Zuvor hatte der Premier den Beschuss eines Lagers für syrische Flüchtlinge auf dem türkischen Territorium durch die syrische Armee am 9. April, bei dem zwei Türken und zwei Syrer ums Leben kamen, als offene Grenzverletzung bezeichnet und gewarnt, dass es zu Gegenmaßnahmen kommen könnte.

Erdogan appellierte an den „gesunden Menschenverstand“ der syrischen Regierung und hob hervor, dass der UN-Sicherheitsrat die Regelung im Nachbarland sichern soll.

Die Türkei werde die Grenze zu Syrien nicht schließen und weiter Flüchtlinge aus diesem Land aufnehmen, hieß es.

*** Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, Donnerstag, 12. April 2012; http://de.rian.ru


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