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Verurteilung Syriens erneut misslungen

Bericht der UNO-Menschenrechtskommissarin im Sicherheitsrat debattiert

Von Karin Leukefeld *

Der französische UN-Botschafter Gérard Araud hat den UN-Sicherheitsrat für die anhaltende Gewalt in Syrien »moralisch verantwortlich« gemacht. Es sei skandalös, dass das Gremium aufgrund des Widerstands einiger Mitglieder nicht dazu in der Lage sei, mit einer Resolution Druck auf die syrischen Behörden auszuüben, sagte Araud am Montag.

Auf Antrag Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens hat die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, am Montag (12. Dez.) im UN-Sicherheitsrat in New York über die Menschenrechtslage in Syrien gesprochen. Vermutlich mehr als 5000 Menschen seien seit Beginn der Unruhen in Syrien im März getötet worden, sagte Pillay. Das habe sie aus »glaubwürdigen Berichten aus verschiedenen Quellen« erfahren. Unter den Toten seien mindestens 300 Kinder. Zu den Opfern zählte Pillay »Zivilisten und wegen Befehlsverweigerung hingerichtete Soldaten«.

Nicht ausdrücklich gezählt und in die genannte Gesamtzahl einbezogen wurden von der UN-Menschenrechtskommissarin die getöteten Angehörigen der syrischen Armee oder mit dieser »verbündeter bewaffneter Gruppen«. Doch gehe sie davon aus, dass »Hunderte aus dieser Kategorie« ebenfalls Opfer der Auseinandersetzungen wurden.

Pillay beklagte, dass die syrische Regierung »die Bitten und Verurteilungen der internationalen Gemeinschaft auf allen Ebenen« ignoriert habe. In einem anschließenden Gespräch mit Reportern wiederholte sie ihre Meinung, dass die Lage in Syrien vor den Internationalen Gerichtshof gehöre. Gleichzeitig warnte sie vor einem möglichen Großangriff auf die Stadt Homs. Sie habe das von vielen Seiten gehört, sei allerdings »nicht in der Lage, solche Berichte zu bestätigen«.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle bezeichnete nach einem Treffen mit Pillay, die Schilderungen aus Syrien als «bedrückend«. Sie habe von einem «großen Maß an Grausamkeiten«, Repressionen und Menschenrechtsverletzungen berichtet. «Das kann nicht hingenommen werden«, so Westerwelle, «das braucht eine gemeinsame Antwort der internationalen Gemeinschaft.« Der Sicherheitsrat müsse handeln und eine Resolution gegen das syrische Regime auf den Weg bringen. In WDR 5 sagte Markus Löning, der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, militärische Maßnahmen gegen Syrien würden nicht erwogen. Eine offizielle Reaktion der syrischen Regierung auf die Debatte im UN-Sicherheitsrat lag steht bislang aus.

Nach Angaben von nicht näher bezeichneten Menschenrechtsaktivisten sollen am Montag 16 Personen von staatlichen Sicherheitskräften getötet worden sein. Die syrische Nachrichtenagentur SANA berichtete von der Beisetzung von sieben Armeeangehörige und Sicherheitskräften, die in Homs, Hama und im Umland von Damaskus bei Auseinandersetzungen mit bewaffneten Aufständischen getötet worden waren. Nach offiziellen Angaben wurden seit März mehr als 1300 staatliche Sicherheitskräfte getötet.

Das Außenministerium in Damaskus wies derweil den Vorwurf des französischen Außenministers Alain Juppé zurück, für den »abscheulichen Anschlag« auf eine französische UNIFIL-Patrouille in Südlibanon am Freitag) verantwortlich zu sein. Juppé und andere, die das behaupteten, wollten nur weitere »falsche Vorwürfe gegen Syrien« in Umlauf bringen, kritisierte Außenamtssprecher Dschihad Makdessi. Am vergangenen Freitag hatte Makdessi vor Journalisten erklärt, Syrien hoffe auf die Hilfe der arabischen und anderer Staaten, um die Krise im Land zu lösen, nicht dass sie weiter angeheizt werde. Syrien sei bereit zur Kooperation und meine es ernst mit einem »Dialog ohne Tabus«. Für alle Seiten müsse ein »würdiger Ausweg« gefunden werden.

* Aus: neues deutschland, 14. Dezember 2011


"Glaubwürdige Berichte"

Laut UNO mehr als 5000 Tote in Syrien

Von Karin Leukefeld **


Seit Beginn der Unruhen in Syrien im März 2011 sollen nach Schätzung der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, mehr als 5000 Menschen getötet worden sein. Tausende weitere Menschen sind den Angaben zufolge festgenommen worden. Pillay sprach am Montag vor dem UN-Sicherheitsrat in New York über die Menschenrechtslage in Syrien. Die Sitzung war auf Antrag Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens anberaumt worden. Unter den Toten seien neben »mindestens 300 Kindern Zivilisten, desertierte Soldaten und diejenigen, die hingerichtet werden, weil sie sich weigern, auf Zivilisten zu schießen«, erklärte die UN-Hochkommissarin. Als Basis ihrer Informationen nannte sie nicht näher angeführte »glaubwürdige Berichte verschiedener Quellen«. Die Zahl getöteter Angehöriger der syrischen Armee, Sicherheitskräfte und anderen mit diesen »verbündeten bewaffneten Gruppen« gab Pillay mit »Hunderten aus dieser Kategorie« an. Die syrische Regierung habe »die Bitten und Verurteilungen der internationalen Gemeinschaft auf allen Ebenen« ignoriert. In einem anschließenden Gespräch mit Reportern wiederholte sie ihre Meinung, daß die Lage in Syrien vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gehöre. Gleichzeitig warnte sie vor einem möglichen Großangriff auf die Stadt Homs. Sie habe das von vielen Seiten gehört, sei allerdings »nicht in der Lage, solche Berichte zu bestätigen«.

Die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Susan Rice, erklärte, die jüngsten Schätzungen unterstrichen die Dringlichkeit der derzeitigen Lage, eine entsprechende Reaktion des Weltsicherheitsrats sei überfällig. Der britische Botschafter Mark Lyall Grant sprach von einer Reihe Optionen, die der UN-Sicherheitsrat erwägen müsse: »Wir werden im Gleichschritt mit der Arabischen Liga handeln müssen.« Der Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch bei der UNO, Philippe Bolopion, wird von AP mit den Worten zitiert, daß Tatenlosigkeit keine Option mehr sei: »Die Geschichte wird hart über diejenigen urteilen, die sich immer noch zum Wegschauen entscheiden.«

Bundesaußenminister Guido Westerwelle erklärte nach einem Gespräch mit der Menschenrechtskommissarin, die Schilderungen aus Syrien seien »bedrückend«. Pillay habe von einem »großen Maß an Grausamkeiten« berichtet, das »nicht hingenommen werden« könne. Der Sicherheitsrat müsse handeln und eine Resolution gegen das syrische Regime auf den Weg bringen. Das sei die internationale Gemeinschaft den Menschen in Syrien schuldig. Frankreichs UN-Botschafter Gerard Araud machte derweil den Sicherheitsrat für die anhaltende Gewalt in Syrien »moralisch verantwortlich«. Es sei »skandalös«, daß das Gremium nicht in der Lage sei, mit einer Resolution Druck auf die syrischen Behörden auszuüben.

Frankreich, Deutschland und Großbritannien versuchen mit den USA seit Monaten, eine harte Resolution gegen Syrien durchzusetzen. Zuletzt war das Ansinnen im Oktober durch das Veto Rußlands und Chinas gestoppt worden. Auch Brasilien, Indien und Südafrika lehnen eine harte Resolution ab und plädieren für internationale Unterstützung, um in Syrien einen nachhaltigen Dialog über Reformen zwischen Regierung und Opposition in Gang zu bringen. Der russische UN-Botschafter Vitali Tschurkin beschuldigte die westlichen Staaten, einen »Regimewechsel« in Syrien zu wollen und deswegen jeden Dialog im Land sowie zwischen Syrien und der Arabischen Liga zu verhindern.

** Aus: junge Welt, 14. Dezember 2011


Von Libyen nach Syrien

Von Roland Etzel ***

Es ist nicht einfach, die tatsächliche Situation der Menschenrechte bzw. ihrer Verletzung in Syrien zu ergründen. Die südafrikanische UN-Menschenrechtskommissarin Pillay und ihr Apparat haben im Rahmen ihrer Möglichkeiten sicher manches in dieser Hinsicht versucht und dazu nun einen Bericht vorgelegt; mit anklagenden Zahlen gegen die Regierung, aber auch relativierenden Bemerkungen und dem Hinweis auf die Nichtüberprüfbarkeit des Materials.

Einigen UN-Sicherheitsratsmitgliedern, zum Beispiel Frankreich, ist es aber - wie zuletzt immer im Fall Syrien - gelungen, die durchaus differenzierte Darstellung Pillays auf Vulgärniveau herunterzubrechen. Die Untaten des Assad-Regimes, ließ Frankreichs Vertreter mit fast tränenerstickter Stimme vernehmen, seien das Schlimmste, was er in den letzten zwei Jahren gehört habe. Ein Blick in die vor der Öffentlichkeit geheimgehaltene Trefferbilanz der 26 000 NATO-Bombereinsätze dieses Jahres in Libyen könnte ihn da eines besseren belehren, wenn denn die Bereitschaft dazu bestünde.

Von den heimlichen Waffenlieferungen an militante Gruppen in Syrien, die kaum zur friedlichen Konfliktbeilegung beitragen, ist ebenso wenig die Rede wie von der Aufforderung an die syrische Opposition, sich auf keinen Dialog einzulassen. Es soll ein zweites Libyen geben. Und laut Westerwelle wird es am deutschen Segen dafür nicht scheitern.

*** Aus: neues deutschland, 14. Dezember 2011 (Kommentar)

Syrischer Knoten

Der Publizist Jürgen Todenhöfer, bis 1990 Bundestagsabgeordneter der CDU, danach bis 2008 Burda-Manager, hat in diesem Jahr zweimal Syrien bereist. In der FAZ vom 12. Dezember erschien sein Bericht "aus einem gespaltenen Land". Daraus ein paar Zitate:

"In Syrien findet nicht einfach nur ein Volksaufstand gegen einen verhaßten Herrscher statt. Der Frontverlauf ist viel komplizierter. Zahllose junge Menschen demonstrieren im Landesinneren seit Monaten friedlich und unter Lebensgefahr gegen die Diktatur. Gleichzeitig demonstrieren in den Ballungszentren Damaskus und Aleppo Hunderttausende für Assad und Demokratie. Viele bestellt, viele freiwillig. In Daraa, Homs, Hama, Idlib haben sich Guerillakommandos gebildet, die mit schweren Waffen gegen die Sicherheitskräfte vorgehen. Nach Aussagen der Regierung töten sie zunehmend auch Zivilisten, meist Alawiten. Diese Aussagen werden von innersyrischen Oppositionspolitikern, die selbst Jahre in den Kerkern des Vaters von Assad, Hafiz, verbracht haben, mit konkreten Beispielen bestätigt. Dichtung oder Wahrheit? Gegen diese Guerillakommandos, deren Finanzquellen dunkel sind, geht die syrische Armee gnadenlos und blutig vor."

"Die innersyrische Opposition – die seit Beginn der Revolution relativ offen auftreten kann – setzt auf einen friedlichen Wandel, während Teile der vom Westen subventionierten Exilopposition auf eine militärische Interven­tion der NATO – ähnlich der in Libyen – hinarbeiten."

"Wenn ich abends die internationalen Onlinemedien überflog, war es, als läse ich Erzählungen von einem fernen Stern. Jeder hat ein Recht auf eigene Meinung, aber keiner auf eigene Fakten. Nach meinen persönlichen Erfahrungen in Damaskus, Daraa, Homs und Hama sind mindestens die Hälfte der Meldungen über Syrien schlichtweg falsch – fast wie vor dem Irak-Krieg."

"Der syrische Knoten ist noch lösbar. Paradoxerweise ist es nach wie vor Baschar Al-Assad, der am ehesten einen friedlichen Übergang zur Demokratie erreichen könnte. Weil er die Macht hat und weil er als Person bei einem Großteil der Bevölkerung noch immer Ansehen genießt."


Alle Zitate nach: junge Welt, 14. Dezember 2011




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