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NATO bombardierte Residenz Gaddafis

Luftangriffe auf Tripolis / Misrata weiter schwer umkämpft / Lage in Syrien zunehmend dramatischer *

Die internationalen Truppen haben Ziele in der libyschen Hauptstadt Tripolis angegriffen. Unterdessen entwickelt sich Syrien zum nächsten Kandidaten für eine Intervention der »internationalen Gemeinschaft«.

Kampfjets der Interventionstruppen haben in der Nacht zum Montag (25. April) eine Kommunikationszentrale im Zentrum von Tripolis zerstört. Das teilte die NATO am Montag in Brüssel mit. Berichte über mögliche zivile Opfer bestätigte das Bündnis nicht. Dazu fehle es ihm an unabhängigen Quellen, hieß es. Die Truppen des Staatschefs Muammar al-Gaddafi hätten die getroffene Zentrale genutzt, um Attacken auf die libysche Bevölkerung zu koordinieren.

Bei einem NATO-Angriff wurden Gebäude einer Residenz Gaddafis in Tripolis zerstört. Nach offiziellen libyschen Angaben gab es dabei 15 Schwerverletzte. Ein Regierungssprecher verurteilte den Angriff am Montag vor Journalisten als Versuch, Gaddafi zu töten. Bombardiert wurde unter anderem ein repräsentatives Gebäude, in dem Gaddafi kürzlich eine Delegation der Afrikanischen Union empfangen hatte. Unklar blieb, wo sich der Staatschef zum Zeitpunkt des Angriffs aufhielt.

Auch auf Ziele in der umkämpften westlibyschen Stadt Misrata seien am Montag offensichtlich von NATO-Maschinen Angriffe geflogen worden, wie ein Arzt dem US-Nachrichtensender CNN sagte. Am Sonntag (24. April) seien in der Stadt mindestens 16 Menschen getötet und 71 verletzt worden. Ein Augenzeuge sagte, die Truppen Gaddafis hätten die Stadt unter starken Beschuss genommen. Alle fünf Minuten seien Explosionen zu hören gewesen.

Der libysche Regierungssprecher Mussa Ibrahim erklärte nach CNN-Angaben, die Armee habe ihren Rückzug aus Misrata fortgesetzt. Dabei sei sie von Rebellen angegriffen worden und hätte sich zur Wehr gesetzt.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat die Militärintervention in Libyen scharf kritisiert. »Der Einsatz droht mehr Leid zu bringen, als er verhindert«, sagte die Generalsekretärin der deutschen Amnesty-Sektion, Monika Lüke, dem Berliner »Tagesspiegel«. Leider könne sie bislang nicht erkennen, dass die UN-Resolution zur Flugverbotszone sowie die Militärangriffe die Lage der Zivilbevölkerung deutlich verbesserten und die massiven Menschenrechtsverletzungen im Krieg in Libyen beendet hätten. Militärische Gewalt könne »nur das allerletzte Mittel sein, um Menschenrechte durchzusetzen«, da jeder Militäreinsatz mit hoher Wahrscheinlichkeit die Zahl der Opfer steigere. »In Libyen war und ist die Schwelle zum Völkermord nicht überschritten«, sagte Lüke weiter.

Das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad hat mit einem großem Militäreinsatz das Vorgehen gegen Regimegegner im Süden des Landes verschärft. Nach Angaben aus der Protestbewegung wurden rund 40 Menschen getötet, als mehrere tausend Soldaten am Montag mit Panzern in die Stadt Daraa einrückten. Zudem seien Strom und Telefonleitungen gekappt worden, berichtete die Bewegung auf Internetseiten. Daraa ist eines der Zentren des Aufstandes gegen das Regime.

Inmitten des Militäreinsatzes schloss die syrische Regierung die Grenze zum Nachbarland Jordanien. Die Entscheidung habe Damaskus einseitig getroffen, zitierte die amtliche jordanische Nachrichtenagentur Petra einen Sprecher der Regierung in Amman. Der syrische Zoll- Generaldirektor Mustafa Bukai bestritt die Schließung. »Der Verkehr von Autos und Waren läuft normal«, sagte er laut der staatlichen syrischen Nachrichtenagentur Sana.

* Aus: Neues Deutschland, 26. April 2011


"Sie schießen auf alle, die ihre Häuser verlassen"

Syrische Führung schickte Panzer in Protesthochburg Daraa / Rund 40 Tote bei groß angelegtem Militäreinsatz **

Nach einigen Zugeständnissen ist die syrische Führung wieder mit aller Härte gegen die Protestbewegung in dem Land vorgegangen.

Nach Angaben von Augenzeugen und Menschenrechtsvertretern rückten am Montag (25. April) mehr als 3000 Sicherheitskräfte unterstützt von Panzern in die südliche Protesthochburg Daraa ein und schossen willkürlich um sich. Flankiert von schweren Armeefahrzeugen drangen demnach die Sicherheitskräfte nach Daraa ein. Scharfschützen hätten auf den Dächern Stellung bezogen, sagte ein Aktivist. »Es gibt eine Ausgangssperre. Sie schießen auf alle, die ihre Häuser verlassen«, so ein Augenzeuge. Auch auf Wassertanks werde geschossen, um die Vorräte der Bewohner zu zerstören.

Bei dem groß angelegten Militäreinsatz wurden nach Angaben von Augenzeugen mindestens 39 Menschen getötet. Die Sicherheitskräfte feuerten demnach mit schwerer Artillerie auf die Stadt. Die genaue Zahl der Toten sei aber nicht zu ermitteln, weil viele Opfer noch auf den Straßen lägen, berichteten mehrere Aktivisten. Sowohl die Stromversorgung als auch das Telefonnetz seien weitgehend zusammengebrochen.

Nach Angaben der jordanischen Regierung riegelte Syrien im Zuge des Einsatzes die nahe Daraa gelegene Grenze zum Königreich ab. Auch ein Augenzeuge, der an der Einreise gehindert worden war, bestätigte die Schließung der Grenzposten Daraa und Naseeb. Der syrische Zoll wiederum wies die Angaben zurück. In Daraa hatte Mitte März die Protestbewegung gegen Präsident Baschar al-Assad ihren Anfang genommen.

Auch in Duma und El Muadamijah nahe der Hauptstadt Damaskus gingen Sicherheitskräfte am Montag gegen die Protestbewegung vor. Duma sei »vom Rest der Welt abgeschnitten«, sagte ein Aktivist. Sicherheitskräfte hätten eine Moschee in der Stadt umstellt und würden willkürlich schießen. Seit Sonntag gebe es eine Verhaftungswelle in der Stadt.

Bei Gewalt durch Sicherheitskräfte kamen seit Freitag (22. April) nach Angaben von Aktivisten mehr als 150 Menschen ums Leben. Die syrische Menschenrechtsorganisation Insan mit Sitz in Sevilla teilte mit, dass seit dem Tag zudem mehr als 220 Menschen verschwunden seien. Seit Beginn der Protestbewegung Mitte März wurden nach einer Zählung von AFP über 350 Menschen in Syrien getötet.

Die syrische Führung habe sich für eine »militärische Lösung« entschieden, um die Protestbewegung unter Kontrolle zu bringen, sagte der Aktivist Rami Abdel Rahmane von der Organisation Syrisches Observatorium für Menschenrechte. Die Führung instrumentalisiere dazu ein am Donnerstag verkündetes Gesetz, wonach Demonstrationen fünf Tage im Voraus beim Innenministerium anzumelden sind. Assad hatte am Donnerstag (21. April) den seit fast 50 Jahren geltenden Ausnahmezustand aufgehoben.

Die UNO-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay verurteilte das Vorgehen der Sicherheitskräfte scharf. Sie rief zu einem »unverzüglichen Ende des Blutbads« und zum Schutz friedlicher Demonstranten auf. Human Rights Watch forderte Sanktionen gegen die Verantwortlichen für die Schießbefehle. Es reiche nicht mehr, die Gewalt zu verurteilen, erklärte die Organisation. Einem Bericht des »Wall Street Journal« zufolge arbeitet die US-Regierung an Sanktionen gegen Vertraute von Assad.

Beim Vorgehen gegen Demonstranten in Daraa nimmt sich Assad offensichtlich seinen Vater und Amtsvorgänger Hafez al-Assad zum Vorbild: Der hatte 1982 die rebellische Stadt Hama sogar wochenlang bombardieren lassen. Wie viele Opfer es in Hama gab, ist bis heute unklar. Syrische Exilpolitiker um den ehemaligen Staatspräsidenten Amin al-Hafin sprachen 1983 von 35 000 bis 38 000 Toten. Der israelische UN-Delegierte Jehuda Blum nannte hingegen 1983 in New York mit 10 000 bis 25 000 Toten deutlich niedrigere Zahlen.

** Aus: Neues Deutschland, 26. April 2011


Zeit-lose Reformen

Von Karin Leukefeld ***

Zwischen Baum und Borke ist ein unbequemer Platz für den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad. Auf der einen Seite Sicherheits- und Geheimdienstkräfte, die alten Besitzstand wahren, auf der anderen Demonstranten, die ihn stürzen wollen. Man weiß zwar wenig von ihnen, doch werden die Demonstranten von dogmatischen Islamparteien ebenso angefeuert wie von westlichen Politikern und Medien, die immer mehr und schneller Zugeständnisse fordern. Den Reformen bleibt keine Zeit, sich zu bewähren. »Zu wenig, zu spät«, hieß es nach der Aufhebung des Ausnahmezustandes, der Abschaffung der Staatssicherheitsgerichte, der Einführung des neuen Demonstrationsrechts und anderer Reformen. Warum nicht: »Besser spät als nie«? Assad wird in Medien als »Mann der leeren Versprechen« oder »brutaler Diktator« charakterisiert. Für eine differenzierte Darstellung der langsamen Modernisierung und des komplexen Machtgefüges, das er von seinem Vater geerbt hat, ist kein Platz.

Nicht nur die Demonstranten, alle Syrer wollen Demokratie und Mitsprache. Sie wollen Teilhabe am geringen, doch vorhandenen Reichtum, der bisher die Taschen Weniger füllt. Sie wollen Arbeitsplätze, ein bezahlbares Dach über dem Kopf, gute Schulen und Krankenhäuser für sich und ihre Kinder. Die Mehrheit der Syrer schweigt allerdings, weil sie vor allem eines nicht will: die Aufspaltung des Landes in ethnische und religiöse Gruppen, einen Bürgerkrieg oder die Rückkehr der Militärdiktatur.

*** Aus: Neues Deutschland, 26. April 2011 (Kommentar)


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