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Terror in Damaskus

Aufständische in Syrien verüben Anschläge auf Stromnetz und Hilfszentrum. Parlament erhebt schwere Vorwürfe gegen saudiarabischen Außenminister

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Trotz 40 Grad Hitze atmet Damaskus nach einem zweitägigen Stromausfall langsam wieder auf. Aufständische hatten am Mittwoch morgen die Gaspipelines zerstört, die ein Elektrizitätswerk versorgen, das die südlichen Provinzen Daraa, Sweida, das Umland von Damaskus und die Hauptstadt beliefert. Inzwischen haben die technischen Notfallteams die Schäden soweit behoben, daß es nur noch stundenweise Abschaltungen gibt. Klimaanlagen und Kühlschränke arbeiten, auch Aufzüge, Telefone, Computer und Internetverbindungen sind wieder in Betrieb.

Der zuständige Minister für Energieversorgung Imad Khamis erklärte am Mittwoch, daß die jüngsten Angriffe der Aufständischen die bisher schwersten auf die zentrale Stromversorgung waren. Der finanzielle Schaden dürfte in die Millionen gehen. »Wie sollen die Kämpfer sich wehren, wenn sie ständig von Armee und Luftwaffe angegriffen werden«, gab ein Gesprächspartner in Damaskus zu bedenken. Auf den Einwand, daß der Angriff auf die öffentliche Stromversorgung Millionen von Menschen und die gesamte Wirtschaft trifft, zuckt er die Schultern: »Rationales Denken sucht man bei diesen Kämpfern vergeblich.« Man könne aber nicht ausschließen, daß der Angriff die Wirtschaft gezielt treffen sollte, die ohnehin auf einer rasanten Talfahrt sei. »Möglich, daß die Auftraggeber der Kämpfer nach ihren politischen und militärischen Mißerfolgen nun den Wirtschaftskrieg gegen Syrien eröffnet haben.«

Der Angriff kommt nicht nur im Hochsommer und kurz vor Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan in zwei Wochen, er fällt auch mit einer schwindelerregenden Abwertung des Syrischen Pfundes zusammen. Für die Bevölkerung bedeutet das eine massive Verteuerung der Lebenshaltungskosten. »Ich habe bisher 350 US-Dollar im Monat verdient«, sagt ein Mann in Damaskus. »Wenn ich mit diesem Geld heute einkaufe, ist es nur noch 150 US-Dollar wert.« Die Kosten für Gemüse und Obst, Milchprodukte, Tee und Kaffee haben sich teilweise gar verzehnfacht. Immer wieder weisen die Leute auf den horrenden Preis für ein Kilo Tomaten hin, der von 20 Syrischen Pfund auf fast 200 gestiegen ist.

Zu den wirtschaftlichen Problemen kommt der Terrorismus, der auch die Ärmsten plagt. Bei einem schweren Anschlag in der Altstadt von Damaskus starben am Donnerstag vier Menschen, acht weitere wurden verletzt. Offiziell heißt es, ein Selbstmordattentäter habe sich in einer Gruppe von Menschen in die Luft gesprengt, die vor dem Gebäude der Dar al-Ihsan warteten. Die humanitäre Organisation ist eine von Hunderten in Damaskus, die Geld von wohlhabenden Geschäftsleuten, in Fabriken und Hotels sammeln, um es an arme Familien zu verteilen. Das Parlament verurteilte den Anschlag scharf. Diese Art von Gewalt sei »die Umsetzung dessen, was der saudische Außenminister Saud al-Faisal angeordnet habe«, hieß es in einer Erklärung. Der Prinz sei »offizieller Sprecher der bewaffneten terroristischen Takfiri-Gruppen in Syrien«. Diese sehen andere muslimische Strömungen als Abtrünnige vom »richtigen« islamischen Glauben und rechtfertigen damit deren Tod. Der saudische Außenminister hatte am Vortag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem US-Amtskollegen John Kerry in Riad mehr Waffen für die Aufständischen in Syrien gefordert.

Die syrischen Streitkräfte haben derweil Aufständische aus dem Ort Tell Kalach im syrisch-libanesischen Grenzgebiet vertrieben. In der Millionenstadt Aleppo im Norden des Landes wird die Lage als weiter sehr gefährlich und unübersichtlich beschrieben. Bereits am vergangenen Sonntag war der syrische Priester Francois Murad in einem Kloster nahe der türkischen Grenze getötet worden. Vermutlich wurde der Priester von bewaffneten Aufständischen getötet, die mit der Al-Nusra-Front zusammenarbeiten.

* Aus: junge Welt, Samstag, 29. Juni 2013


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