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Kriegsszenarien

Nach Zwischenfall in Syrien: US-Medien verbreiten Gerüchte über angebliche Atomgefahr aus Damaskus und Angriffspläne Israels – ohne Fakten oder Quellen

Von Knut Mellenthin *

Bastelt Syrien mit nordkoreanischer Hilfe und iranischem Geld an Atomwaffen, die es der libanesischen Hisbollah zur Verfügung stellen will? In der Gerüchteküche der Medien in New York, Jerusalem und London brodelt es heftig. Verständlich: Die Geschichte bietet alles, was ein guter Roman braucht – oder ein weiterer schlechter Krieg.

Alles fing vergleichsweise harmlos an, als in der Nacht vom 5. zum 6. September ein israelisches Kampfflugzeug in den syrischen Luftraum eindrang und ein oder mehrere Objekte abwarf. »Munition« sei es gewesen, sagen die Syrer. Der israelische Pilot sei, als er von der Luftabwehr unter Feuer genommen wurde, so erschrocken gewesen, daß er schnell das Weite suchte und sich dabei von Ballast befreite, heißt es aus Jerusalem. Türkische Nachrichtendienste, die Syrien im Auftrag der NATO überwachen, behaupten, es habe sich bei den abgeworfenen Gegenständen um zwei Zusatztanks gehandelt. Sie seien später in der nordsyrischen Wüste gefunden worden. Diese Treibstofftanks ermöglichen es israelischen Kampfjets der neusten Generation, in einem Umkreis von 2000 Kilometer ohne Auftanken in der Luft zu operieren. Innerhalb dieses Radius liegt auch Iran. Die britische Tageszeitung The Observer stellte daher am Sonntag die nicht unberechtigte Frage: »War der israelische Flug eine Trockenübung für einen Angriff auf Iran?«

Im Bereich des Möglichen liegt das. Die israelische Regierung hüllt sich schließlich in absolutes Schweigen, verweigert jeden Kommentar. In Jerusalem will man den Vorfall weder bestätigen noch dementieren. Sie gibt damit zugleich grünes Licht für Spekulationen. Die ebenfalls britische Sunday Times berichtete ebenfalls am Sonntag, nicht nur eine einzelne Maschine, sondern die gesamte 69. Schwadron der israelischen Luftwaffe, acht Flugzeuge, sei an der Aktion beteiligt gewesen. Bei der Übung sei ein Angriff auf ein Lager mit »nuklearem Material« aus Nordkorea getestet worden, das bei einem realen Angriff erfolgreich zerstört worden wäre. Tatsächlich gehe man von der Existenz eines solchen Nuklearlagers aus, dessen Inhalt für den arabischen Raum bestimmt sei, heißt es in dem Blatt weiter. Als Quellen für solche Annahmen werden »einige Beamte in Amerika« genannt.

Diese Informanten aber sind so zuverlässig, wie die von der Sunday Times erwähnten, aber nicht näher bezeichneten »israelischen Quellen«. Nach deren angeblichen Aussagen wurde die Operation schon seit dem späten Frühjahr vorbereitet. Die israelische Regierung sei von der Sorge getrieben, daß Syrien demnächst Atomsprengköpfe auf seine 60 bis 120 Scud-Raketen montieren könnte, die es im Laufe der letzten 15 Jahre von Nordkorea gekauft habe.

Schon am Dienstag voriger Woche (11. Sept.) hatte der US-amerikanische Fernsehkanal CNN gemeldet, es habe sich um einen regelrechten Luftangriff gehandelt, an dem möglicherweise sogar Bodentruppen beteiligt gewesen seien. Federführend für diese Story war die bekannte Korrespondentin Christiane Amanpour, die »nahöstliche und amerikanische Quellen« als Herkunft ihrer Kenntnis angab.

Auch New York Times und Washington Post beteiligen sich eifrig an den Spekulationen, für die fast ausschließlich anonyme Quellen benannt werden. Eine Ausnahme ist der frühere US-Botschafter bei der UNO, John Bolton, ein berüchtigter Neokonservativer. Außer dem bloßen Verdacht, Nordkorea könnte vielleicht versuchen, Atommaterial nach Syrien oder Iran zu verschieben, hatte Bolton zur Sache nichts beizutragen hat.

Der Vorfall lehrt einmal mehr, wie schnell sich westliche Medien in Hysterie versetzen lassen. Auch und gerade ohne jede Fakten. Das kommt nicht unerwartet. Erschreckend ist es trotzdem.

* Aus: junge Welt, 17. September 2007


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