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Generalstreik blieb virtuell

Aufruf zum Ausstand in Syrien wurde offenbar nicht befolgt

Von Karin Leukefeld, Beirut *

Ein Aufruf zum Generalstreik in Syrien am gestrigen Mittwoch (18. Mai) hat nicht die erwünschten Massen gegen die Regierung von Präsident Baschar Al-Assad mobilisiert. Die von Schweden aus betreute Webseite »Syrische Revolution 2011« hatte »die freien Revolutionäre« in dem arabischen Land zu einem »Tag der Bestrafung« aufgerufen, um das Regime wirtschaftlich zu treffen. »Massenproteste, keine Schulen, keine Universitäten, keine Geschäfte oder Restaurants, nicht einmal Taxis« sollten am Mittwoch funktionieren, hieß es in dem Aufruf. Auf der Facebookseite war das Bild eines Kindes zu sehen, überschrieben mit dem Satz: »Vater, deine Teilnahme an dem Streik ist eine Garantie für meine Zukunft.«

Aus ländlichen Gebieten und Städten wie Lattakia, Homs, Banias, Deraa oder Aleppo lagen bis Redaktionsschluß keine Berichte darüber vor, ob der Streik­aufruf befolgt wurde. Zumindest in Damaskus hatte der Aufruf jedenfalls keine Auswirkungen, wie Einwohner gegenüber jW berichteten. Busse und Taxis seien normal gefahren, Geschäfte geöffnet gewesen. Ein Grund für die Nichtbefolgung des Streikaufrufes könne zumindest in der syrischen Hauptstadt gewesen sein, »daß den Leuten der Mut fehlt und niemand auf die täglichen Einnahmen verzichten« könne, so die Einschätzung. Ein anderer Grund könnte auch sein, daß durch die westlichen Sanktionen und Reisewarnungen die erste Jahreshochsaison für den syrischen Tourismus komplett eingebrochen ist und der Wirtschaft bereits erheblich geschadet hat. Hotels, Restaurants, Geschäfte und Transportunternehmen haben geschlossen, ihr Personal entlassen, auf Teilzeit gesetzt oder den Lohn gekürzt. In der Damaszener Altstadt sind viele Geschäfte geschlossen, selbst der Tourismussektor im Nachbarland Libanon ist betroffen.

Ein weiterer Grund dafür, daß der Aufruf zum Streik per Facebook in Syrien nicht gefruchtet hat, dürfte sein, daß Protestierende im Land den Aufruf gar nicht kennen. So sagten junge Leute aus der Mittelschicht, die sich selber der Protestbewegung in Damaskus zuordnen, gegenüber /junge Welt/, daß ausländische Facebookseiten keinen Kontakt mit ihnen hätten. Die Seite »Syrische Revolution 2011« war bei den jungen Leuten ebensowenig bekannt wie andere Homepages, die von ausländischen Zeitungen als Quellen für ihre Berichterstattung aus Syrien genutzt werden. Diese jungen Leute betonten, sie organisierten selber Aktionen in der Hauptstadt und würden »aus Sicherheitsgründen« Aufrufe ausschließlich mündlich weitergeben.

Frankreich und die USA arbeiten derweil an einer Resolution des UN-Sicherheitsrates gegen Syrien. Anders als im Fall Libyen könnten China und Rußland diesmal jedoch ihr Veto einlegen. Der russische Präsident Dmitri Medwedew machte bereits deutlich, daß Rußland jede Resolution, die ein militärisches Vorgehen beinhalte, ablehnen werde. Syrien müsse seine internen Probleme selber lösen. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton kündigte hingegen nach einem Treffen mit US-Außenministerin Hillary Clinton in Washington neue Sanktionen gegen die syrische Regierung an.

Unterdessen wurden am Dienstag (17. Mai) mit Mustafa Jouma Bakr, Sadoun Mahmoud Sheikho und Mohammed Said Hussein Al-Omar drei führende Mitglieder der syrisch-kurdischen Partei Azadi freigelassen. Bereits am Sonntag (15. Mai) war der populäre Oppositionelle Riad Seif aus der Haft entlassen worden.

* Aus: junge Welt, 19. Mai 2011


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