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100 Millionen Dollar Rebellensold

Die syrischen Regimegegner werden von den Golfmonarchen bewaffnet

Von Roland Etzel *

Die ölreichen Monarchien am Persischen Golf haben der syrischen Opposition in Istanbul 100 Millionen Dollar versprochen. Damit könnten Assads Gegner Waffen kaufen und eine Söldnertruppe anwerben. Nicht allein deshalb gab es heftige Kritik Russlands an der Konferenz in der Türkei.

Abdullah ibn Abd al-Aziz und Hamad ibn Chalifa Al-Thani haben keine Lust mehr, so zu tun als ob. Der König von Saudi-Arabien und der Emir von Katar beendeten in der Nacht zum Montag bei der Konferenz der »Freunde Syriens« nun auch öffentlich ihr vermeintliches Bemühen um eine friedliche Lösung der Konflikte in Syrien. 100 Millionen Dollar sollen die bewaffneten Gruppen der Regierungsgegner in diesem Quartal erhalten. Auch die Vereinigten Arabischen Emirate wollen sich an der Finanzierung beteiligen.

Die Monarchen äußerten sich nicht selbst, sondern überließen es Molham al-Drobi, einem der Begünstigten, den Coup gegenüber der »New York Times« öffentlich zu machen. Drobi, der in Istanbul für den Syrischen Nationalrat (SNR) sprach, nahm kein Blatt vor den Mund. Man wolle mit dem Geld vor allem im Ausland Waffen kaufen, eine Guerilla-Truppe bezahlen und weiteren Angehörigen der syrischen Armee einen »Anreiz zur Desertion« geben. Das 47-jährige Führungsmitglied der Muslimbruderschaft wurde einst in der syrischen Provinz Homs geboren, lebt aber seit Langem im Exil in Toronto (Kanada). Nach der politischen Offenherzigkeit seiner Sponsoren muss Drobi nun auch keine Rücksicht mehr auf die Annan-Mission nehmen. Ohnehin hatten die im SNR organisierten Exilpolitiker nicht vor, auf Einladungen zum Dialog bzw. Trialog mit Vertretern der syrischen Regierung und UN-Vermittler Kofi Annan einzugehen.

Bereits vergangene Woche, so der redselige Drobi, habe man »aus diesen Quellen« eine halbe Million Dollar erhalten und in Syriens Nachbarländern Irak und Türkei Kriegsmaterial erwerben können. Auf Drobis SNR-Homepage ist übrigens immer noch als eines der Hauptziele der Organisation genannt, man wolle alle »Kräfte zur Unterstützung der friedlichen Revolution vereinen ...« (Focusing efforts to support the peaceful revolution); ein Programm allein für die Galerie.

Russland hat die Konferenz in Istanbul, an der es nicht teilgenommen hatte, wo es aber wohl auch nicht erwünscht war, kritisiert, weil sie jegliche friedliche Option zur Konfliktlösung offenbar fallengelassen habe. Außerdem seien in Anwesenheit der Außenminister der wichtigsten NATO-Staaten - und also offenbar mit deren Wohlwollen - Verabredungen zum Krieg gegen ein UNO-Mitglied getroffen worden.

Der LINKE-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Gehrcke kritisierte die Teilnahme deutscher Regierungsvertreter in Istanbul. Berlin lasse »Annan im Regen stehen«, um sich wirtschaftliche Pfründe für eine Nach-Assad-Zeit zu sichern.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 3. April 2012


Waffen statt Worte

Von wegen Vermittlungsgespräche: Die »Freunde Syrien« ermuntern Assad-Gegner zur Fortführung des Kampfes. Die Aufständischen bekommen 100 Millionen US-Dollar

Von Karin Leukefeld **


Die »Freunde Syriens« haben ihre Perspektive für den »Regime change« in Damaskus bekräftigt. Auf einem Treffen am Sonntag in Istanbul erkannte das selbsternannte Gremium den oppositionellen Syrischen Nationalrat (SNR) als »legitimen Vertreter des syrischen Volkes« an und stimmte zu, diesen finanziell, politisch und logistisch zu unterstützen. Eine Arbeitsgruppe soll prüfen, welche weiteren Sanktionen gegen Syrien verhängt werden können. Kofi Annan, der als Syrien-Beauftragter der Arabischen Liga und der Vereinten Nationen für einen Plan wirbt, mit dem die Gewalt in Syrien beendet und ein nationaler Dialog aufgenommen werden soll, erhielt zwar nominell die Unterstützung des Treffens. Gleichzeitig hieß es aber, Damaskus müsse eine Frist gesetzt werden, den Plan umzusetzen. US-Außenministerin Hillary Clinton schließlich dekretierte: »Die Welt wird nicht zögern, Assad muß gehen.«

Rußland, China und Iran blieben – wie die meisten der in den Vereinten Nationen organisierten Staaten – dem Treffen fern. Der Irak nahm entgegen einer Ankündigung, nicht nach Istanbul zu kommen, um eine mögliche Vermittlerfunktion nicht zu gefährden, an dem Treffen teil. Allerdings sprach sich Ministerpräsident Nuri Al-Maliki klar gegen jede Bewaffnung von Aufständischen aus und lehnte erneut Rücktrittsforderungen an Präsident Baschar Al-Assad ab.

SNR-Chef Burhan Ghalioun kündigte in der Bosporusmetropole an, man werde den Kämpfern der »Freien Syrischen Armee« fortan ein monatliches Gehalt zahlen. Mit Geld würden auch Soldaten und Offiziere der regulären syrischen Armee belohnt, so sie sich zum Überlaufen entschließen. Saudi-Arabien, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate haben dem SNR für die kommenden drei Monate Millionen Dollar versprochen, damit dieser seine angekündigten Soldzahlungen tätigen kann. Molham Al-Drobi vom SNR sagte gegenüber der New York Times, man habe bei den »Freunden Syriens« 176 Millionen US-Dollar an humanitärer Hilfe beantragt und 100 Millionen US-Dollar, um die Kämpfer bezahlen zu können. Man erhalte bereits Geld, in der vergangenen Woche waren es den Angaben zufolge 500000 US-Dollar. Wie und von wem das Geld gezahlt wurde, wollte Al-Drobi nicht verraten.

US-Außenministerin Clinton kündigte die Zahlung von zwölf Millionen US-Dollar für humanitäre Hilfe an. Das Geld fließe an internationale Organisationen. Erstmals bestätigte die Chefin des State Departement, daß die US-Regierung Ausrüstung für Satellitenkommunikation an die Aufständischen liefert, um »Angriffen des Regimes auszuweichen« und mit der Welt in Verbindung zu bleiben. Die Technologie soll auch helfen, die reguläre syrische Armee besser infiltrieren zu können. Nach Angaben eines SNR-Vertreters liefern die USA auch Nachtsichtgeräte. Mit der finanziellen und materiellen Unterstützung plane man, die unkoordinierten Kämpfer der »Freien Syrischen Armee« zu einer »schlagkräftigen Truppe« auszubilden, sagte ein namentlich nicht genanntes Mitglied des SNR der britischen BBC. Unzufrieden zeigten sich SNR-Vertreter darüber, daß der Nationalrat lediglich als »legitime« und nicht als »einzige Vertretung« Syriens anerkannt wurde. Von Beobachtern wird das als Kompromiß gewertet, um andere Oppositionsgruppen nicht zu verprellen.

Haitham Manna, Sprecher des Nationalen Koordinationskomitees im Ausland, bezeichnete gegenüber junge Welt das Treffen in Istanbul als »Heuchelei« von allen Seiten. Der »Syrische Nationalrat« sei nicht die wesentliche Vertretung »der organisierten syrischen Revolution«. Im Laufe seines Bestehens sei der Rat »in Syrien und außerhalb« wohl nie so wenig akzeptiert gewesen, wie heute. »Für Anerkennung und Geld« habe der SNR jeden Anspruch auf Unabhängigkeit verloren, sagte Manna. »Um etwas entscheiden zu können, brauchen sie heute die Zustimmung aus Ankara, Doha, Riad und von Madame Clinton«. Die Mehrheit der syrischen Opposition sei bei dem Treffen in Istanbul nicht anwesend gewesen. Dazu gehöre »der kurdische Block, die lokalen und das nationale Koordinationskomitee und das Demokratische Forum«. Diese Gruppen zusammengenommen seien »stärker als der SNR«, sagte Manna. »Sowohl in Syrien, als auch außerhalb.«

Die von den »Freunden Syriens« getroffenen Entscheidungen deuten darauf hin, daß man auf die Opposition und die bewaffneten Aufständischen nicht im Sinne des von Kofi Annan vorgelegten Plans einwirken will.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 3. April 2012

Bundesregierung unterminiert Annans Friedensplan

Dokumentiert: Wolfgang Gehrcke, Obmann im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages für die Fraktion Die Linke, erklärte zur Eskalation des syrischen Konflikts:

Die Bundesregierung mischt munter mit bei den sogenannten Freunden Syriens, um sich wirtschaftliche Pfründe für eine Nach-Assad-Zeit zu sichern. Stillschweigend werden von ihr damit die Abermillionen Dollar toleriert, mit denen die lupenreinen Golf-Demokratien Saudi-Arabien, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate den bewaffneten Konflikt weiter anheizen. Annans Friedensplan wird auf diese Weise auch von Deutschland unterminiert, das offiziell immer wieder ein Stück weit Distanz zu den sogenannten Aufständischen in Syrien signalisiert.

Offenkundig lautet die wichtigste Lehre für die Bundesregierung aus dem Libyen-Krieg, daß sie zumindest unter der Hand beim gewaltsamen »Regime change« nicht abseits stehen darf, wenn sie der deutschen Wirtschaft Einfluß und Geschäftschancen in Syrien sichern will. Deshalb beteiligt sie sich an der Arbeitsgruppe »syrische Wirtschaftspolitik in der Nach-Assad-Zeit« der selbsternannten »Freunde des syrischen Volkes«. Der syrischen Wirtschaft soll von außen ein neoliberales Konzept verordnet werden. Um den wirtschaftlichen Einfluß in Syrien, den Umbau von Staatsindustrie wetteifern die Türkei, die Golfstaaten, aber auch die alten Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien. Wo soviel zu holen ist, will Deutschland nicht zurückstehen.

Wer Annans Friedensplan eine Chance geben will, muß gegenüber beiden Konfliktparteien für einen umgehenden Waffenstillstand eintreten und Verhandlungsspielraum eröffnen. Die Bundesregierung redet zwar davon, paktiert aber insgeheim mit Kräften, die eine Verhandlungslösung ablehnen. Kofi Annan scheint der einzige wirkliche Freund Syriens zu sein. Daß ihn die Bundesregierung im Regen stehen läßt, sagt viel über das Demokratie- und Diplomatieverständnis der deutschen Außenpolitik.

*** Aus: junge Welt, Dienstag, 3. April 2012




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