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Mißfelder ruft nach Weltpolizei

Unions-Sprecher sieht Militäreinsatz in Syrien als Option *

In der Unionsfraktion des Bundestages wird ein Militäreinsatz in Syrien jetzt als Option gesehen.

Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Philipp Mißfelder, schließt ein militärisches Eingreifen des Auslands in Syrien nicht mehr aus.

Der Friedensplan von Sondervermittler Kofi Annan sei offensichtlich gescheitert, sagte der CDU-Politiker am Montag der Deutschen Welle. »Wenn die UNO jetzt nicht schnell handelt, dann wird sie als Weltpolizei nicht mehr ernst genommen«, erklärte Mißfelder. »Ich bin der Meinung, dass eine militärische Option nicht ausgeschlossen werden darf.« Nur »Gerede« werde jetzt nicht mehr helfen. Der CDU-Politiker ging damit auf Distanz zu Außenminister Guido Westerwelle (FDP), der einen Militäreinsatz bislang nicht befürwortet.

In den vergangenen Tagen hatten auch Frankreichs Präsident François Hollande und der britische Außenminister William Hague über einen Einsatz spekuliert. Derzeit sind in Syrien nur unbewaffnete Beobachter der Vereinten Nationen vor Ort.

Die syrischen Regimegegner haben König Abdullah II. von Jordanien gebeten, die Grenze für syrische Flüchtlinge geöffnet zu lassen. In einem am Montag verbreiteten Appell im Namen der »Allgemeinen Kommission für die Syrische Revolution« hieß es: »Mit Trauer und Bedauern haben wir festgestellt, dass Syrer, die nach Jordanien kommen, dort nicht mehr willkommen sind.« In den vergangenen Tagen seien unter anderen Verletzte, Frauen und Kinder zurückgeschickt worden.

Schon seit einigen Wochen mehren sich Berichte über Oppositionelle und Flüchtlinge, denen die Einreise nach Jordanien verwehrt wird. Aus der Exil-Opposition heißt es dazu, die jordanischen Behörden befürchteten einen destabilisierenden Effekt durch die Ankunft der zahlreichen Gegner von Syriens Präsident Baschar al-Assad.

Offiziell ist die jordanische Grenze für syrische Flüchtlinge aber nicht geschlossen. Seit Freitag seien mehr als 400 Syrer angekommen, hieß es von Helfern in Jordanien. Seit März 2011 sollen mehr als 120 000 Syrer in das Nachbarland geflohen sein.

Ein Nachrichtenportal der syrischen Opposition schrieb derweil unter Berufung auf eine Brigade der Freien Syrischen Armee, in der Provinz Homs hätten Deserteure am Montag mehrere gepanzerte Fahrzeuge der Truppen Assads zerstört. Außerdem hätten sich in einem Stützpunkt der Luftwaffe zahlreiche Soldaten und Offiziere den Deserteuren angeschlossen.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 12. Juni 2012


Kaffeehaus-Krieger

Von Roland Etzel **

Schon wieder Mißfelder. Wird in der Union einer gebraucht, der mal eben nach Krieg ruft, kann man sich auf den außenpolitischen Sprecher der CDU/CSU im Bundestag verlassen. Vor sechs Monaten redete sich der Mann in Harnisch und brandmarkte die Zögerlichkeit des Westens, das Regime in Iran militärisch zu züchtigen. Das äußerst verhaltene Bedürfnis der Verbündeten nach neuen Kriegsfronten führte aber dazu, dass er seinen Hang zum Feldgeschrei zunächst zügelte.

Bis jetzt, denn Mißfelder meldete sich gestern aus der Etappe zurück. Diesmal möchte er Syriens Assad die Instrumente nicht nur zeigen und fordert, die »internationale Gemeinschaft« müsse endlich militärisch eingreifen. Zu mehr hat der Mut allerdings nicht gereicht. Denn Mißfelder kritisiert Außenminister Westerwelle wegen dessen vermeintlich zu weicher Haltung gegenüber Syrien. Einmal abgesehen davon, dass auf dem politisch erledigten Westerwelle nicht einmal mehr die Opposition herumtrampelt - es ist vor allem Mißfelders Parteifreund und Kanzle᠆rinvertrauter, Verteidigungsminister de Maizière, der einen Militäreinsatz in Syrien, wie er von »irgendwelchen Kaffeehausintellektuellen« (de Maizière) gefordert wird, strikt ablehnt. Wahrscheinlich legt Mißfelder jetzt wieder eine Pause ein, vielleicht eine Kaffeepause.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 12. Juni 2012 (Kommentar)


Kampf um Syriens Städte

Britischer Journalist wirft Aufständischen Mordpläne vor ***

In Syrien halten die Kämpfe zwischen den Regierungstruppen und Aufständischen weiter an. Oppositionsquellen zufolge attackierten Soldaten der syrischen Armee am Montag die von den Rebellen besetzte Stadt Rastan im Zentrum des Landes. Gekämpft wurde demnach auch in Homs und Hama, Daraa, Aleppo, Vororten der Hauptstadt Damaskus sowie in Deir Al-Sur. Dabei setze die Armee inzwischen verstärkt Hubschrauber ein, »nachdem ihre Bodentruppen große Verluste erlitten haben«, hieß es von der »Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte« in London. Der Fernsehsender Russia Today aus Moskau berichtete, die Aufständischen hätten mit Waffengewalt eine Basis der Luftstreitkräfte bei Homs besetzt.

Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Philipp Mißfelder, rief am Montag wieder lautstark nach einer Intervention. »Ich bin der Meinung, daß eine militärische Option nicht ausgeschlossen werden darf«, sagte der CDU-Politiker der Deutschen Welle.

Unterdessen hat ein Reporter des britischen Fernsehsenders Channel 4, der aus Syrien berichtet hatte, den Aufständischen vorgeworfen, ihn in einen Hinterhalt gelockt zu haben, um seine Erschießung durch Regierungstruppen zu provozieren. Alex Thomson erklärte in seinem Internetblog, er sei gemeinsam mit seinem Fahrer, einem Dolmetscher und zwei weiteren Journalisten von den Rebellen in eine Sackgasse gelockt worden, als sie hinter die Regierungslinien zurückkehren wollten. Dann sei ein Schuß gefallen. Dies sei kein Versehen gewesen, ist Thomson überzeugt. »Ich bin sicher, daß die Rebellen das bewußt arrangiert haben, damit wir von der syrischen Armee erschossen werden. Tote Journalisten sind nicht gut für Damaskus«, schrieb er. Thomson hat das Land inzwischen verlassen.

Der französische Journalist Thierry Meyssan spekuliert auf seiner Internetseite Voltairenet.org sogar über eine großangelegte Propagandaaktion der NATO gegen Syrien. Demnach bereite das westliche Militärbündnis eine virtuelle Übernahme der syrischen Fernsehsender vermutlich ab Freitag mittag vor. Dann werde über Satelliten nur noch ein Programm ausgestrahlt, das von der CIA vorproduziert wurde und den Eindruck eines zusammenbrechenden Regimes vermitteln solle. Dadurch solle dann ein Staatsstreich gegen die Regierung von Präsident Baschar Al-Assad provoziert werden. (AFP/dapd/Reuters/jW)

*** Aus: junge Welt, Dienstag, 12. Juni 2012


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