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Handyfilme in Endlosschleife

MEDIENgedanken: Syrien und die Medien

Von Karin Leukefeld *

»Sind Sie tatsächlich die letzte deutsche Journalistin dort«, fragte mich dieser Tage ein Kollege am Telefon. Seit zwei Jahren bin ich in Syrien als Korrespondentin akkreditiert und kann – anders als Journalisten, die für jede Einreise ein neues Pressevisum brauchen – problemlos ein- und ausreisen. Vor wenigen Jahren waren hier noch weitere Kolleginnen. Ab und zu flogen Korrespondenten von Funk und Fernsehen ein, manchmal rauschten auch Vertreter großer Wochenmagazine vorbei, interviewten – ohne lange Wartezeiten – den Präsidenten oder andere Vertreter aus Politik und Wirtschaft. Anschließend verfassten sie einen Bericht, der in der täglichen Informationsflut rasch vergessen war. Zwei Millionen irakische Flüchtlinge, Dürre, wirtschaftliche Öffnung waren kaum ein Thema.

Heute ist es umgekehrt. Seit Wochen bestimmt Syrien die Schlagzeilen, obwohl »keine ausländischen Reporter« in das Land einreisen dürfen, wie immer wieder betont wird. Auf welchen Quellen basieren die Meldungen? Wie werden Aussagen, Bilder und Informationen überprüft? Gejagt von immer schneller werdenden Informationsströmen geraten Wahrheit und Lüge durcheinander, zumal über »soziale Netzwerke« wie Facebook und Twitter, Quellen gar nicht mehr verifizierbar sind. Mehrmals mussten sich namhafte Medien in den letzten Wochen für das Ausstrahlen von Material entschuldigen, das angeblich Vorgänge in Syrien zeigen sollte. Tatsächlich stammten die Aufnahmen aus Irak, Jemen, Libyen oder sonst woher. Doch bekommt das Publikum, das tags zuvor die angeblichen Syrien-Bilder gesehen hatte, die Entschuldigung auch mit?

Der »Focus« schrieb in seiner Ausgabe vom 25. April unter Berufung auf einen Einwohner der Stadt Daraa über ein Massaker in der Stadt. Panzer hätten das Feuer eröffnet, Tote lägen auf den Straßen. »Kinder werden getötet. Wir haben seit drei Tagen keinen Strom. Wir haben kein Wasser«, sagte der Einwohner.« Als Quellen werden AFP, dapd, Reuters genannt. Zwei Monate später berichtet mir ein Vertreter des Internationalen Komitees des Roten Kreuz (IKRK) in Damaskus über einen eintägigen Einsatz in Daraa Ende April, zusammen mit dem Syrischen Roten Halbmond. Zwei Tanklastwagen mit frischem Trinkwasser hätten die Stadt gefüllt wieder verlassen, »es gab keinen Wassermangel«. Wie glaubwürdig sind dann die anderen »Meldungen«?

Nicht, dass bei den Protesten seit Mitte März in Syrien keine Opfer zu beklagen wären. Unbestätigten Quellen zufolge starben 1300 Zivilisten, die Armee spricht von 300 getöteten Soldaten und Sicherheitskräften. Tausende Demonstranten wurden festgenommen. Die Opposition, die sich dieser Tage erstmals in Damaskus traf, fordert eine unabhängige Untersuchung der Geschehnisse. Verletzte und Tote auf beiden Seiten sprechen in Teilen des Landes für einen bewaffneten Konflikt, der recherchiert werden müsste, auch unter schwierigen Bedingungen. Was ist geschehen? Wer schießt, wer schießt zurück? Was sagen Offizielle, was sagen Betroffene? Wer sind die Akteure der syrischen Protestbewegung, was sind ihre Ziele? Fragen über Fragen, eine Herausforderung für journalistische Arbeit.

Einfach ist es nicht, in Syrien Hintergründe zu erfahren. Es gibt staatliche Restriktionen, Behörden schränken die Bewegungs- und Arbeitsfreiheit von Journalisten ein. Zu Beginn der Ereignisse in Daraa, dem Ort an der syrisch-jordanischen Grenze, konnten akkreditierte Journalisten von dort berichten. Gut erinnere ich mich an das Interview einer Reporterin des Senders Al Jazeera (Englisch) mit einem Mann in Daraa. Auf die Frage: »Ist dies ein Aufstand gegen das Regime?« antwortete er sinngemäß: »Nein, wir wollen respektiert werden und bessere Lebensbedingungen.« Bald wurde geschossen und zurückgeschossen, Informations- und Verteidigungsministerium untersagten Reportern »aus Gründen der Sicherheit«, nach Daraa und anderen Brennpunkten zu gehen. Wer sich nicht daran hielt oder unbestätigte Meldungen verbreitete, wurde ausgewiesen.

Bewegungs- und Recherchefreiheit für Journalisten ist ein Muss, Ausweisung und Einreisesperren – wie von den syrischen Behörden teilweise verhängt – sind inakzeptabel. Doch ebenso wichtig ist die Verpflichtung von Medien, über alle Seiten eines Konflikts zu berichten, nicht einen Konflikt einseitig zu befeuern. Schränkt ein Staat die Arbeitsmöglichkeiten für Reporter ein, versucht man normalerweise auf dem Weg des Dialogs, die Arbeit weiter zu gewährleisten.

Dieses Mal war es anders. Mächtige Sender wie BBC und Al Jazeera reagierten, als habe Syrien ihnen den Krieg erklärt und gingen zum Angriff über. Syrien war DIE Schlagzeile. In Endlosschleifen strahlte Al Jazeera (Arabisch) unbestätigte Handybilder und Telefonate mit Augenzeugen aus, die nur eine Botschaft hatten: »Das Regime mordet wahllos, das Regime muss weg«. Die englischen Programme beider Sender sorgten in der westlichen Welt für Deutungshoheit über das Geschehen in Syrien. Ihre Bilder und Kommentare fütterten andere Medien und wurden von den USA und der EU in massiven politischen Druck verwandelt. Inzwischen hat Syrien die Restriktionen für Journalisten gelockert, bringt Fernseh- und Fotoreporter (aus aller Welt übrigens) zu Brennpunkten, wo sie filmen, fotografieren und Augenzeugen befragen können. Doch es herrscht die Macht der Bilder in diesem Medienkrieg, selbst wenn sie unscharf sind. Hintergrundrecherche und das geschriebene Wort verlieren an Bedeutung.

* Die Autorin ist freie Journalistin und berichtet für ND aus dem arabischen Raum.

Aus: Neues Deutschland, 2. Juli 2011



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