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Ruf nach Militärschlag gegen Syrien

Massaker in Treimsa heizt Debatte an / CDU-Abgeordneter will Angriffe "wie in Libyen"

Von Roland Etzel *

Das Massaker von Treimsa in Nordwestsyrien wird in aller Welt verurteilt. Für die Gegner der syrischen Staatsführung ist es Anlass, abermals ein militärisches Eingreifen von außen zu fordern.

In Treimsa in Nordwestsyrien sollen in den vergangenen Tagen mindestens 150 Menschen ums Leben gekommen sein. Obwohl es von dem Massaker bisher keinerlei Authentizitätsbeweise, sondern lediglich Videobilder gibt, die von syrischen Regierungsgegnern ins Netz gestellt, wurden, wird die Tatsache massenhafter gewaltsamer Tötungen in dem Ort von keiner Seite in Zweifel gezogen. Um so heftiger flammt erneut der Streit darüber auf, wie die Menschen getötet wurden und wer dafür die Verantwortung trägt. Während die Gegner der syrischen Regierung von einem Massaker Assad-treuer Milizen sprechen, hat sich die derart beschuldigte Regierungsseite bisher kaum geäußert.

Entsprechend vorsichtig äußerte sich der UNO-Sondergesandte für Syrien, Kofi Annan, am Freitag in Genf. Die Berichte über die »Gräueltaten« in Treimsa, zitiert ihn AFP, hätten ihn »schockiert und entsetzt«. »Diese Brutalität« müsse aufhören. Im UN-Sicherheitsrat sei es nun wichtiger als jemals zuvor, dass »die Regierungen mit Einfluss« diesen unverzüglich auch ausübten, um die Gewalt zu stoppen.

Im Rat haben die westlichen Staaten, darunter Deutschland, erneut eine Resolution eingebracht, in der allein die syrische Regierung für den beinahe täglichen gewaltsamen Tod von Zivilisten verantwortlich gemacht wird. Dies wird von China und Russland, die mit ihrem Veto jede Resolution ablehnen können, zurückgewiesen. Auch die vom Ausland gestützte bewaffnete Opposition - Katar und Saudi-Arabien zahlen, die Türkei bewaffnet und öffnet ihre Grenze zu Syrien für die Kämpfer - müsse die Waffen niederlegen.

Verwiesen wird ferner auf eine Duplizität der Ereignisse. Auch als Ende Mai eine unter anderem von Deutschland und Portugal gegen Syrien gerichtete Resolution in den Rat eingebracht worden war, platzte die Nachricht von einem Massaker - dem in der Stadt Hula - in die Debatte. Damals wie jetzt forderten vor allem westliche Staaten und arabische Monarchien ein militärisches Engreifen der UNO nach Kapitel VII der Charta (Vorgehen bei Gefahr für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit). Der in Istanbul residierende Syrische Nationalrat verlangt laut dpa eine »militärische Intervention«. Bei einem Veto Russlands müsse »die Kontaktgruppe der Freunde Syriens allein handeln«.

Die Bundesregierung verurteilte laut AFP das Massaker. Regierungssprecher Steffen Seibert sprach von »wirklich entsetzlichen Nachrichten«. Syriens Führung müsse die UN-Beobachter nach Treimsa reisen lassen, damit untersucht werden könne, was sich dort zugetragen hat und wer die Schuld dafür trägt. Eher in Rambo-Manier gebärdete sich der CDU-Abgeordnete Karl-Georg Wellmann. Er befürwortet in der Berliner B.Z. »Militäraktionen gegen die syrische Armee ähnlich wie in Libyen«.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 14. Juli 2012


Die Toten von Treimsa

Syriens Öffentlichkeit fragt sich, wer hinter den Massenhinrichtungen steckt

Von Karin Leukefeld, Damaskus **


In Hama war gerade etwas Ruhe eingekehrt. Das Massaker hat die Bemühungen darum zunichte gemacht.

»Damit haben wir doch gerechnet. Jedes Mal, wenn im UN-Sicherheitsrat eine Resolution zu Syrien diskutiert wird, müssen wir hier dafür bezahlen.« Der Mann, der nicht möchte, dass sein Name in der Zeitung steht, blickt mit starren Augen auf den Fernseher, wo auf fast allen Kanälen seit Stunden über »ein neues Massaker durch syrische Regierungstruppen« berichtet wird.

Die ersten Meldungen kamen am Donnerstagabend als »Schlagzeile« auf dem katarischen Sender Al Dschasira. Die syrische Armee habe in dem Dorf Treimsa (Provinz Hama) ein Massaker angerichtet, der UN-Sicherheitsrat müsse eine Resolution nach Kapitel VII der UN-Charta beschließen und militärisch eingreifen. Quelle der Meldungen war die in London ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Unter Berufung auf einen »Revolutionären Rat von Hama« gab sie an, dass regierungsnahe Milizen in dem Ort Gräueltaten verübt und »eine Person nach der anderen« getötet hätten. Zuvor habe die syrische Armee den Ort umstellt und angegriffen.

»Mehr als 220 Menschen« seien in Treimsa getötet worden. Sie seien »von Panzern, aus Hubschraubern und von Artillerie« beschossen worden, es habe auch Massenhinrichtungen gegeben.

Im syrischen Fernsehen sagte Arif al-Khalid, ein telefonisch zugeschalteter Augenzeuge aus Treimsa, dass bewaffnete Kämpfer den Ort überfallen und darin wild gewütet hätten. Häuser seien angezündet und in die Luft gesprengt worden. Mehr als 50 Personen seien ermordet worden. Weiter hieß es, die Dorfbewohner hätten die Armee angerufen, die um 3 Uhr am Donnerstag das Dorf umstellt habe. Der Angriff habe um 6 Uhr begonnen, mehr als 150 Kämpfer seien getötet worden. Bei den festgenommenen Kämpfern habe man in Israel hergestellte Maschinengewehre gefunden.

In der libanesischen Onlinezeitung »Al Akhbar« wurde derweil eine weitere Version verbreitet. Danach seien vor allem bewaffnete Kämpfer der »Freien Syrischen Armee« in dem Dorf getötet worden, nachdem sie einen Militärkonvoi angegriffen hätten. Nicht mehr als sieben Zivilisten seien ums Leben gekommen, zitiert die Zeitung einen Mann namens Jaafar, der sich als Aktivist des Shaam-Nachrichten-Netzwerks ausgab. Dabei handelt es sich um eine mit US-Know-How und -Technologie aufgebaute Art Nachrichtenagentur der Aufständischen.

Der Leiter der UN-Beobachtermission in Syrien (UNSMIS), General Robert Mood, sagte bei einer Pressekonferenz am Freitagmorgen, das Beobachterteam in Hama habe anhaltende Kämpfe in der Umgebung von Treimsa bestätigt. Man habe aus einer Entfernung von fünf bis sechs Kilometern vom Kampfgeschehen feststellen können, dass »Panzer, Artillerie und Hubschrauber« im Einsatz gewesen seien. Sobald es einen zuverlässigen Waffenstillstand gebe, würden UN-Beobachter den Ort aufsuchen und versuchen, die Fakten zu verifizieren. Journalisten, für die es in den Kampfgebieten gefährlich ist zu berichten, können sich den UN-Beobachtern anschließen.

In den vergangenen Wochen war es dem neu ernannten Staatsminister für nationale Versöhnung, Ali Haidar, nach intensiven Gesprächen gelungen, dass etwas mehr Ruhe in die Provinz und die Stadt Hama eingekehrte. Haidar, der selber viele Jahre inhaftiert war, führt Gespräche mit allen Akteuren des Konflikts, auch mit den bewaffneten Aufständischen. Besonders in ländlichen Gebieten werden auch Geistliche und Stammesführer in Versöhnungsgespräche einbezogen. Die syrische Regierung versucht, Ort für Ort in die Gespräche einzubeziehen, um Gewaltorgien und Kämpfe zu stoppen und zu einem umfassenderen Dialog und zu Verhandlungen zu kommen.

Das Bemühen wird von politischen Beamten der UNSMIS unterstützt. General Mood gab am Freitag bekannt, dass es einem seiner Teams gelungen sei, zwischen verschiedenen Parteien in der ostsyrischen Provinz Deir Ezzor einen lokalen Dialog zu vermitteln. Man versuche, Vertrauen aufzubauen.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 14. Juli 2012


Secretary-General, UN-Arab League envoy condemn latest attacks on Syrian civilians

13 July 2012 – Secretary-General Ban Ki-moon and the Joint Special Envoy for the United Nations and the League of Arab States for Syria, Kofi Annan, today strongly condemned the attacks on Thursday in the Syrian village of Tremseh which reportedly resulted in over 200 deaths, adding that this violates the Government’s commitment to the six-point peace plan.

Mr. Ban said in a statement that he is “outraged” by reports of horrific mass killings in Tremseh in the province of Hama, noting that many civilians, including children and those fleeing shelling, were among those reportedly killed.

According to media reports, the village was bombarded by helicopter gunships and tanks and then stormed by militiamen who carried out execution-style killings. The victims were mostly civilians and, if confirmed, it would be the worst single incident of violence since the conflict began 16 months ago.

Mr. Ban said these acts of violence cast serious doubts on Syrian President Bashar al-Assad’s recent expression of commitment to the six-point plan presented by the Joint Special Envoy.

That plan calls for an end to violence, access for humanitarian agencies to provide relief to those in need, the release of detainees, the start of inclusive political dialogue, and unrestricted access to the country for the international media.

“The Syrian Government must halt this bloodshed and recognize that armed confrontation is the wrong course and must end now. I also urge the armed opposition to abide by its commitments under the six-point plan,” Mr. Ban said, adding that those responsible for these abuses must be brought to justice. He also called for an independent and impartial investigation into the killings and other abuses committed in Syria in the past 17 months.

In a statement released by his spokesperson, Mr. Annan said he was “shocked and appalled” by news coming out of Tremseh of intense fighting, significant casualties, and the confirmed use of heavy weaponry such as artillery, tanks and helicopters.

“This is in violation of the Government’s undertaking to cease the use of heavy weapons in population centres and its commitment to the six-point plan,” said the statement.

“I condemn these atrocities in the strongest possible terms. It is yet another reminder of the nightmare and the horrors Syrian civilians are being subjected to,” Mr. Annan said. “It is desperately urgent that this violence and brutality stops and more important than ever that governments with influence exert it more effectively to ensure that the violence ends – immediately.”

General Assembly President Nassir Abdulaziz Al-Nasser, in a statement issued by his spokesperson, called urgently on the Syrian authorities to provide the necessary protection and security to the UN observers so they can visit the site of the reported atrocities and verify reports.

UN observers in Syria have confirmed the use of mechanized units, indirect fire as well as helicopters in Tremseh yesterday, said the Head of the UN Supervision Mission in Syria (UNSMIS), General Robert Mood.

“From our presence in the Hama province we can verify continuous fighting yesterday in the area,” Gen. Mood told reporters in Damascus, adding that “UNSMIS stands ready to go in and seek verification of the facts, if and when there is a credible ceasefire.”

Under resolution 2043 adopted in April, the Council established UNSMIS – for three months and with up to 300 unarmed military observers – to monitor the cessation of violence in Syria, as well as monitor and support the full implementation of the six-point plan. In mid-June, UNSMIS suspended its monitoring activities due to an escalation of violence.

Gen. Mood underscored that in spite of the obstruction of the mission’s tasks due to the violence, UN observers are still engaging with parties on the ground in various provinces and facilitating local dialogues.

The three-month mandate of UNSMIS ends on 20 July, with the Council expected to meet before then to decide on its future.

The UN estimates that more than 10,000 people, mostly civilians, have been killed in Syria and tens of thousands displaced since the uprising against Mr. Al-Assad began last year.

Source: UN News Centre, 13 July 2012; http://www.un.org




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