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Arabische Liga entzweit über Syrien

Jordanien will keine Basis für Luftschläge gegen den Nachbarn sein

Von Oliver Eberhardt, Jerusalem *

Im Süden von Syrien hat es am Montag erneut schwere Kämpfe gegeben; mehrere tausend Flüchtlinge sind auf dem Weg nach Jordanien zwischen die Fronten geraten. Die Arabische Liga hat derweil vergeblich nach einer gemeinsamen Linie zu den geplanten Luftangriffen auf Syrien gesucht.

Die Lage sei ausgesprochen ernst, sagt ein Sprecher der jordanischen Armee. Bereits seit sechs Tagen sind Syriens Militär und Kämpfer der Opposition direkt an der Grenze zu Jordanien in erbitterte Kämpfe verwickelt; zuverlässige Angaben zu den Opfern gibt es nicht. Doch es dürften viele sein: Mehrere tausend Zivilisten sind zwischen die Fronten geraten Sie hatten sich auf den Weg nach Jordanien gemacht, um dem Bürgerkrieg zu entkommen. Nun sind sie mitten hinein geraten.

»Ich hoffe, dass es nicht zu einer weiteren Katastrophe kommt«, sagt der Sprecher. Denn auf der Suche nach Auswegen aus der Gewalt versuchten viele Menschen, die Grenze von der Wüste aus zu überqueren. Bei Temperaturen von bis zu 40 Grad in einem Gebiet ohne befestigte Straßen ist das lebensgefährlich. »Wir haben allein am Montagmorgen 150 Menschen aufgelesen, die allesamt am Ende ihrer Kräfte waren.«

Wie die Opposition in Syrien hatten auch viele der mittlerweile mehr als 120 000 Flüchtlinge in Jordanien ihre Hoffnung in Luftschläge gegen die Truppen der syrischen Regierung gesetzt. Von ihnen erwartete man, dass sie das Militär soweit schwächen, dass die Rebellen die Oberhand gewinnen, obwohl US-Außenminister John Kerry am Freitag gesagt hatte, dass es nicht das Ziel der geplanten Angriffe sei, in den Bürgerkrieg einzugreifen.

Dass nun zunächst gar nichts passieren wird, hat bei der Opposition, aber auch in den jordanischen Flüchtlingslagern für Wut gesorgt. Louay Safi, Sprecher der Syrischen Nationalkoalition, bezeichnete die Entscheidung von US-Präsident Barack Obama, vor einem Angriffsbefehl den Kongress zu fragen, als Führungsversagen: »Obama hatte die Aufgabe, zu handeln, und nicht zu zögern.« Das russische Parlament will nun mit dem US-Kongress darüber diskutieren. Präsident Wladimir Putin unterstützte bei einem Treffen mit den Spitzen beider Parlamentskammern das Vorhaben.

Die muslimische Welt ist sich uneins. »Die Vereinigten Staaten sollten es vermeiden, sich in ein Abenteuer zu begeben, dessen Ausgang sie nicht kennen«, sagt Marzieh Afkham, die Sprechern des iranischen Außenministeriums gegenüber »nd«: »Wir haben die möglichen Konsequenzen bereits deutlich gemacht. Wir sind der Ansicht, dass nur eine politische Lösung Syrien helfen kann. Unsere Regierung ist bereit, dabei mitzuhelfen.«

Die Arabische Liga ist indes über der Frage der militärischen Intervention tief gespalten: Bei einem Treffen der Außenminister der 22 arabischen Staaten (den Platz der syrischen Regierung hat die Opposition eingenommen) fand sich keine Mehrheit für eine Unterstützung von Militärschlägen; am Ende wurde nur eine Resolution verabschiedet, in der der Giftgaseinsatz verurteilt und gefordert wird, die Schuldigen vor ein internationales Gericht zu stellen.

Während der jordanische Regierungschef Abdullah Ensur am Sonntag während eines Treffens des Regierungsrates für Heimatschutz erneut klar stellte, dass Jordanien nicht als Basis für Luftschläge gegen Syrien zur Verfügung stehe und seine Regierung auch keine Überflugrechte dafür gewähren werde, drängten beim Treffen der Arabischen Liga vor allem die Golfstaaten auf ein militärisches Eingreifen.

Eine Verurteilung des Giftgaseinsatzes sei nicht genug, sagt der saudische Außenminister Saud al-Faisal: »Es ist nicht mehr akzeptabel, ein internationales Eingreifen als ausländische Einmischung zu verurteilen.«Für die internationale Gemeinschaft ist die Zeit gekommen, ihrer Verantwortung gerecht zu werden, und der Tragödie Einhalt zu gebieten.«

Doch viele andere arabische Staaten sind dennoch gegen ein militärisches Vorgehen: So forderten die Außenminister Ägyptens und Algeriens vehement, vor einem Militäreinsatz müsse es eine Resolution des UNO-Sicherheitsrates geben. Ägypten, dass unter den Muslimbrüdern auf seiten der Opposition stand, ist seit dem Sturz von Präsident Mohammed Mursi Anfang Juli wieder näher an Syriens Präsidenten Baschar al-Assad herangerückt.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 3. September 2013


Obama ohne Verbündete

Von Olaf Standke **

Präsident Obama gehen die Vasallen für einen Angriff gegen Syrien aus, der Rückhalt für einen Militärschlag bröckelt. Daheim haben fast 100 Kongressabgeordnete ihre Sommerpause vorzeitig beendet, um sich in Washington briefen zu lassen. Und nicht wenige quer durch alle Lager bezweifeln, dass der im Weißen Haus favorisierte »Blitzschlag« sinnvoll und effektiv sei. Sie befürchten, dass die USA so nur tiefer in den Konflikt hineingezogen werden könnten, ohne dass er gelöst wird.

Ähnlich ist das bei vielen Verbündeten. Dass Russland nach wie vor klare Beweise für einen Giftgaseinsatz des Assad-Regimes fordert und militärische Lösungen ablehnt, überrascht ebenso wenig wie Chinas anhaltendes Drängen auf eine Einbindung der Vereinten Nationen. Doch wenn NATO-Generalsekretär Rasmussen jetzt betont, er sehe für den Nordatlantik-Pakt, der in der Türkei Patriot-Abwehrraketen stationiert hat, keine »weitere Rolle« in dem Konflikt, und es sei an den einzelnen Mitgliedstaaten zu entscheiden, wie sie auf die Ereignisse in Syrien reagieren, dann zeigt sich: Nach der Ohrfeige im Unterhaus für den britischen Premier und Bellizisten David Cameron findet sich von den wichtigen westlichen Staaten nur noch das von den Sozialisten regierte und der NSA besonders dreist verwanzte Frankreich an Obamas Seite. Zumindest bis Mittwoch, wenn die Nationalversammlung in Paris zu einer Sondersitzung zusammentritt. Ginge es nach den Wählern, würde man sich nicht an einem Angriff beteiligen. 64 Prozent lehnen eine Intervention ab.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 3. September 2013 (Kommentar)


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