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Streit um Beobachter

Kritik, aber auch Unterstützung für Mission der Arabischen Liga in Syrien

Von Karin Leukefeld *

Die Beobachtermission der Arabischen Liga (AL) in Syrien ist weiterhin schwerer Kritik ausgesetzt. Vor allem Vertreter des im Ausland aktiven Syrischen Nationalrates (SNR) werfen den Beobachtern vor, sich von der syrischen Regierung täuschen zu lassen und nicht alle Brennpunkte der Auseinandersetzungen besuchen zu können. Am Montag (2. Jan.) zitierten westliche Medien namentlich nicht genannte Oppositionelle mit der Angabe, syrische Behörden hätten die Namensschilder von Ortschaften geändert, um die Beobachter in die Irre zu führen. Beweise wurden nicht vorgelegt.

Die Kritik erhielt am Montag weitere Nahrung durch Ali Al-Salem Al-Dekbas, den Vorsitzenden des Arabischen Parlaments. Al-Dekbas forderte den »sofortigen Rückzug« der Beobachter aus Syrien, weil diese »unbeabsichtigt« als »arabischer Deckmantel« fungierten und dem syrischen Regime helfen würden, »seine unmenschlichen Maßnahmen unter den Augen und Ohren der Arabischen Liga fortzusetzen«. Ein Treffen der arabischen Außenminister müsse den Abzug der Mission beschließen. Das Arabische Parlament ist ein Gremium von 88 Abgeordneten aller 22 arabischer Staaten und hat eine bedeutende Rolle bei der Isolation Syriens in der arabischen Liga gespielt. In einer ersten Stellungnahme der Arabischen Liga hieß es, die Beobachterteams sollten einen Monat in Syrien arbeiten. Eine weitere Gruppe von 20 Beobachtern traf am Montag in Damaskus ein.

Begrüßt wird die Mission der Beobachter weiterhin von anderen Teilen der syrischen Opposition. Der Leiter des Auslandsbüros der Nationalen Koordinationskomitees (Syrien), Haytham Manna, kritisierte zwar ausdrücklich die Entscheidung der Liga, den sudanesischen General Mustafa Al-Dabi mit der Leitung der Mission zu betrauen, er hoffe auf dessen Ablösung. Gleichzeitig betonte Manna, die Mission sei im Interesse der syrischen Protestbewegung. Gegenüber der New York Times kritisierte er, manche versuchten, »die arabische Initiative zu beerdigen, bevor sie in Gang gekommen« sei.

Syrische und im Lande arbeitende internationale Medien berichteten derweil von Besuchen der Beobachterdelegation in Vororten von Damaskus, Hama, Idlib und Daraa. In Homs, wo sich ein Beobachterteam seit einer Woche aufhält, wurden auch ein Militärkrankenhaus und ein Gefängnis besucht. Ein Reporter der staatlichen Tageszeitung Al-Thawra erlag am Montag seinen schweren Verletzungen, die er bei einem Angriff Bewaffneter in Daraya, außerhalb von Damaskus, erlitten hatte.

Eine angebliche Vereinbarung zwischen Vertretern des syrischen Nationalrats und dem Nationalen Koordinationskomitee, einem Zusammenschluß syrischer Protestgruppen, stellte sich unmittelbar nach Bekanntgabe als falsch heraus. Medien hatten am Sonntag berichtet, Vertreter beider Gruppen hätten sich auf ein politisches Programm für Syrien nach dem Sturz von Präsident Baschar Al-Assad geeinigt. Walid Al-Bunni, Leiter für Auslandsbeziehungen des syrischen Nationalrates erklärte gegenüber dem Nachrichtensender Al-Dschasira, es habe sich lediglich um eine »Idee oder einen Vorschlag« gehandelt, dem die Führung des Nationalrates noch zustimmen müsse. Haytham Manna, der auf seiten des Nationalen Koordinationskomitees an der Vereinbarung beteiligt war, sagte, man habe »35 Tage« über die Vereinbarung verhandelt. Die sieht offenbar eine Ablehnung »jeder militärischen Intervention« vor und ein »parlamentarisches System« für Syrien. Unklar ist, wie beide Seiten zu den militärischen Aktionen der »Freien Syrischen Armee« und einer eventuellen militärischen Intervention arabischer Staaten stehen.

* Aus: junge Welt, 3. Januar 2011


Wer schießt auf wen in Syrien?

Erster Bericht der arabischen Beobachtermission wird mit Spannung erwartet

Von Roland Etzel **


In syrischen Städten sind nach den Beobachtungen der Gesandten der Arabischen Liga weiterhin Heckenschützen im Einsatz. In dieser Weise äußerte sich erstmals der Generalsekretär der Liga am Montag in Kairo.

Dass in vielen syrischen Städten seit Wochen schon ein Klima der Angst und des scheinbar wahllosen Terrors herrscht, ist nach wie vor fast die einzige Formulierung, auf die sich die tief verfeindeten syrischen Konfliktparteien einigen können. Doch während die Regierungsgegner behaupten, Baschar al-Assads Truppen gingen erbarmungslos gegen unbewaffnete Demonstranten vor, beklagt der Präsident, »Terroristen« hätten bereits fast 2000 Angehörige der Sicherheitskräfte bei Anschlägen getötet. Assads Gegner zählen 5000 Opfer in den eigenen Reihen. Beide Seiten geben nur Zahlen der eigenen Opfer bekannt und bestreiten »unprovozierte« Tötungen durch ihre Bewaffneten.

Die Abgesandten der Arabischen Liga haben nun die nicht einfache Aufgabe, erstens für ein Ende des Tötens zu sorgen und zweitens Schuldige zu benennen. Das ist kompliziert genug, wird aber noch erschwert durch den von außen ausgeübten Druck, keine andere als die eigene Version der »Wahrheit« zu akzeptieren. Der Generalsekretär der Arabischen Liga, der Ägypter Nabil al-Arabi, zog sich am Montag beim Streit um die sogenannten Heckenschützen auf die salomonische Formel zurück: »Es ist schwer zu sagen, wer auf wen schießt.«

In den vergangenen Tagen hatte es widersprüchliche Aussagen zu den Scharfschützen gegeben. Der die Beobachtermission leitende sudanesische General Mohammed Ahmed Mustafa al-Dabi bestritt, dass eines seiner Teammitglieder die Präsenz von Heckenschützen in der Stadt Daraa bestätigt habe, die im Auftrag der Regierung in Damaskus handelten. Von den Assad-Gegnern wird Dabi nun angefeindet, weil er zu Hause angeblich in Menschenrechtsverletzungen verwickelt sein soll. In der Sache allerdings konnten die Kritiker nichts Konkretes gegen ihn vorbringen. Bis Wochenmitte soll Dabi der Arabischen Liga seinen ersten schriftlichen Bericht übermitteln. Liga-Generalsekretär Arabi sagte, dass seit Beginn der Beobachtermission 3484 Häftlinge aus syrischen Gefängnissen freigelassen worden seien.

Israels Verteidigungsminister Ehud Barak, einst Ministerpräsident der Arbeitspartei, meint, der Sturz des syrischen Präsidenten sei erstens nur noch eine Frage von Wochen und zweitens ein »Segen« für den Nahen Osten. Ersteres wird tatsächlich immer wahrscheinlicher. Dass Israel, das die syrischen Golan-Höhen seit 1967 widerrechtlich besetzt hält, allerdings mit einem vermutlich deutlich islamisch-militanter ausgerichteten Assad-Nachfolger besser bedient ist, dürfte zu bezweifeln sein.

** Aus: neues deutschland, 3. Januar 2011


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