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Dämonisierung statt Dialog

Das Ende des libyschen Staatschefs bewegt auch die Menschen in Syrien

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

»Assad und seine Familie werden in Syrien getötet werden«, Assad wird »getötet wie Ghaddafi.« Diese Drohung gegen den syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad kam im Januar 2012 von dem syrischen Richter und Menschenrechtsanwalt Haithem Maleh in einem Interview mit der britischen Tageszeitung The Telegraph. Maleh, der viele Jahre in syrischen Gefängnissen saß, als Menschenrechtsaktivist der mehrfach in Europa ausgezeichnet wurde und im März 2011 im Zuge einer Amnestie für Gefangene, die älter als 70 Jahre waren, freigelassen wurde und Syrien verlassen konnte, gehört zu den Gründungsmitgliedern des Syrischen Nationalrates (SNR). Weil er den SNR für nicht entschlossen genug hielt, verließ Maleh die Gruppe Anfang 2012 und bildete einen eigenen Rat, der sich eindeutig hinter die bewaffneten Aufständischen stellt. Kategorisch lehnt Maleh jeden Dialog in Syrien ab, den er in dem Interview als »Spiel« bezeichnet. »Wie können wir mit einem kriminellen Regime einen Dialog führen«, so Maleh in The Telegraph. »Wie können wir mit einer Person sprechen, die eine Pistole an unsere Köpfe hält.«

»Baschar (Al-Assad, jW) und Ghaddafi kann man unmöglich miteinander vergleichen«, ist »Naim« [1] im Gespräch mit jW überzeugt. Ghaddafi sei zum Ende seiner Herrschaft »größenwahnsinnig« geworden und habe völlig den Bezug zur Realität verloren, so der pensionierte Agraringenieur. »Er hielt sich für den König Afrikas, so etwas hat Baschar nie gesagt, so denkt er überhaupt nicht.« Den gewaltsamen Tod Ghaddafis hält »Naim« für ein abgekartetes Spiel westlicher Geheimdienste: »Sie wollten für Ghaddafi keinen Prozeß, weil er darüber hätte reden können, wie er Berlusconi und Sarkozy mit Geld unterstützt hat«, sagt er. Überhaupt sei die Ermordung Ghaddafis »grausam«, das Zurschaustellen von Bildern des Toten sei »menschenunwürdig und beschämend«. In vielen politischen Dingen sind »Naim« und sein kurdischer Bekannter »Mohamed« unterschiedlicher Meinung, einen Vergleich zwischen Ghaddafi und Baschar Al-Assad hält aber auch der Kurde für abwegig. »Der eine ist jung und gebildet und hat versucht, Syrien zu verändern. Der andere hatte eine völlig veraltete Vorstellung vom Regieren.« Dennoch müsse man sehen, daß Ghaddafi viel für die Libyer getan habe, wirft »Naim« ein: Finanzielle und medizinische Hilfe gab es für sie. »Libyen ist ein reiches Land, nicht wie Syrien«. Die Ermordung Ghaddafis hält »Mohammed« für »unmenschlich«. Obwohl er Kurde sei, verurteile er genauso die Hinrichtung von Saddam Hussein im Irak, »immerhin war er ein Präsident«. Und daß man Saddam Hussein am ersten Tag von Eid Al-Adha, dem islamischen Opferfest getötet habe, sei »beschämend für alle Muslime. Eid al-Adha ist ein Fest des Friedens«.

Persönliche Haß- und Rachegefühle gegenüber dem syrischen Präsidenten Assad werden vor allem von religiös motivierten Islamisten geschürt. Prediger wie der radikale salafistische Scheich Adnan Al-Arour, der den Konflikt in Syrien regelmäßig aus Saudi-Arabien per Satellitenfernsehen anheizt, greift vor allem die religiöse Gruppe der Alawiten, der Assad angehört, als »Ungläubige« an. Er droht, sie würden »im Fleischwolf landen und an die Hunde verfüttert werden« wie alle, die das Regime unterstützten. Die Dämonisierung des syrischen Präsidenten nahm kürzlich neue Ausmaße an, als im Fernsehen darüber diskutiert wurde, ob Adolf Hitler oder Baschar Al-Assad der grausamere Diktator sei. Auf Bildern im Internet, die auch von arabischen Sendern gezeigt werden, wird Assad mit Hitler-Bart und dessen typischer Haarfrisur dargestellt.

»Ali«, ein Computerfachmann, spricht von »psychologischer Kriegsführung«, mit der die Syrer eingeschüchtert werden sollten. Libyen sei »in gar nichts vergleichbar« mit Syrien. »Wir haben eine über Jahrhunderte gewachsene gesellschaftliche Struktur«, die nun zerschlagen werden soll. Das Schlimmste sind für Ali die Kämpfer und ihre Waffen, die gerade aus Libyen nach Syrien eingeschmuggelt worden seien. »Selbst wenn morgen eine Lösung gefunden wird, werden die ihre Waffen nicht mehr abgeben.«

[1] Alle Namen von der Redaktion geändert.

* Aus: junge Welt, Samstag, 20. Oktober 2012


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