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Lehren aus Libyen

"Für Regimewechsel nicht zuständig" – Rußland beharrt im Syrien-Konflikt auf Gesprächen. Der Westen fällt dem Kreml dabei in den Rücken

Von Rüdiger Göbel *

In Syrien halten seit zehn Monaten Proteste gegen die Regierung an. Zudem gibt es bürgerkriegsähnliche bewaffnete Auseinandersetzungen. Zunehmend wird auch die Infrastruktur des Landes sabotiert. Am Dienstag war eine Ölpipeline in der Provinz Homs gesprengt worden. Wie die syrische Nachrichtenagentur Sana unter Berufung auf Augenzeugen meldete, brach nach dem Anschlag ein Brand in der naheliegenden Ölraffinerie aus. Es war der fünfte Anschlag auf Öl- und Gaspipelines in der Provinz in einem Monat. Am Mittwoch wurden unbestätigten Angaben der Opposition zufolge bis zu zwölf Menschen getötet, darunter bei Gefechten nahe der Stadt Zabadanian an der syrisch-libanesischen Grenze fünf Angehörige der »Freien Syrischen Armee«. Sie gilt als die größte bewaffnete Gruppe der Aufständischen, wird von libyschen Milizen unterstützt und ist mit dem Syrischen Nationalrat verbunden. Nach UN-Schätzungen sind mehr als 5000 Menschen getötet worden. Die syrischen Behörden wiederum machen die bewaffnete Opposition für den Tod von mehr als 2000 Soldaten und Polizisten verantwortlich.

Rußland mahnt den Westen, den Konflikt in Syrien durch die einseitige Unterstützung der Gegner von Präsident Baschar Al-Assad weiter zu eskalieren. Sein Land habe nicht vor, den Staatschef in Damaskus von der Notwendigkeit seiner Abdankung zu überzeugen, erklärte der russische Außenminister Sergej Lawrow am Dienstag in einem Interview mit dem australischen Fernsehsender ABC. »Die russische Politik besteht nicht darin, jemanden um einen Rücktritt zu bitten. Regimewechsel sind nicht unsere Spezialität«, so Lawrow. Gleichzeitig wies der Minister Unterstellungen zurück, Rußland würde die syrische Führung bedingungslos unterstützen. »Wir sind keine Freunde und keine Verbündeten von Präsident Assad«, sagte Lawrow.

Auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses der Staatsduma, Konstantin Kossatschow, kritisierte, Rußlands Syrien-Position werde falsch bzw. unkorrekt interpretiert. »Es wird oft versucht, unsere Position als Unterstützung eines konkreten syrischen Machthabers bzw. von Baschar al-Assad, oder als auf den Schutz der russischen Interessen in Syrien ausgerichtet darzustellen«, sagte Kossatschow laut RIA Nowosti. Weder das eine noch das andere spiegele Moskaus Position wider. Sein Land handle ausschließlich im Einklang mit dem internationalen Recht. »Weder Rußland, noch Deutschland oder die USA oder jemand anderer darf bestimmen, ob das Regime legitim ist und ob es existieren darf. Dieses Recht ist ausschließliches Recht des syrischen Volkes«, so Kossatschow. Und er erinnerte daran, daß sich der oppositionelle Syrische Nationalrat weigere, Unterhändler zu Gesprächen mit Vertretern der Regierung nach Moskau zu entsenden – nicht zuletzt, weil die USA und die EU-Staaten das Regime in Damaskus als »illegitim« bezeichneten. Auf jede diplomatische Rücksichtnahme verzichtend, konstatierte der Spitzenpolitiker, mit solchen Aktionen »fallen westliche Länder der Krisenregelung in Syrien in den Rücken«, die derzeit noch auf diplomatische Weise zu erreichen sei.

Im Weltsicherheitsrat wies Rußlands UN-Botschafter Vitali Tschurkin Versuche zurück, einzig Assad für die Gewalteskalation verantwortlich zu machen. »Wir weisen jegliche Vorschläge ab, die Sanktionen vorsehen, wie auch jegliche Versuche, das Instrumentarium des Sicherheitsrates zu nutzen, um den Konflikt weiter zu schüren und eine eventuelle ausländische militärische Einmischung zu rechtfertigen«, sagte der Diplomat laut RIA Nowosti (siehe Spalte). Tschurkin bekräftigte die Einladung von Vertretern der syrischen Konfliktseiten zu informellen Verhandlungen ohne Vorbedingungen nach Moskau.

Der diplomatische Kampf um Syrien wirke zum einen wie eine Wiederholung des jugoslawischen und des irakischen Szenarios, urteilt Grigori Melamedow, Politikwissenschaftler am Orientalistik-Institut in Moskau. Hier die USA und die europäischen Staaten, die ein Regime zu stürzen versuchen, da Rußland, das sich dagegen stelle. Im aktuellen Fall käme aber »neuen Akteuren der globalen Politarena« eine »führende Rolle« zu, schreibt er in einem Gastbeitrag für die Zeitung Moskowskije Nowosti. Konkret nennt Memaledow das winzige Öl­emirat Katar, das nicht nur die TV-Station Al-Dschasira beheimatet, sondern auch einen gigantischen Militärstützpunkt der US-Armee. »Als der Bürgerkrieg in Libyen ausbrach, konnte gerade Katar amerikanische und europäische Diplomaten davon überzeugen, daß die Macht in diesem Land im Falle eines Sturzes von Ghaddafi an prowestliche Liberale gehen wird«, so Melamedow. »In bezug auf Rußland wurde ein anderer Trumpf ausgespielt – eine Erklärung der Arabischen Liga über die Notwendigkeit einer ausländischen Einmischung im Interesse des Schutzes der libyschen Bevölkerung. Rußland, das noch seit Sowjetzeiten gewohnt war, Initiativen der Arabischen Liga zu unterstützen, hatte den Moment verpaßt, als die Liga nach dem Sturz von Mubarak in Ägypten völlig unter den Einfluß von Katar und Saudi-Arabien geriet.«

Nach der »bitteren Lektion mit Libyen« wolle Rußland der Arabischen Liga nicht mehr im Schlepptau folgen, meint Melamedow. Moskau glaube »nicht mehr den Al-Dschasira-Märchen von demokratischen arabischen Revolutionen«. Und auch China sei sich bewußt, daß im Fall von Syrien nicht noch einmal eine Resolution des UN-Sicherheitsrates gebilligt werden darf wie 2011 zu Libyen.

* Aus: junge Welt, 2. Februar 2012


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