Druck in und auf Syrien wächst
Regierungsgegner sind allerdings alles andere als einig
Von Karin Leukefeld*
Die staatlichen syrischen Medien berichten seit Monaten immer wieder über kleinere Gefechte
zwischen der Polizei und »militanten Islamisten«. Um welche Art radikaler Gruppen es sich handelt,
blieb bislang unklar. Zugleich wächst der äußere Druck auf die Regierung des Präsidenten Bashar al-Assad.
Nahe dem Gebäude des staatlichen Fernsehens und des Rundfunks im Zentrum von Damaskus
kam es Anfang Juni zu einem bewaffneten Zusammenstoß. Der offiziellen Darstellung zufolge
wurden dabei fünf Personen getötet, darunter ein syrischer Wachmann. Zehn weitere Beteiligte
seien festgenommen worden, man habe zehn Gewehre US-amerikanischer Produktion
sichergestellt. Bei den Verdächtigen soll es sich um Anhänger der Takfiri handeln. So bezeichnet
man islamistische Gruppen, die andere Muslime, die sie für ungläubig erklären, mit dem Tod
bestrafen. Syrien beschuldigte – ohne Namen zu nennen – »benachbarte Staaten«, die Gruppe
unterstützt zu haben. Wenig später – am Pfingstwochenende – fand in London die Gründungskonferenz der Nationalen
Rettungsfront (NSF) statt, einer Sammlung syrischer Oppositionsgruppen.
An dem Treffen nahmen
sowohl kurdische Organisationen als auch Kommunisten und die in Syrien verbotene
Muslimbruderschaft teil. Syriens ehemaliger Vizepräsident Abdul Halim Khaddam erklärte vor den
Versammelten, die syrische Regierung habe »jeden Existenzgrund« verloren, es sei Zeit für einen
»Regimewechsel und für Demokratie«. Syrien solle ein moderner, demokratischer und ziviler Staat
werden, in dem die Bevölkerung ihren Willen durch freie und faire Wahlen zum Ausdruck bringen
solle, hieß es in der Abschlusserklärung des Londoner Treffens. Die Syrer wurden aufgefordert, »die
Barrieren der Angst« niederzureißen und die Regierung von Bashar al-Assad mit friedlichen Mitteln
zu stürzen. Gleichzeitig wurden die syrischen Streitkräfte aufgefordert, nationale und historische
Verantwortung zu übernehmen und eine »Armee des Volkes« zu werden.
Syrien selbst hat inzwischen einen internationalen Haftbefehl gegen Abdel Halim Khaddam
beantragt – wegen Aufhetzung der USA, in Syrien einzumarschieren. Der 73-jährige Khaddam hatte
sich im vergangenen Jahr aus Damaskus abgesetzt und betreibt seither vom Ausland aus den Sturz
von Präsident Assad.
Dessen Regierung reagiert empfindlich auf jede Stellungnahme des Auslands zur politischen Lage
im Land. Bereits im Mai bestellte das Außenministerium den EU-Vertreter in Syrien, Frank Hesske,
ein und protestierte gegen eine »unakzeptable Einmischung in die inneren Angelegenheiten«. Die
EU hatte Damaskus aufgefordert, alle »Gewissensgefangenen« umgehend freizulassen. Die
Menschenrechtslage in Syrien habe sich seit Anfang 2006 »grundlegend verschlechtert«, kritisierte
die Union.
Hintergrund war die Festnahme von zehn Oppositionellen, darunter Menschenrechtsanwalt Anwar al-Bunni und Schriftsteller Michel Kilo, am 17. Mai. Die Verhaftungen folgten der Veröffentlichung einer
»Damaskus-Beirut-Erklärung«, die von rund 300 syrischen und libanesischen Personen
unterzeichnet worden war. Die Erklärung appelliert an die syrische Regierung, die Beziehungen zu
Libanon zu verbessern. Ähnlich hatte sich am 17. Mai der UN-Sicherheitsrat geäußert, als er mit
seiner Resolution 1680 die syrische Regierung aufforderte, die Botschaft in Libanon wieder zu
öffnen und sich mit dem Nachbarland auf eine gemeinsame Grenze zu einigen.
Die Gefangenen haben inzwischen über Angehörige mitteilen lassen, dass sie zusammen mit
bereits früher festgenommenen Aktivisten in einen Hungerstreik treten wollten. Vertreter des
Koordinationskomitees der »Damaskus-Beirut-Erklärung« distanzierten sich gegenüber der
Nachrichtenagentur AFP allerdings vom neuen Oppositionsbündnis NSF. »Die Nationale
Rettungsfront und die Damaskus-Erklärung sind zwei völlig unterschiedliche Dinge«, sagte
Rechtsanwalt Hassan Abdelazim. Es gebe weder Absprachen noch Zusammenarbeit.
* Aus: Neues Deutschland, 14. Juni 2006
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