Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Verzweifelte Frauen und Kinder in Syrien

UN-Delegation zeigte sich schockiert von Zerstörungen

Von Karin Leukefeld, Beirut *

Der Strom von Flüchtlingen aus Syrien hält an: Allein in den beiden ersten Tagen dieser Woche haben sich fast 6000 Syrer ins benachbarte Jordanien abgesetzt, berichtete die Zeitung »As-Shuruk«. Vertreter verschiedener UN-Organisationen haben das Bürgerkriegsland dieser Tage besucht.

John Ging, Leiter des Humanitären Nothilfeprogramms der Vereinten Nationen (OCHA), appellierte am Dienstag in Beirut an die Medien, die Dringlichkeit humanitärer Hilfe für Syrien deutlich zu machen. 2012 hätten internationale Geber nur 50 Prozent der notwendigen Gelder für die Syrienhilfe aufgebracht. Für das erste Halbjahr 2013 werden 1,04 Milliarden US-Dollar für das humanitäre Programm der Vereinten Nationen gebraucht.

Vier Tage lang war Ging mit Verantwortlichen weiterer UN-Hilfsorganisationen in Syrien. Das Ausmaß der Zerstörung lebensnotwendiger Infrastruktur sei »schockierend« gewesen, berichtete die Delegation. Man habe verzweifelte Frauen und Kinder getroffen, die nicht genug zu essen hätten und denen es an Gesundheitsversorgung und sauberem Wasser mangelte.

Laut Yacoub Al Hillo vom UN-Hilfswerk für Flüchtlinge (UNHCR) sind 20 Prozent der Bevölkerung direkt vom Krieg betroffen. Die Zahl der Hilfsbedürftigen schätzt die UN auf vier Millionen, davon zwei Millionen Inlandsflüchtlinge. Mehr als 650 000 Syrer sind derzeit als Flüchtlinge in der Türkei, Irak, Jordanien, Libanon, Europa und Nordafrika registriert. Jordanien erwägt inzwischen, weiteren Syrern die Einreise zu untersagen.

»Die größte Anstrengung, den Vertriebenen zu helfen, kommt von den Syrern selbst«, berichtete Al Hillo. Ted Chaiban vom Kinderhilfswerk UNICEF bestätigte: »Die Zivilgesellschaft in Syrien, das sind die wahren Helden«. Seinen Angaben zufolge sind 25 Prozent aller Schulen derzeit außer Betrieb. Dominique Burgeon, Vertreter der Welternährungsorganisation FAO, erklärte, die bisher garantierte Selbstversorgung mit Grundnahrungsmitteln sei erschöpft, die Weizenproduktion habe sich wegen des Krieges halbiert.

Syriens Regierung habe der UN-Delegation zu allen gewünschten Orten Zugang gewährt, sagte John Ging auf Nachfragen. Die Berichterstattung über den Konflikt führt seiner Meinung nach zu einer »Missinterpretation des Charakters der Syrer«. Es handle sich um bescheidene, hilfsbereite Menschen, die jahrzehntelang Millionen von Flüchtlingen aus Afghanistan, Somalia, Sudan, Palästina und Irak aufgenommen haben. Nun seien sie selbst gefangen in einem Krieg. der nur politisch zu lösen sei.

Ging appellierte an die politischen Kräfte, ihre Anstrengungen zu verdoppeln. Um sich von der Notwendigkeit einer politischen Lösung zu überzeugen, sollten sie »selbst nach Syrien reisen und sich die Lage ansehen«. Die USA, Frankreich, Deutschland, Großbritannien und die Golfstaaten haben ihre diplomatischen Missionen in Syrien geschlossen. Russlands Außenminister Sergej Lawrow warf dem Westen in diesem Zusammenhang am Mittwoch vor, kein Interesse an einer politischen Lösung zu haben. »Es gab keine Versuche, die Opposition an den Verhandlungstisch zu bringen. Nur wir haben das getan«, sagte er.

Menschenrechtler haben derweil die Zerstörung religiöser Stätten in Syrien durch Aufständische scharf kritisiert. Wie die Gruppe Human Rights Watch in einem Bericht beklagt, wurden in den nördlichen Provinzen Latakia und Idlib zwei christliche Kirchen und eine schiitische Stätte allem Anschein nach vorsätzlich zerstört oder geplündert, nachdem Rebellen die betreffenden Regionen erobert und Regierungstruppen die Orte verlassen hätten.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 24. Januar 2013


Zurück zur Syrien-Seite

Zurück zur Homepage