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Dominanz der Kriegsindustrie

In Syrien boomt das Geschäft mit Söldnern, Waffen und auch der humanitären Hilfe

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Auf der einen Seite die Armee, auf der anderen die Kämpfer der Freien Syrischen Armee, Al Qaida und andere Dschihadisten (Heilige Krieger), dazu immer mehr einschlägig geschulte Kriegsreporter - sie alle sorgen für eine wachsende Kriegsindustrie in Syrien, während Sanktionen Europas und der USA der zivilen Ökonomie schweren Schaden zufügen.

Bis zu einer vierstelligen Dollarsumme soll der Tagessold für die Kämpfer betragen, die Kriegserfahrungen aus Afghanistan, Irak oder Libyen mitbringen und diese nun in Syrien einbringen. Desertierte Soldaten der syrischen Armee, die sich den Aufständischen freiwillig oder gezwungenermaßen angeschlossen haben, erhalten Reporterberichten zufolge bis zu 3500 Syrische Pfund am Tag, umgerechnet sind das etwa 50 Dollar, 30 Prozent eines monatlichen Mindestlohns in Syrien. Adressaten sind vor allem arbeitslose junge Männer, die im zivilen Sektor keine Arbeit mehr finden. Halten sie einmal Waffen in der Hand, werden sie diese ungern wieder hergeben, wie Beispiele vieler Kriege zeigen. »Der Westen, die Türkei und die Golfmonarchien haben ihre Investitionen in Syrien gestoppt, die viele Arbeitsplätze geschaffen hatten und unser Land entwickeln und aufbauen sollten. Nun finanzieren sie eine Kriegsindustrie, die unser Land zerstört«, sagt ein Gesprächspartner in Damaskus.

Den größten Profit dürften Waffenhändler in den Nachbarländern Jordanien, Libanon, Irak und Türkei machen, die von der Schleuder über Pistolen bis hin zu Panzerabwehrraketen alles liefern. Unternehmen die früher zivile Güter durch die Region beförderten, können heute Geld mit dem Transport bzw. Schmuggel von Kämpfern, Waffen, Flüchtlingen und Verletzten machen. Hoteliers und Gastronomie, Hausbesitzer und Lebensmittelhändler verdienen an der Unterkunft und Versorgung der Aufständischen, ihrer Familien und der sie begleitenden ausländischen Medien. Anbieter von Kommunikationstechnologie und nicht zu vergessen die vielen Übersetzer und Fremdenführer können sich für ihre Dienste bei fremden Geheimdiensten und Sendern eine goldene Nase verdienen.

Eine katarisch-saudische Preisliste legt zum Beispiel fest, womit Überläufer je nach Rang und dem, was sie an Informationen oder Material mitbringen, entlohnt werden. Den bisherigen Hauptgewinn dürfte ein Pilot der syrischen Luftwaffe eingefangen haben, der sich mitsamt seinem Kampfjet nach Jordanien absetzte. Eine weitere Liste soll angeblich die Preise für die Entführung oder Ermordung von Mitarbeitern staatlicher syrischer Institutionen sowie einzelner Politiker und Journalisten enthalten. Ähnliches wurde zuletzt aus Irak bekannt, wo infolge der US-geführten Invasion Gewalt und Kriminalität beträchtlich zunahmen. Gezielt waren irakische Piloten und Militärs ebenso wie Professoren, Ärzte und Journalisten getötet worden.

Auch das »Geschäft mit der Hilfe« boomt in Syrien und um Syrien herum. Dutzende Hilfsorganisationen aus aller Welt haben Mitarbeiter zu den syrischen Flüchtlingen in Jordanien, im Norden Libanons, in die Türkei oder nach Irak entsandt. Großbritannien, Frankreich und Deutschland stellen Millionen Euro zur Verfügung, um »humanitäre Hilfe« zu leisten.

Deutschlands Entwicklungsminister Dirk Niebel sagte am Montag der jordanischen Regierung weitere zehn Millionen Euro zu. Davon entfallen 8,5 Millionen Euro auf Soforthilfen zur Trinkwasserversorgung im Norden des Landes. Mit 1,5 Millionen Euro wird das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen bei der Gesundheitsversorgung im Land unterstützt. Syrien selbst beliefert das wasserarme Jordanien jährlich mit acht Millionen Kubikmeter Wasser. Bis Anfang 2011 hatte die Bundesregierung mit der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit bei der Modernisierung des syrischen Wassersektors Hilfe geleistet.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 14. August 2012


Entführer ermorden Kameramann

Syrien: Regierungstruppen weiter auf dem Vormarsch. Gefechte im Norden

Von Karin Leukefeld, Damaskus **


Mit mehrtägiger Verspätung hat das syrische Außenministerium die internationale Beratung zur Beendigung des Bürgerkriegs, die am vergangenen Donnerstag in Teheran stattgefunden hat, gewürdigt. Man habe das Treffen »mit Interesse verfolgt«, hieß es in einer am Montag in Damaskus verbreiteten Stellungnahme. Man danke den Staaten, die eine innersyrische Lösung unterstützten. Bei dem Treffen, das in westlichen Medien weitgehend verschwiegen wurde, hatten 30 blockfreie Staaten gefordert, die gewaltsamen Auseinandersetzungen in Syrien zu beenden, damit ein nationaler Dialog zwischen Opposition und Regierung beginnen könne.

Nach Auskunft des saudiarabischen Nachrichtensenders Al-Arabiya, der fast rund um die Uhr aus Sicht der bewaffneten Aufständischen über Syrien berichtet, sollen diese über Deir Ezzor einen Kampfjet der Luftwaffe abgeschossen haben. Aus Militärkreisen in Damaskus war hingegen zu erfahren, daß das Flugzeug während eines Trainingsfluges abgestürzt sei.

In Homs, Lattakia und Idlib kam es weiter zu schweren Gefechten zwischen Regierungstruppen und Aufständischen. Zudem konzentrierte die Armee ihre Angriffe im Norden auf Stützpunkte islamistischer Kämpfer nahe Aleppo. 75 Prozent der Nachschubwege für die bewaffneten Aufständischen, die sich noch in der Millionenstadt befinden, seien unterbrochen worden, berichteten syrische Medien.

Im 30 Kilometer nördlich von Damaskus gelegenen Attal, wo seit Tagen gekämpft wurde, finden seit Sonntag Verhandlungen statt. Mit Hilfe lokaler Persönlichkeiten sollen die Kämpfer, die die Stadt besetzt halten, bewogen werden, ihre Waffen abzugeben. In dem ebenfalls von Kämpfen betroffenen Nachbarort Al-Mnin war am Freitag ein vierköpfiges Team des syrischen Fernsehsenders Al-Ikhbariya entführt worden. Der Sender teilte am Montag mit, daß die Entführer den Kameramann des Teams, Hatem Abu Yehya, ermordet hätten. Die anderen drei Teammitglieder, darunter die Reporterin Yara Al-Saleh Abbas, seien am Leben. Das französische Internetportal Voltairenet hat eine Kampagne gestartet, mit der Frankreichs Regierung dazu aufgefordert wird, ihren Einfluß auf die syrischen Aufständischen zu einer Freilassung der Entführten zu nutzen.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 14. August 2012


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