Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Besatzer nach Damaskus?

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Die Arabische Liga will möglicherweise beim UN-Sicherheitsrat die Entsendung einer »Friedenstruppe« der Vereinten Nationen nach Syrien beantragen. Das wurde am Sonntag in Kairo bekannt, wo die Außenminister der Mitgliedsstaaten zusammengekommen waren, um über das weitere Vorgehen nach dem Scheitern der Resolution im Sicherheitsrat zu beraten. Auch die Anerkennung des »Syrischen Nationalrates« der Auslandsopposition als offizieller Vertretung des Landes steht angeblich zur Debatte. Die Beobachtermission der Liga in Syrien soll hingegen einer Meldung des Fernsehsenders Al-Dschasira zufolge offiziell beendet werden. Die UN-Vollversammlung in New York berät am heutigen Montag über die Lage in Syrien. Saudi-Arabien hat dem Gremium dazu den im Sicherheitsrat abgeschmetterten Resolutionsentwurf zur Abstimmung vorgelegt.

Eine ausländische Intervention in seinem Heimatland lehnt der in Paris lebende, international bekannte syrische Dichter Adonis entschieden ab. Im Gespräch mit dem österreichischen Nachrichtenmagazin Profil distanzierte sich der 82jährige, der eigentlich Ali Ahmad Said heißt, auch von Teilen der syrischen Opposition. »Wie können die Fundamente eines Staates mit Hilfe derselben Leute gelegt werden, die vorher diese Länder kolonisiert haben,« fragte Adonis mit Blick auf die französische Kolonialherrschaft von 1920 bis 1946. Die nicht nur in Syrien aktive Muslimbruderschaft nannte er »pure Faschisten«. Eine echte Revolution in der arabischen Welt könne nur auf der Grundlage des Laizismus gelingen.

Zu den Spekulationen um die Position der Arabischen Liga sagte der stellvertretende syrische Außenminister Feisal Mekdad am Samstag gegenüber Journalisten in Damaskus, Syrien wisse auch nur, »was durch die Medien sickert«. Es gebe »keine Transparenz darüber, was geplant« sei. Syrien sei nicht einmal darüber informiert worden, »warum die Beobachtermission ausgesetzt und die Beobachter abgezogen« worden seien. Allerdings »dürfte allen Seiten klar sein, daß das bisherige Protokoll für die Mission nicht tragfähig« sei. Die Zahl der getöteten Soldaten und Sicherheitskräfte habe sich während der Präsenz der Beobachter »um mehr als 130 Prozent erhöht«, sagte Mekdad. Dennoch habe Syrien der Fortsetzung der Mission zugestimmt. Immerhin habe der Bericht der Beobachtermis­sion deutlich auf das Vorgehen bewaffneter Gruppen in Syrien hingewiesen, die der Westen bislang ignoriere, so Mekdad.

In Homs gingen am Wochenende die Kämpfe zwischen bewaffneten Aufständischen und syrischen Sicherheitskräften weiter. Unbestätigten Angaben zufolge sollen dabei mehr als 30 Menschen getötet worden sein. Auch in Daraa soll es Tote gegeben haben. In Damaskus wurde am Samstag erneut ein Mediziner ermordet. Issa Al-Kholi, Brigadegeneral und Direktor des Militärkrankenhauses Hamisch, wurde vor seinem Haus erschossen. Seit Monaten werden in Syrien Wissenschaftler, Fachärzte, Professoren und Ingenieure ebenso gezielt ermordet wie hochrangige Militärs.

Unterdessen hat der Konflikt auf den Libanon übergegriffen. In der im Norden von Syriens Nachbarland gelegenen Stadt Tripoli hielten den zweiten Tag in Folge Kämpfe zwischen Anhängern und Gegnern des syrischen Regimes an. Bisher wurden dabei drei Menschen getötet und 23 verletzt.

* Aus: junge Welt, 13. Februar 2012


Komplott gegen Syrien

Psychologische Kriegsführung und »praktische Aktionen«: Geheimdienste von USA und Großbritannien arbeiteten schon vor mehr als 50 Jahren an Umsturz in Damaskus

Von Rainer Rupp **


Um die Wirkung freiheitlicher Kräfte zu befördern (…) sollten besondere Anstrengungen unternommen werden, um bestimmte Schlüsselpersonen bereits in der Anfangsphase des Aufstands und der Intervention zu eliminieren.« Das ist ein Auszug aus einem einst streng geheimen Dokument des US-Geheimdienstes CIA und des britischen SIS, Vorläufer des MI6, in dem minutiös ein Umsturz in Syrien geplant wurde. »Wenn erst einmal die politische Entscheidung für interne Unruhen in Syrien gefallen ist, dann stehen CIA und SIS bereit, kleinere Sabotageanschläge und andere hilfreiche Vorfälle in Syrien in Zusammenarbeit mit anderen Personen durchzuführen«, heißt es in dem über 50 Jahre alten, derzeit jedoch topaktuellen Dokument weiter, in dem die beiden führenden imperialistischen Staaten USA und Großbritannien seinerzeit gemeinsam die Übernahme Syriens planten. An anderer Stelle wird empfohlen, daß die Herbeiführung von »einem ausreichenden Grad von Verunsicherung und Angst«, z.B. durch »Vorfälle an der Grenze und inszenierte Zusammenstöße, den Vorwand für eine Intervention liefern könnte«, und zwar durch prowestliche, arabische Nachbarn Syriens. Deshalb sollten CIA und SIS (MI6) möglichst schnell »ihre Fähigkeiten sowohl in der psychologischen Kriegsführung als auch in ›praktischen Aktionen‹ verbessern, um die Spannungen zu erhöhen«.

Das Umsturzpapier wurde erst im Jahr 2003 in britischen Regierungsarchiven von Matthew Jones, Professor für Internationale Geschichte am Londoner Royal Holloway College, bei Recherchen über die Hintergründe des damals gerade begonnenen US-amerikanisch-britischen Angriffskriegs gegen Syriens Nachbarn Irak entdeckt. Das »erschreckend freimütige« Dokument, so Jones, aus dem Jahr 1957 trägt die Unterschriften des damaligen US-Präsidenten Dwight Eisenhower und des britischen Premiers Harold Macmillan. Beide unterstützen damit Geheimdienstpläne, Syrien mit Hilfe einer aufgestachelten Muslimbruderschaft zu destabilisieren, Unruhe zu säen und mit inszenierten Grenzverletzungen den prowestlichen Nachbarn Syriens den Vorwand für eine bewaffnete Intervention zu liefern.

2003, während der Überfall auf den Irak die Nachrichten bestimmte, fand Jones’ Entdeckung nur wenig Beachtung. Der für London und Washington unangenehme Bericht verschwand schnell im medialen Gedächtnisloch, aus dem ihn erst jetzt wieder Felicity Arbuthnot mit ihrer Veröffentlichung auf der investigativen kanadischen Webseite »Global Research« ans Licht gebracht hat. Dagegen scheint das Eisenhower-Macmillan-Projekt in den geheimen Planungszentren von CIA und MI6 nie in Vergessenheit geraten zu sein. Zu auffällig sind die Parallelen mit den aktuellen Vorkommnissen in und um Syrien. Dazu gehört auch, daß autokratische, besonders prowestliche, arabische Staaten wie Saudi-Arabien und Katar, eine militärische Intervention der Arabischen Liga fordern – zur Verteidigung von Demokratie und Menschenrechten in Syrien.

Teil des Plans von 1957 war auch die Ermordung von hochrangigen Persönlichkeiten aus Politik und Militär, die hinter dem damaligen syrischen Präsidenten Schukri Al-Quwatli standen. Auf der Mordliste notiert waren u.a. Abd Al-Hamid Sarraj, Chef des militärischen Nachrichtendienstes, Afif Al-Bisri, Chef des syrischen Generalstabs, und Khalid Bakdasch, Chef der Kommunistischen Partei Syriens. Mit der Ermordung eines Generals am Wochenende in Damaskus durch vom Westen gesponserte »Democracy«-Terroristen scheint auch dieser Teil des amerikanisch-britischen Geheimplans realisiert zu werden.

Im Dezember 2011 hat der exiloppositionlle »Syrischer Nationalrat« nach einem Treffen mit US-Außenministerin Hillary Clinton verkündet, »das Land zu befreien«. Zugleich unterstützen die USA einen »Syrischen Revolutionsrat«. Auch der Eisenhower-Macmillan-Plan sah vor, einem »Freies Syrien Komitee« finanziell zu helfen und »politische Gruppen zu bewaffnen«. Der Unterschied zwischen damals und heute besteht lediglich darin, daß 1957 der Sturz der syrischen Regierung die anglo-amerikanische Kontrolle über das irakischen Öl sichern sollte. Irak stand seinerzeit unter Mandat Ihrer Majestät in London, und Aufständische kämpften mit Unterstützung aus Syrien mit zunehmendem Erfolg gegen den britischen Würgegriff. Heute ist der energiereiche Iran Objekt der Begierde, wobei wiederum Syrien als Schlüssel zum Erfolg gesehen wird. Mit einer prowestlichen Regierung in Damaskus wäre Irans Position in der Region entscheidend geschwächt.

* Aus: junge Welt, 13. Februar 2012


Interventionspropaganda als Nachrichten serviert



Von Rainer Rupp ***

Die Stimmen westlicher Interventionspolitiker werden von Tag zu Tag hysterischer, und die westlichen Medien überschlagen sich mit Horrormeldungen aus Syrien. Als deren Quelle dient meist eine »Gruppe syrischer Menschenrechtler in London«. Deren Objektivität darf jedoch mehr als angezweifelt werden, denn seit seiner Gründung setzte sich dieses Team nicht nur aus radikalen Gegnern der Regierung Baschar Al-Assads zusammen. Ihm gehören auch zur Gewalt aufrufende Extremisten an, die in London Asyl gefunden und dort das »Syrische Observatorium für Menschenrechte«, kurz: SOHR, gegründet haben.

Der Exilsyrer Rami Abdul Rahman, ein Deckname, war bis Ende vergangenen Jahres unangefochtener »Präsident« des Observatoriums. Die staatstragenden Massenmedien der westlichen Welt sowie der arabischen Golfdiktaturen kolportierten unhinderfragt Rahmans Erzählungen. Er wartete mit Berichten über schlimmste Greueltaten der syrischen Polizei auf. Nicht zuletzt mit Geschichten, die schon einmal geholfen haben, Kriegsstimmung zu schüren. Am 7. Au­gust 2011 etwa ging unter Berufung auf Rahmans »syrische Menschenrechtsgruppe in London« die Geschichte um die Welt, daß acht Babys von grausamen syrischen Sicherheitskräften in ihren Brutkästen in einem Hospital in Hama ermordet worden sind. Assads Schergen hätten für einen Stromausfall gesorgt und so den Tod der Kleinen verursacht. Entsprechende Bilder gingen via CNN und Twitter um die Welt. In dem Fall flog der Schwindel rasch auf, die Bilder stammten aus Ägypten, wie nachgewiesen werden konnte. – 1990 hatten entsprechende Brutkastenlügen aus dem von irakischen Truppen besetzten Kuwait für Stimmung im US-Kongreß gesorgt. Sie waren seinerzeit von der Tochter des kuwaitischen Botschafters in Washington tränenreich vorgetragen worden.

Vor der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat über eine Syrien-Resolution Anfang Februar wiederum waren Horrormeldungen über bewaffnete Auseinandersetzungen in Homs kolportiert worden. Mehr als 400 Menschen seien von der syrischen Armee getötet worden, hieß es. Tätsächlich gab es Kämpfe zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften, die Zahl der Getöteten wurde nach der – gescheiterten – Abstimmung im Sicherheitsrat allerdings deutlich nach unten »korrigiert«

Im Dezember war im SOHR ein Richtungsstreit ausgebrochen, der zur Spaltung in zwei Lager und zwei Observatorien führte. Dadurch sind die angebotenen Berichte noch undurchsichtiger geworden. Tatsächlich verfolgen die zwei Gruppen unterschiedliche politische Ziele – so wie auch die beiden großen syrischen Oppositionsgruppen. Auf der einen Seite steht der »Syrische Nationalrat« (Syrian National Council – SNC) mit Sitz in der türkischen Metropole Istanbul, dessen Linie von der abgespaltenen Observatorium-Gruppe vertreten wird, die für eine ausländische Militärintervention plädiert. Auf der anderen Seite steht die »Nationale Koordination für Demokratischen Wandel in Syrien (National Coordination Body for Democratic Change in Syria – NCB), die in Damaskus arbeitet und eine NATO-Intervention strikt ablehnt. Zur NCB zählt Rahmans ursprüngliches Observatorium, während das neue von Mousab Assawi geleitet wird, der weltmännisch auftritt und fließend Englisch spricht.

Der wortgewandte Assawi, nach eigenen Angaben Mediziner, ist gefragter Gast in Nachrichtensendungen, und er soll beste Beziehungen zu NATO-Kreisen unterhalten. Ihm ist auch zu verdanken, daß die Observatoriumswebpage www.syriahr.org in Englisch verfaßt ist, während Rahmans www.syriahr.com nach wie vor in Arabisch erscheint, allerdings mit einem Link auf eine Twitter-Seite in Englisch. Im Vergleich zu Assawi, der für die Interventionisten wie gewünscht immer höhere Opferzahlen liefert, erscheinen Rahmans Übertreibungen regelrecht gemäßigt. Letzterer gibt z. B. neben der Menge der angeblich getöteten Zivilisten (aktuell 5100) auch die der Polizisten und Soldaten (2000) an. Dafür wird er von den Assawi-Anhängern heftig angegriffen, die »nur« 600 tote Sicherheitskräfte melden.

Dazu befragt gab der Sprecher einer anderen Oppositionsgruppe (General Commission of the Syrian Revolution) dem russischen Nachrichtensender RT zu Protokoll, daß es nicht in ihrem Interesse liege, über Opfer zu berichten, die loyal zur Assad-Regierung stehen. Das dürfte auch der Grund sein, warum keines der Observatorien darüber berichtet, wie viele bewaffnete und im Kampf gefallene Rebellen sich unter den getöteten »Zivilisten« befinden bzw. wie viele Zivilisten von Aufständischen ermordet wurden.

* Aus: junge Welt, 13. Februar 2012

Wikileaks: Anleitung zum Umsturz

Eine Geheimdepesche der US-Botschaft in Damaskus für Washington aus dem Jahr 2006 zeigt die Kontinuität der Wühlarbeit in Syrien zur Destabilisierung des Landes. Das Dokument wurde von Wikileaks am 30. August 2011 ins Internet gestellt, und seine Echtheit wird nicht bestritten. In der Zusammenfassung der Diplomatenmitteilung wird bedauert, daß »im Jahr 2006 die Regierung Syriens sowohl zu Hause als auch international eine viel stärkere Position hat als noch ein Jahr zuvor«. Außerdem sei die Assad-Regierung »so gut wie immun gegen Druck von außen«. Aber es gebe Hoffnung, denn »Assads wachsendes Selbstvertrauen könnte ihn dazu verleiten, Fehler zu machen, die uns neue Möglichkeiten eröffnen«. Anschließend werden einige Punkte diskutiert, wo der westliche Hebel angesetzt werden müßte, um das System zu kippen. So gehe neben der »Kurdenfrage« eine »potentielle Gefahr für das Regime von der wachsenden Anwesenheit islamistischer Extremisten im Land aus«. Die Depesche vom 13. Dezember 2006 empfiehlt der US-Regierung, »durch Handlungen, Erklärungen und Signale die Chancen zu verbessern, daß sich Gelegenheiten ergeben«. Als eine konkrete Möglichkeit zur Destabilisierung wird in dem Dokument genannt: »Mit den Ängsten der Sunniten über den iranischen (schiitischen) Einfluß spielen.« So lautet auch die Überschrift eines Kapitels des Schriftstücks, in dem zugleich eingeräumt wird, daß es objektiv für derlei sunnitische Ängste keine Gründe gibt. Es wird jedoch darauf hingewiesen, daß insbesondere die Botschaft Saudi-Arabiens in Damaskus diese Ängste kräftig schürt und damit bei etlichen Repräsentanten der syrischen Sunniten Erfolg hat. Schließlich die Empfehlung an die US-Führung: »Wir sollten diesbezüglich mit der saudischen Regierung enger zusammenarbeiten und uns koordinieren, damit diese Ängste besser publiziert werden und die Aufmerksamkeit der Menschen der Region verstärkt auf sie gelenkt wird.«

wikileaks.cabledrum.net/cable/2006/12/06DAMASCUS5399.html




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