Syriens Kommunisten sehen "Chance" für Veränderungen
KP fordert zügige Umsetzung angekündigter Reformen. Kritik an "bewaffneten Rebellen" und "Provokationen" des Auslands
Von Karin Leukefeld, Damaskus *
Die Syrische Kommunistische Partei (Bakdasch) ist Teil der Progressiven Nationalen Front, die mit der Baath-Partei die Geschicke Syriens und der Syrer lenken soll. Sie ist im Parlament und in der Regierung vertreten und die zweitgrößte Partei nach der Baath. Entstanden ist die KP Syriens 1924 als gemeinsame Kommunistische Partei für Syrien und Libanon. Nach der Unabhängigkeit beider Staaten entstanden jeweils zwei Kommunistische Parteien. Nach Auseinandersetzungen um die richtige politische Linie und in der Zeit der Perestroika in der Sowjetunion spalteten sich zwei neue Kommunistische Parteien von der Bakdasch ab. Letztere verabschiedete im Dezember 2010 auf ihrem 11. Parteitag ein Programm, in dem die ökonomischen und sozialen Forderungen der Syrer, die nationalen Interessen des Landes und die Interessen des Volkes an erster Stelle stehen. Im März wandte die Partei sich in einem gemeinsamen Aufruf mit 43 Kommunistischen und Arbeiterparteien »gegen die imperialistische Aggression gegen Libyen«.
Mitglieder der KP Syriens äußerten sich gegenüber der Autorin in Damaskus sehr besorgt über die hohen Opferzahlen unter Zivilisten, Soldaten und Polizisten in den vergangenen Wochen in Syrien. Vorsichtig optimistisch zeigten sie sich über die möglichen Folgen der Proteste, die eine »Chance« seien, vieles zu verändern und »zu 70 Prozent« wirtschaftliche und soziale Wurzeln hätten. Die Forderungen der Bevölkerung nach Arbeit und mehr politischer Teilhabe seien berechtigt und äußerst populär, so ein Gesprächspartner, der darum bat, namentlich nicht genannt zu werden. Auffällig sei allerdings der geringe Anteil von Frauen an den Protesten. Nur eine Minderheit der Demonstranten fordere den »Sturz des Regimes«, was ohnehin nur durch eine Revolution möglich sei. Darum handele es sich bei den Protesten aber nicht. Das Stadt-Land-Gefälle müsse überwunden werden, die Regierung müsse sich auf diese Aufgabe konzentrieren. Die große Armut und Arbeitslosigkeit sei Folge der rasanten wirtschaftlichen Umstellung von der kontrollierten Plan- auf die freie Marktwirtschaft, die von der KP Syriens seit Jahren kritisiert wird. Der von der Präsidentenberaterin Bouthaina Schaaban kürzlich angekündigte nationale Dialog sei seit langem eine Forderung der KP Syriens gewesen und werde ausdrücklich begrüßt.
Deutlich lehnten die Gesprächspartner das Agieren »bewaffneter Rebellen« ab, die sich in die berechtigten Proteste eingemischt und das Eingreifen der Sicherheitskräfte provoziert hätten. Wer die Armee und Polizei angreife, verliere in der Bevölkerung jegliche Unterstützung und sei offensichtlich ein Handlanger ausländischer Interessen. Die ausländischen Medien und das Vorgehen des westlichen Auslands wirkten wie abgesprochen. Einseitige Berichterstattung habe politische Kritik nach sich gezogen, woraufhin weitere bewaffnete Aktionen folgten, Reaktionen der Sicherheitskräfte, neue Kritik und so weiter.
Als »Provokation« bezeichneten die Gesprächspartner das Aufstellen von Zelten seitens der Türkei und Jordaniens für mögliche Flüchtlinge aus Syrien. Angeblich seien auch viele Syrer in den Libanon geflohen. Die Grenzen zu diesen Ländern seien offen, und viele Familien reisten ohnehin hin und her, weil sie Angehörige jenseits der Grenze hätten. Diejenigen, die man sonst als »Wochenendbesucher« bezeichnen würde, wären nun plötzlich zu »Flüchtlingen« geworden, so einer der Kommunisten. Die Maßnahme sei politisch motiviert und durch die Reisewarnungen westlicher Staaten, Isolation und Sanktionen begünstigt worden.
Die von Präsident Baschar Al-Assad angekündigten Reformen kämen »etwas spät« und müßten jetzt zügig umgesetzt werden. Gut seien die anhaltenden Gespräche, die Assad mit Gruppen aus dem ganzen Land und mit Jugendlichen führe. Auch Vertreter der kommunistischen Jugend seien dabei gewesen und hätten, wie andere auch, offen das Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen friedliche Demonstranten kritisiert. Mit Sorge beobachte er die großen wirtschaftlichen Verluste der vergangenen Wochen, sagte einer der Gesprächspartner. Mehr als die Toten und die Gewalt werde die religiöse Spaltung des Landes nachwirken, die in einigen Parolen und von Parteien aus dem Ausland geschürt worden sei. Syrien werde es schaffen, aus dieser Krise herauszukommen, so die Meinung. »Mit Beulen und blauen Flecken, einem Verband um den Kopf und mit zerrissenem Anzug«, aber Syrien werde es schaffen. »Wir bauen unseren Optimismus auf unser Volk.«
* Aus: junge Welt, 14. Mai 2011
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