Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Krieg und Hilfe

Die Finanziers humanitärer Unterstützung in Syrien und von Waffen für Aufständische sind ein und dieselben. Heute treffen sie sich wieder in Berlin

Von Karin Leukefeld *

Am heutigen Montag trifft sich in Berlin erneut die Arbeitsgruppe »Wirtschaftlicher Wiederaufbau und Entwicklung« der »Freunde Syriens«. Eine Sprecherin des Außenministeriums wollte auf jW-Anfrage den Termin zwar nicht bestätigen, räumte aber ein, daß »sich zu Syrien immer wieder Arbeitsgruppen treffen« würden. Arabische Quellen, bekräftigten derweil gegenüber jW, daß heute über den Wiederaufbau Syriens (nach dem Sturz von Präsident Assad) in Berlin diskutiert wird.

Das Treffen wird vermutlich von dem von Deutschland und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) getragenen »wirtschaftlichen Wiederaufbaubüro« ausgerichtet, einem Gremium der »Freunde Syriens«, das eng mit dem »Syrischen Wirtschaftsforum« syrischer und anderer Geschäftsleute und dem Syrischen Nationalrat kooperiert. Nach Ansicht der Autoren der Studie »Vom Aufstand zum Krieg in Syrien« (Bertelsmann Stiftung) sollte dieses Büro »dringend politisch dynamisiert und personell aufgestockt werden«.

Spaltung des Landes

Wirtschafts- und Finanzsanktionen, die die EU über Syrien verhängt hat, sollen nach Ansicht von Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) so gelockert werden, daß der Opposition der Wiederaufbau in den von ihr kontrollierten Gebieten erleichtert werde. Das erklärte Westerwelle nach dem Treffen der EU-Außenminister am 22. März in Dublin. Die syrische Opposition müsse »auf jede verantwortbare Weise« gestärkt werden. »Infrastruktur, Wasser, Elektrizität, Gesundheitsversorgung – das ist etwas, was wir nicht aus dem Fokus verlieren dürfen«, so Westerwelle. Darum dürfte es auch jetzt gehen.

Das Auswärtige Amt und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit haben bisher 118 Millionen Euro Hilfsgelder an internationale, deutsche und syrische (oppositionelle) Hilfsorganisationen überwiesen. Zwar werden mit dem Geld auch die Vereinten Nationen und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz unterstützt, die sich an das humanitäre Völkerrecht halten und gemäß einer Vereinbarung mit der syrischen Regierung im Land arbeiten. Die Finanzierung von Projekten privater »Nichtregierungs«-Organisationen (NGOs), die mit den Aufständischen in Syrien in umkämpften (»befreiten«) Gebieten kooperieren, widerspricht aber dem humanitären Völkerrecht und trägt zu einer Spaltung des Landes bei. Diplomatische Initiativen der Bundesregierung für eine friedliche Lösung durch Verhandlungen bleiben ohnehin aus.

Bei einer Veranstaltung der Union der syrischen Studenten und Akademiker e.V. (USSA) zum zweiten Jahrestag der »Syrischen Revolution« diskutierten am 22. März Vertreter der Bundesregierung mit Vertretern von deutschen und syrischen NGOs und der Opposition darüber, wie die humanitäre Hilfe verstärkt werden kann. Der persönliche Beauftragte Westerwelles für die arabische Welt, Volkmar Wenzel, teilte dabei das Podium mit dem Botschafter der Nationalen Koalition (Paris) und dem stellvertretenden Vorsitzenden der syrischen Muslim-Bruderschaft. Beide Organisationen verweigern die Bildung einer Übergangsregierung nach dem von den Vereinten Nationen ausgehandelten Genfer Abkommen und fordern mehr Waffen für ihre Kämpfer. Humanitäre Hilfe verschafft dieser Strategie wichtige Rückendeckung.

NGOs wie »Ärzte ohne Grenzen« und »Grünhelme« plädieren seit langem für die Schaffung von »humanitären Korridoren«, um die Hilfe für die von den Aufständischen »befreiten Gebiete« auszuweiten. Dafür plädieren auch die Autoren der erwähnten Bertelsmann-Studie, in der es zum Thema »humanitäre Hilfe« heißt: »Um die notleidende Bevölkerung innerhalb Syriens zu erreichen, bedarf es kreativer und unbürokratischer Lösungen.« Die »befreiten Gebiete« sollten besonders unterstützt werden, da »staatliche Dienstleistungen dort nicht mehr funktionieren und Oppositionelle mit der Versorgung der Bevölkerung überfordert sind«. Infrastruktur müsse »zügig wiederaufgebaut werden, vor allem Krankenhäuser und Schulen.« Geberländer sollten dabei »mit NGOs zusammenarbeiten, die sich bereits in Syrien engagieren«. Genannt werden »Ärzte ohne Grenzen«, Grünhelme e.V. und syrische Hilfsvereine im Exil.

Humanitäre Intervention

Um die hier beschriebene humanitäre Intervention könnte es auch heute in Berlin gehen. Nicht nur Agenten ausländischer Geheimdienste und Kämpfer betreten ein souveränes Land illegal, private Hilfsorganisationen sollen ihnen den Rücken stärken. Wie eng Hilfe und Krieg verknüpft sind, beschrieb ein französischer Arzt der Organisation »Ärzte ohne Grenzen« dem britischen Guardian Anfang 2012. Damals wurde Jacques Bérès aus dem Libanon mit einem Transport der Aufständischen nach Baba Amr gebracht, einem heftig umkämpften Vorort der Stadt Homs. Mit ihm und seiner medizinischen Ausrüstung waren in dem Fahrzeug auch zwei Dutzend Raketenwerfer verstaut, sagte der Arzt und räumte ein, daß es für Hilfspersonal verboten ist, mit Waffen zu reisen. Bei einem späteren Einsatz in Aleppo (September 2012) sagte Bérès, die Hälfte der Kämpfer, die er versorgen würde, seien ausländische Gotteskrieger.

Humanitäre Hilfe für Syrien nimmt den gleichen Weg wie Waffen und Kämpfer. Daß die Finanziers dafür und für den Wiederaufbau »befreiter Gebiete« dieselben sind, zeigt sich an dem Teilnehmerkreis der »Arbeitsgruppe Wiederaufbau«. Bei einem früheren Treffen am 4. September 2012 in Berlin hatten Vertreter von 64 Staaten und sieben internationalen Organisationen teilgenommen, darunter die Arabische Liga, die EU und der Golfkooperationsrat. Die finanziellen Schwergewichte des Golfkooperationsrates – Katar und Saudi Arabien – lieferten seit Anfang 2012 nach Recherchen der New York Times mindestens 3500 Tonnen Waffen an die Aufständischen.

* Aus: junge Welt, Montag, 8. April 2013


Für radikales Umdenken

Innersyrische Oppositionelle in den USA: Nein zur Gewalt

Von Karin Leukefeld **


Bei Veranstaltungen und Gesprächen in New York und Washington haben Vertreter des oppositionellen Nationalen Koordinationsbüros für demokratischen Wandel (NCC) und der Bewegung »Den Syrischen Staat aufbauen« Ende März für ein radikales Umdenken hinsichtlich Syriens geworben. Die Auslandssprecher der beiden Oppositionsbewegungen, Haytham Manna (NCC) und Rim Turkmani, führten Gespräche mit Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates und des UN-Menschenrechtsrates sowie mit Vertretern des US-Kongresses und trafen mit dem Internationalen Sondervermittler für Syrien Lakhdar Brahimi zusammen. Beide Gruppen forderten, jeder weiteren Bewaffnung in Syrien eine Absage zu erteilen und durch Verhandlungen eine politische Lösung zu erreichen.

Manna und Turkmani unterstrichen die drei zentralen Forderungen ihrer 2011 nach einer Konferenz in Damaskus entstandenen Organisationen: Nein zur Gewalt, Nein zur konfessionellen Spaltung der Gesellschaft und Nein zur ausländischen Einmischung. Den Vorwurf der Regimenähe weisen sie zurück. Ihre Aktivisten werden sowohl von syrischen Geheimdiensten wie von Aufständischen bedroht. Der prominente NCC-Vertreter Abdulaziz Al-Khair wurde Ende September 2012 kurz vor einer Konferenz in Damaskus nach einer Auslandsreise verschleppt. Nach NCC-Informationen befindet er sich in einem Gefängnis des Luftwaffengeheimdienstes.

Im Interview mit dem Internationalen Pressedienst IPS kritisierten sowohl Manna als auch Turkmani die syrische Führung dafür, daß sie der Zivilgesellschaft und Bürgerrechtsbewegung im Land bis heute keinen Raum lasse. Daß die Bevölkerung ihren Protest nicht friedlich zum Ausdruck bringen dürfe, habe dazu geführt, daß die Menschen sich bewaffneten. »Nach eineinhalb Jahren sehen wir aber, daß die Gewalt immer mehr zunimmt, während immer weniger über Demokratie gesprochen wird«, sagte Manna in dem IPS-Gespräch. »Es gibt immer mehr wirtschaftliche Probleme und niemand spricht über Entwicklung oder darüber, wie das Land wieder aufgebaut werden kann.«

Die Freunde, die Teile der Opposition gewonnen hätten, indem sie zu den Waffen griffen, zeigten wenig Begeisterung, wenn es um »die Entwicklung eines säkularen, pluralistischen und demokratischen Syrien« gehe, so Manna. Das aber seien die ursprünglichen Forderungen der Protestbewegung gewesen. Rim Turkmani meinte, daß langjährige politische Feinde Syriens die Armee des Landes und damit die Selbstverteidigung schwächen wollten. Zudem fragten sie sich, welche Motivation die stark in dem Krieg engagierten autoritären Golfstaaten antreibe. Nur mit internationalem Druck auf beide Seiten sei Veränderung möglich. Und durch das Engagement der Syrer selber, wofür es viele Beispiele gebe. Manche Gemeinden würden Inlandsvertriebene aufnehmen und versorgen, obwohl sich die Zahl der Einwohner dadurch fast verdopple. Der lokale Dialog könne die Gewalt neutralisieren.

** Aus: junge Welt, Montag, 8. April 2013

Kindersoldaten: Bundesregierung weiß nichts

Mit Bundestagsdrucksache 17-12612 legte die Bundesregierung eine Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion zu Erkenntnissen über den Einsatz von Kindersoldaten in Syrien vor. Unter Bezug auf den Bericht der vom UN-Menschenrechtsrat 2011 eingesetzten Unabhängigen Internationalen Untersuchungskommission (CoI) vom 5. Februar 2013 heißt es nun, da das offizielle Einschreibsystem für Wehrpflichtige in Syrien »nicht mehr vollständig intakt« sei, sortierten regierungsnahe Milizen an Kontrollpunkten »Personen unter 18 Jahren aus, um sie gegebenenfalls als Informanten zu nutzen oder ihnen andere Aufgaben zuzuteilen«. Es gebe »Hinweise«, daß Kinder unter 15 Jahren für Spitzel- und Informantendienste eingesetzt würden, was nach Römischem Statut ein Kriegsverbrechen sei. Die CoI habe auch herausgefunden, daß einige bewaffnete Gruppen Kinder unter 18 Jahren und »in einigen Fällen Kinder unter 15 Jahren in ihren Reihen aufnehmen, die auch an Kampfhandlungen und anderen Operationen beteiligt« seien. Zahlen lägen der Bundesregierung nicht vor, man habe auch keine »eigenen Informationen«. Der CoI-Bericht gebe an, daß die Al-Nusra-Front Kindersoldaten einsetze und »allgemein« die »Freie Syrische Armee« (FSA, siehe Foto vom 16. Januar).

Die Linksfraktion hatte in der Kleinen Anfrage u. a. auf ein im Dezember 2012 veröffentlichtes anonymes Video hingewiesen, auf dem ein Kind einem Gefangenen der Aufständischen die Kehle durchtrennt. Der Film wurde kurz darauf von YouTube entfernt. Das oppositionelle Syrische Zentrum für die Dokumentation von Gewalt hatte berichtet, daß aus den Reihen der FSA seit Beginn des Krieges 17 Kinder getötet wurden. In einem von der US-Organisation »Human Rights Watch« (HRW) im November 2012 veröffentlichten Bericht hatten Minderjährige erzählt, daß sie militärisch ausgebildet wurden. Väter, die offenbar in einem Flüchtlingslager befragt wurden, hatten HRW erzählt, daß sie ihre minderjährigen Söhne in Syrien für den Kampf gegen die Regierungstruppen zurückgelassen hätten.
Karin Leukefeld

(jW, 08.04.2013)




Zurück zur Syrien-Seite

Zur Kindersoldaten-Seite

Zurück zur Homepage