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USA zündeln in Syrien

Washington schickt Spezialeinheiten nach Jordanien. Druck auf Amman, illegalen Grenzübergang von Kämpfern und Waffen nach Syrien zuzulassen

Von Karin Leukefeld *

Die US-Regierung schickt 200 Soldaten nach Jordanien. Das teilte US-Verteidigungsminister Chuck Hagel am Mittwoch in Washington bei einer Anhörung vor dem Verteidigungsausschuß im US-Kongreß mit. Die bereits seit Oktober 2012 in Jordanien stationierten 150 US-Soldaten sollen durch Spezialeinheiten ersetzt werden, sagte Hagel, der am Wochenende in Jordanien und Israel erwartet wird. Auch ein Planungsstab des Heereshauptquartiers werde in Jordanien eingerichtet. Das Pentagon stelle der jordanischen Armee zudem 70 Millionen US-Dollar zur Verfügung, um die Truppen auszubilden und auszurüsten. Die neuen Einheiten sind laut Hagel spezialisiert, Kampfeinsätze zu leiten, Geheimdienstinformationen zu sammeln und weiterzugeben und logistische Vorbereitungen zu treffen. Der Militärexperte Conn Hallinan von »Foreign Policy in Focus« sagte im russischen Nachrichtensender Russia Today, die Maßnahme erinnere ihn an das, was US-Truppen vor der Irak-Invasion 2003 von Saudi-Arabien aus unternommen hätten.

General Martin Dempsey, Chef der US-Streitkräfte, schätzte bei der gleichen Anhörung die Lage in Syrien skeptisch ein. Der Konflikt laufe Gefahr, »in einer Sackgasse« zu enden, sagte er. 2012 habe er noch die Bewaffnung der Aufständischen unterstützt, sehe das heute aber anders. Die Lage in der Opposition sei »deutlich verwirrender als noch vor sechs Monaten«. US-Präsident Barack Obama ziehe ein direktes militärisches Eingreifen in Syrien bisher nicht in Erwägung.

Die Senatoren Carl Levin und John McCain hatten Präsident Obama kürzlich aufgefordert, die Einrichtung einer »Flugverbotszone« im Norden Syriens für Flüchtlinge und Mitglieder der Opposition durchzusetzen. Diese solle von den Patriot-Abwehrraketen geschützt werden, die in der Türkei stationiert sind. Hagel sagte, man müsse sich seiner Sache »verdammt sicher sein. (…) Wenn man einmal ›reingegangen‹ ist, kann man es nicht abwickeln. Man kann nicht einfach sagen, ›Nun, das läuft nicht so gut wie ich gedacht hätte, deswegen gehen wir wieder.‹«

Optimistischer äußerte sich US-Außenminister John Kerry vor dem außenpolitischen Ausschuß im US-Kongreß. Man arbeite »sehr, sehr eng« mit der oppositionellen Nationalen Koalition zusammen, deren Kämpfer hätten durch kontrollierte Waffenlieferungen »viel an Boden gutgemacht«. US-Politik sei zwar »keine tödliche Hilfe, aber wir koordinieren uns sehr, sehr eng mit denen, die es tun«, sagte Kerry laut New York Times.

Der syrische Präsident Baschar Al-Assad forderte am Mittwoch das Nachbarland Jordanien auf, keine Kämpfer und Waffen mehr über die Grenze nach Syrien zu lassen. »Hunderte kommen mit ihren Waffen aus Jordanien nach Syrien«, sagte er im syrischen Fernsehen. Die Jordanier müßten einsehen, »daß das Feuer nicht nur bis an unsere Grenze brennt«. Hochrangige jordanische Geheimdienstbeamte hatten kürzlich die USA dafür verantwortlich gemacht, Amman unter Druck zu setzen und den illegalen Grenzübergang zuzulassen. Der iranische Verteidigungsminister, Brigadegeneral Ahmad Vahidi, warnte am Donnerstag vor einer Militärintervention. Sollte eine ausländische Macht in Syrien einmarschieren, werde der Mittlere Osten »explodieren«.

Bewohner der syrischen Stadt Quneitra erklärten derweil telefonisch gegenüber jW, daß viele ausländische Kämpfer aus Jordanien nach Syrien eingedrungen seien. Sie nutzten dafür die von der UNO eingerichtete Pufferzone zwischen Syrien und Israel, in der die syrische Armee nicht agieren dürfe.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 18. April 2013


Doppelstrategie

Assad warnt Westen vor Terror

Von Werner Pirker **


Der syrische Präsident Baschar Al-Assad hat in einem Interview mit dem Sender Al-Ichbarija die Komplizenschaft der westlichen Hegemonialmächte mit islamistischen Terrorbrigaden angeprangert. Er erinnerte daran, daß der Westen das Terrornetzwerk Al-Qaida in Afghanistan gegen das sowjetische Truppenkontingent in Stellung gebracht und dafür einen hohen Preis zu bezahlen hatte. Heute unterstützten die westlichen Staaten Al-Qaida in Libyen, Syrien und anderen Orten und würden den Preis dafür »im Herzen Europas und im Herzen der USA« zu bezahlen haben.

In Syrien bildet die Nusra-Brigade, die vor wenigen Tagen ihre Zugehörigkeit zur Al-Qaida bekundete, die Vorhut des bewaffneten Aufstandes gegen die Regierungskräfte. Ohne diese hoch motivierte und militärisch gut ausgebildete Miliz, in deren Umfeld sich auch andere dschihadistische Todesschwadronen zu grausamen Bestleistungen steigern, wäre die Rebellion gegen die Regierung in Damaskus längst in sich zusammengebrochen. Es ist deshalb auch falsch, von einem syrischen Bürgerkrieg zu sprechen. Denn hier kämpfen nicht Syrer gegen Syrer. Es ist vielmehr ein Krieg zwischen regulären, die Souveränität ihres Landes verteidigenden syrischen Kräften und Banden von religiös aufgehetzten, fremdfinanzierten Söldnern. Präsident Assad nannte mit Jordanien eines der arabischen Länder, die sich an der Aggression gegen Syrien – die jordanische Armee bildet antisyrische Diversanten aus – beteiligen. Wenn sich jetzt US-Spezialeinheiten in Richtung Jordanien aufmachen, um den Truppen der haschemitischen Monarchie »beizustehen«, zeigt das, wie klein der Schritt zu offenem militärischen Eingreifen der Westmächte in Syrien ist.

Die Waffenbruderschaft westlicher Warlords mit islamistischen Mordbrennern läßt sich nicht unbedingt mit dem von George W. Bush entfesselten und von Barack Obama weitergeführten »War on terror« vereinbaren. Doch ist das westliche Machtkartell tatsächlich so naiv, schon wieder in die islamistische Falle zu tappen, wie das Assad annimmt? Wohl eher nicht. Es stellt sich vielmehr die Frage, ob die von der imperialen Propagandawalze bei Bedarf zu Hauptfeinden der Menschheit dämonisierten Islamisten überhaupt Herren über ihre eigene Strategie sind. Viel wahrscheinlicher ist die Annahme, daß die »Gotteskrieger« beliebig instrumentalisierbar sind. Als heimtückische Feinde, derer das Imperium bedarf, um seinen auf die gewaltsame Erzwingung von Regimewechseln gerichteten Ordnungskriegen einen Anschein von Legitimität zu verleihen. Oder aber als mehr oder weniger heimliche Verbündete, wenn das auf der westlichen Abschußliste stehende Regime ein laizistisches ist. In Syrien hui, in Mali pfui – so stellt sich die »Doppelstrategie« der Wertegemeinschaft gegenüber dem Islamismus dar. Die Menschenopfer der imperialistischer Moral geschuldeten Politik gehen in die Millionen.

** Aus: junge Welt, Freitag, 19. April 2013 (Kommentar)


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