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"Die Wahlen in Israel haben den Friedensprozess zerstört"

Syrien stellt Bedingungen für Gespräche mit Regierung Netanjahu *

Der Politikprofessor George Jabbour (71) war von 1970 bis 1989 Berater des syrischen Präsidenten Hafez al-Assad. Bis 1998 beriet er den Ministerpräsidenten, er war Parlamentsabgeordneter und vertrat Syrien im UN-Menschenrechtsrat (2006-2008). Auch nach seiner Pensionierung im vergangenen Jahr ist Jabbour weiter Präsident der Gesellschaft für die Vereinten Nationen (Syrien). Er ist Autor zahlreicher Bücher. Über die Situation im Nahen Osten sprach mit ihm für das Neue Deutschland (ND) in Damaskus Karin Leukefeld.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hat kürzlich bei seinem Besuch in Damaskus darauf gedrängt, die Gespräche mit Israel wieder aufzunehmen. Worum geht es für Syrien dabei?

Das Ziel Syriens ist klar: Wir wollen die Golanhöhen zurückhaben, bis auf den letzten Zentimeter. Präsident Hafez al-Assad wurde immer dafür kritisiert, dass er nicht bereit war, auch nur auf zehn Meter zu verzichten. Man hielt ihm vor, er wolle den politischen Konflikt mit Israel nicht beenden. Als sein Sohn Baschir das Amt übernahm, ging es wieder um diese zehn Meter, doch er sagte: »Wenn zehn Meter nicht wichtig sind, um einen Konflikt zu lösen, warum gibt Israel uns nicht einfach alles zurück, auch die zehn Meter, die uns ohnehin zustehen?« Die Rückgabe des gesamten Golan ist Syriens Recht, und zwar bevor Friedensverhandlungen beginnen können.

Die Türkei vermittelte 2008 indirekte Gespräche mit Israel. Könnte ein Vermittler Deutschland, EU oder USA mehr erreichen?

Lassen Sie mich zu Deutschland eines sagen: Als Steinmeier vor kurzem in Israel war und Shimon Peres sagte, Syrien könne nicht erwarten, dass es den Golan auf einem Silbertablett serviert bekomme, habe ich von Steinmeier eine Antwort erwartet. Immerhin ist die Rückgabe der Golanhöhen internationales Recht. Aber Steinmeier hat geschwiegen. Damit hat er seine Glaubwürdigkeit verspielt. Nein, ein Deutschland mit so einer Haltung braucht Syrien nicht. Was die USA betrifft: Barack Obama hat Israel mehrmals aufgefordert, dass der weitere Ausbau israelischer Siedlungen gestoppt werden muss. Doch Israels Premier Netanjahu macht einfach weiter. Das ähnelt einem Streit zwischen Großbritannien und der früheren britischen Kolonie Rhodesien im Jahr 1965. Wilson warnte Smith vor der einseitigen Loslösung Südrhodesiens, doch Smith sagte: »Herr Wilson hat nicht verstanden, dass ich hier in Südrhodesien mehr Macht habe als Herr Wilson in seinem eigenen Land.« Genauso verhält sich Netanjahu.

Kann Syrien dennoch Frieden mit einer Regierung unter Benjamin Netanjahu schließen?

Hierzu kann ich Ihnen nur meine private Einschätzung geben. Meiner Ansicht nach haben die letzten Wahlen in Israel den Friedensprozess getötet. Die öffentliche Meinung in Israel geht in Richtung Religiosität, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Es ist eine Sache der Bildung, die der israelischen Gesellschaft fehlt. Das ist ein langer Prozess, der noch nicht einmal angefangen hat. Hier sehe ich auch die EU in einer moralischen Verpflichtung, sie unterstützt Israel, hier muss sie mehr tun.

Die USA wollen wieder einen Botschafter nach Damaskus schicken, Frankreich und andere europäische Staaten setzen sich für die Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens mit Syrien ein. Dafür soll Damaskus die strategischen Beziehungen zu Iran aufgeben und die Unterstützung für Hisbollah und Hamas ebenfalls. Wird Syrien diesen Preis zahlen?

Sogar der französische Außenminister Bernard Kouchner hat sich kürzlich in Beirut mit Vertretern der Hisbollah getroffen, ebenso die britische Botschafterin. Das hätte auch Steinmeier tun sollen. Jimmy Carter, der frühere USA-Präsident, trifft sich regelmäßig mit der Hamas, der Westen sollte von Carter lernen. Syrien bestimmt selbst, mit wem es Beziehungen unterhält. Und es hat sich herausgestellt, dass dies richtig ist. Syrien hat sich damit behauptet. Die Beziehungen zu Iran sind alt und strategisch, das wird sich nicht ändern. Syrien ist der Ansicht, dass Iran ein Recht auf ein friedliches Atomprogramm hat und vielleicht gelingt es Damaskus, Iran die Sorgen des Westens zu vermitteln und umgekehrt dem Westen die Sorgen Irans. Syrien kann dabei seine guten Dienste anbieten.

Ohne seine Beziehungen zu Hamas und zur Hisbollah aufzugeben?

Syrien unterstützt den Widerstand in der Region moralisch. Beide Organisationen kämpfen gegen Besatzung, das ist ihr Recht. Solange noch arabisches Land besetzt gehalten wird, wird Syrien einer »Normalisierung« mit Israel, wie sie Ägypten oder Saudi-Arabien umsetzen, nicht zustimmen.

* Aus: Neues Deutschland, 22. Juli 2009


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