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Exilregierung gebildet

Syriens "Nationale Koalition" wählt in Istanbul US-Bürger zum "Ministerpräsidenten"

Von Karin Leukefeld *

Die »Nationale Koalition für die Kräfte von Opposition und Revolution in Syrien« hat sich am Montag nach einer 14stündigen Diskussion in einem Hotel in Istanbul einen Ministerpräsidenten gewählt. Die Wahl fiel auf Ghassan Hitto, einen 50jährigen Manager und IT-Fachmann. Hitto ist in den USA aufgewachsen, wo er Mathematik und Computerwissenschaften studierte. Er ist US-amerikanischer Staatsbürger und »neigt dem Islam zu« heißt es in verschiedenen Porträts. Hitto war mehr als zehn Jahre Direktor der »Brighter Horizons Akademie« in Texas, nach eigenen Angaben eine »Bildungseinrichtung zur Förderung eines islamfreundlichen Klimas«. Hitto gründete die Koalition für ein Freies Syrien und wurde 2012 Vorstandsmitglied im Syrisch-Amerikanischen Rat.

Der in Damaskus geborene Hitto hatte seit Gründung der Nationalen Koalition im November 2012 die humanitäre Hilfe für die Organisation koordiniert. Dafür war er mit seiner Familie in die Türkei übergesiedelt, wo der die Verteilung der humanitären Hilfe leitete. Hitto hat gute Beziehungen in die Golfstaaten, die die Arbeit der Nationalen Koalition finanzieren.

Außer Hitto kandidierte noch Asaad Mustafa, der unter dem früheren syrischen Präsidenten Hafiz Al-Assad Landwirtschaftsminister war. Zwei andere Personen hatten ihre Kandidatur zurückgezogen, daraufhin verließen etliche Personen die Sitzung. Hitto erhielt schließlich 35 von 49 abgegebenen Stimmen, 20 Personen enthielten sich. Ein Sprecher der Koalition teilte mit, es handele sich bei Hitto um einen »Konsenskandidaten«, der sowohl die Unterstützung der Islamisten als auch der Liberalen in der Koalition habe.

Nach seiner Wahl erklärte Hitto, er werde zügig die Regierung bilden und das Programm zusammenstellen. Die Regierung soll ihre Arbeit in den von Aufständischen »befreiten Gebieten« in Syrien aufnehmen. Hitto ist gegen Verhandlungen mit der syrischen Regierung, wie es in der Genfer Vereinbarung vorgesehen ist. Vom Westen fordert er Waffen und finanzielle Unterstützung.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle begrüßte die Wahl Hittos’ »als weiteren Schritt zur Einigung und Festigung der syrischen Opposition«. Hitto sei ein »Fachmann«, was »Fortschritte beim Wiederaufbau« verspreche, hieß es in einer Erklärung des Auswärtigen Amtes am Dienstag. »Deutschland unterstützt die Anstrengungen, um die Lage der Menschen dort zu verbessern.«

Zweimal war der Termin zur Bildung einer Exilregierung verschoben worden, weil der Vorgang innerhalb der Koalition umstritten ist. Prominentester Kritiker war der Präsident des Bündnisses, Mouaz Al-Khatib, der sich Ende Januar bereiterklärt hatte, mit Vertretern der syrischen Regierung Verhandlungen aufzunehmen. Al-Khatib hatte seine Ablehnung gegenüber der Bildung einer Exilregierung damit erklärt, daß der Schritt zu einer Spaltung Syriens führen könnte. Er sei zur Bildung einer Übergangsregierung bereit, wie es die Genfer Vereinbarung vorsieht. Innerhalb der Koalition war Al-Khatib dafür massiv kritisiert worden. Bereits vereinbarte Gespräche in Moskau mußte er unter internem Druck absagen.

Nun war aber offenbar der Druck der Geldgeber der Koalition in den Golfstaaten auch für Al-Khatib zu groß geworden. Arabischen und UN-Quellen zufolge will vor allem Katar die Genfer Vereinbarung verhindern und drängt auf die Bildung einer Exilregierung, die den Sitz Syriens in der Arabischen Liga übernehmen soll. Diese tagt zum nächsten Mal am 26. März in im katarischen Doha.

Der Oberkommandierende des Obersten Militärrates der »Freien Syrischen Armee«, General Selim Idriss, erklärte die Unterstützung seiner Truppen und fügte hinzu, man werde »unter dem Schirm dieser Regierung arbeiten«. Idriss appellierte erneut an den Westen, die Aufständischen mit mehr Waffen auszurüsten. Er garantiere dafür, daß »diese Waffen nicht in die falschen Hände fallen«.

Frankreich und Großbritannien könnten bei der EU-Außenministerkonferenz in Dublin am kommenden Freitag die Aufhebung des EU-Waffenembargos beantragen. US-Präsident und Friedensnobelpreisträger Barack Obama ließ durch Außenminister Kerry mitteilen, die USA werde sich niemandem in den Weg stellen, der Waffen liefern will. »Egal ob es Frankreich, Großbritannien oder andere« Staaten seien.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 20. März 2013


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