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Was steckt hinter den Bomben?

Zu den Hintergründen des israelischen Luftangriffs auf Syrien

Von Conn Hallinan *

Warum führte Israel am 29. Januar einen Luftangriff auf Syrien aus? Es gibt keinerlei Beweise, dass dieser Angriff irgendetwas mit den SA-17 zu tun hatte, die, wie Israel und auch Washington wussten, keine wirkliche Gefahr für Israel darstellten. Was sind dann also andere mögliche Gründe für den Angriff?

Jetzt, wo sich der Staub von Israels Luftangriff auf Syrien am 29. Januar – wirklich wie bildlich – gelegt hat, ist die Frage: warum?

Laut Tel Aviv zielte die Bombardierung darauf ab, die Verlegung technologisch hochwertiger russischer SA-17 Luftabwehr-Raketen in den Libanon zur Hisbollah zu verhindern, was, wie ein früherer israelischer Geheimdienstoffizier sagte, „die Spielregeln verändern“ würde. Bei dieser Version bleiben aber beträchtliche Probleme bestehen.

Erstens, es ist höchst unwahrscheinlich, dass Damaskus der Hisbollah ein derartiges Waffensystem übergeben würde, teils weil die Russen dies sicherlich nicht erlaubt hätten, und zweitens weil die SA-17 nicht sonderlich nützlich für die schiitische libanesische Organisation wären. Wir wissen in der Tat noch nicht einmal, ob eine SA-17 das Ziel des Angriffs war. Die Syrer bestreiten das, und behaupten, dass es ein militärisches Forschungszentrum, 25 Kilometer nordwestlich von Damaskus, gewesen sei, das bombardiert worden sei, wobei zwei Menschen getötet und fünf verwundet worden seien. Die Israelis verweigern jegliche Auskunft dazu. Die Geschichte, dass die Luftabwehr Raketen das Ziel gewesen seien, stammt hauptsächlich von nicht genannten „westlichen Offiziellen“.

Die SA-17 ist eine schlagkräftige Luftabwehrwaffe für mittlere Entfernungen. Von der NATO mit der Bezeichnung „Grizzly“ belegt, besteht sie aus vier Raketen, die auf einer mobilen Plattform montiert sind. Sie hat eine Reichweite von 50 Kilometern, erreicht eine Höhe von fast 17000 Metern und kann alles abschießen, von Flugzeugen bis cruise missiles. Sie wurde 1998 eingeführt als Ersatz für die SA-11 „Stechfliege“, und wurde bisher an Ägypten, Syrien, Finnland, China, Venezuela, Indien, Zypern, Weißrussland und die Ukraine verkauft.

Sie hat ihren Biss. Während des russisch-georgischen Krieges schoss die SA-17 offenbar drei russische SU-25 Kampfflugzeuge und einen alten Tupolev Langstreckenbomber ab. Es scheint, dass Georgien dies Luftabwehrsystem von der Ukraine erworben hatte, ohne dass die Russen davon Kenntnis besaßen.

Die Hersteller der SA-17 behaupten, ihr System sei unempfindlich gegenüber elektronischen Abwehrmaßnahmen, aber jeder Waffenproduzent behauptet, dass seine Waffen unwiderstehlich oder unbesiegbar seien. Die SU-25 und der Bomber wurden während der ersten Kampftage abgeschossen, bevor die Russen merkten, dass die Georgier einen Trumpf in der Hinterhand hatten, und sie dann Gegenmaßnahmen einbauten. Diese funktionierten offensichtlich, denn die vier Flugzeuge waren die einzigen, die die Russen verloren. Klar bleibt aber, wenn man sorglos oder nachlässig im Umfeld einer SA-17 operiert, kann sie sehr ungemütlich für einen werden.

Aber eine „Veränderung der Spielregeln“? Die SA-17 ist im Umfang massiv und verwundbar, ein leichtes Ziel für mit weitreichenden Bomben und Raketen ausgerüstete Kampfflugzeuge, die unterstützt werden durch elektronisches Kriegsgerät. Die israelische Abwehrwaffenelektronik ist hoch entwickelt, so gut wie, wenn nicht besser als, die der USA. 2007 schlüpften israelische Kampfflugzeuge durch das syrische Radarnetz ohne entdeckt zu werden und bombardierten einen vermuteten Atomreaktor. Damaskus erwarb die SA-17 nach diesem Angriff von 2007.

Vorausgesetzt, dass in der NATO offen darüber gesprochen wird, eine „Flugverbotszone“ über Syrien einzurichten, warum sollte gerade dann Syrien sein modernstes Luftabwehrsystem der Hisbollah übergeben? Und was würde die Hisbollah damit anfangen? Es ist zu groß um versteckt werden zu können und wird üblicherweise nur als Teil eines umfangreicheren Luftabwehrsystems verwendet, worüber die Hisbollah nicht verfügt. In jedem Fall würde es eine Provokation darstellen, und weder die Hisbollah noch Syrien möchten den Israelis einen Vorwand liefern auf sie einzuschlagen. Beide sind zurzeit genug mit anderen Dingen beschäftigt, auch ohne einen zusätzlichen Krieg mit einem weit überlegenen militärischen Gegner.

Kurz gesagt, es gibt keinerlei Beweise, dass der Angriff irgendetwas mit den SA-17 zu tun hatte, die sowieso, wie Tel Aviv und auch Washington wissen, keine wirkliche Gefahr für Israel darstellen würden. Laut UPI war der Angriff mit den USA abgesprochen.

Was sind also mögliche andere Gründe für den Angriff?

Das offensichtlichste Ziel ist das Assad-Regime in Syrien, was auf den ersten Blick ein Widerspruch zu sein scheint. Würde die Bombardierung Syriens durch Israel nicht die arabischen Staaten in der Unterstützung Syriens vereinen? Es gab ja in der Tat Verurteilungen seitens der Arabischen Liga, Ägyptens, des Libanons, der Türkei und sogar einiger syrischer Oppositionellen Assads – obgleich der Golf-Kooperationsrat, die Gruppe der öl-reichen Monarchien, die den syrischen Bürgerkrieg finanzieren, bemerkenswert schweigsam blieb.

Aber das waren zumeist formale Proteste, und im Falle der Türkei waren sie geradezu bizarr. Ankara hat bisher eine wichtige Rolle bei der Unterstützung der Aufständischen gegen Assad gespielt, stellte Patriot-Raketen an seiner Grenze Syrien auf und forderte den Rücktritt des syrischen Präsidenten. Und doch beschuldigte der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu Assad, nicht „die Ehre seines Landes gewahrt“ und gegen Israel Vergeltung geübt zu haben.

Laut Presseberichten verstärkt Israel seine Truppen auf den an Syrien grenzenden besetzten Golanhöhen um eine Pufferzone auf der syrischen Seite einzurichten. Israel errichtete bereits 1982 einen ähnlichen „Puffer“ im Libanon nach seiner Invasion in das Land, ein „Puffer“ der letztlich zur Bildung der Hisbollah führte und zum demütigenden Rückzug im Jahr 2000.

Israel behauptet, dass die Kämpfe in Syrien es nicht weiter beträfen und gibt sich besorgt über einen möglichen Sieg islamistischer Extremisten im Bürgerkrieg. Aber bei all dem Medienrummel über Islamisten, die einen Dschihad gegen Israel führen weiß Tel Aviv, dass al-Kaida und seine Verbündeten keine ernsthafte Bedrohung für Israel darstellen. Es ist kluge Politik ( und gute Show ) – in Washington wie in Tel Aviv – zu rufen „die Turbane rücken an“ ( schnell, gebt uns eine Menge Geld und eure Verfassung ), aber religiöser Extremismus und Scharia-Gesetzgebung stellen kaum eine existenzielle Bedrohung für nuklear bewaffnete Länder mit großen Streitkräften dar. Kämpfer des salafistischen Jabhat al-Nusrah würden bei einem Marsch auf Jerusalem nicht weit kommen.

Der Bombenangriff war sicher ein Schlag ins Gesicht für Assad, aber er war nicht der erste, und er erscheint weniger gegen das Regime in Damaskus gerichtet sonder eher eine weitere Zutat darzustellen für den Hexentrank des Chaos, das Syrien und die umgebenden Länder rapide erfasst Und Chaos und Gespaltenheit in der Region waren immer ein Verbündeter Israels. Teile und herrsche ist eine alte koloniale Taktik, die bis in die Zeit des Römische Imperiums zurückreicht. Nach dem Ersten Weltkrieg benutzten die Engländer die Juden und Araber als Bauern im Schachspiel um die Kontrolle des Britischen Mandatsgebiets in Palästina. Kurz gesagt, die Israelis hatten die besten Lehrmeister.

Der anwachsende religiöse Krieg zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden, der durch den syrischen Bürgerkrieg hochgekocht wird, lässt Israel eine Zuschauerrolle einnehmen. Wer wird dann noch das ständige Vordringen von Siedlungen auf palästinensisches Land wahrnehmen, wenn im syrischen Bürgerkrieg 60.000 Menschen getötet, 800.00 Flüchtlinge erzeugt, und der Libanon, der Irak und Jordanien destabilisiert werden?

Und zu guter letzt gibt es noch den Iran. Assad loszuwerden würde einen wichtigen Verbündeten des Iran in der Region beseitigen und auch die schiitische Hisbollah schwächen, die Organisation, die israelisches Vorgehen 2006 militärisch zum Stillstand brachte. Assad, sagte der frühere israelische General Micheal Herzog, “ ist der Angelpunkt der radikalen Iran-Hisbollah-Achse… sein Sturz würde daher Teheran einen bedeutsamen Schlag versetzen, die Hisbollah signifikant schwächen und diese Dreier-Achse zerschlagen.“

Religiöses Chaos in Syrien schwappt bereits über in den Irak, wo eine brutale Bombenkampagne durch sunnitische Extremisten Gespräche über die Wiedererrichtung schiitischer Milizen zum Schutz ihrer Gemeinden nährt. Islamisten sind ebenfalls in steigendem Maße im Libanon und in Jordanien aktiv.

Seit mehreren Jahren schon warnen die USA und die sunnitisch dominierten Monarchien des Nahen/Mittleren Ostens vor den Gefahren eines „Schiitischen Halbmonds“ des Irans, Iraks und der Hisbollah. Aber die Idee eines „Halbmonds“ war schon immer mehr Medienrummel als Wirklichkeit – die Schiiten machen ungefähr 15 Prozent in der Region aus und stellen lediglich im Irak, Iran und Bahrein die Mehrheit. Libanesische Schiiten sind in der Mehrzahl. Generell bilden die Schiiten den ärmsten Teil der muslimischen Gemeinschaft und waren seit langem, außer im Iran und in Syrien, politisch marginalisiert. Schiitische „Dominanz“ war schon immer ein Butzemann, nicht sehr real aber nützlich zum Schüren der Flammen des Sektierertums.

Und das Sektierertum befindet sich heute auf dem Vormarsch im Nahen/Mittleren Osten, finanziert von den finanzstarken Golf-Monarchien und der Feindseligkeit der USA und ihrer Verbündeten gegenüber autoritären säkularen Regierungen. Während die NATO im Namen der Demokratie die libysche Regierung stürzte und den syrischen Aufstand unterstützt, hat sie überhaupt keine Skrupel bei der Unterstützung absoluter Monarchien, die von Marokko im Westen bis Saudi-Arabien im Osten herrschen.

War die Leichtigkeit, mit der Israel den syrischen Luftraum durchdrang auch eine Botschaft an Teheran? Bestimmt, auch wenn die Wahrscheinlichkeit, dass Israel den Iran in diesem Frühjahr angreift gering ( allerdings auch nicht völlig ausgeschlossen ) ist. Israel könnte dem Iran schwere Schäden zufügen, aber es verfügt nicht über die Waffen oder die Schlagkraft in der Luft, um Teherans nukleares Programm zu zerschlagen. Plus, die Iraner, verärgert über die belastenden Sanktionen – und stets noch störrisch bei Verhandlungen – sind sorgfältig dabei ihre nuklearen Vorräte in zivile Nutzung zu leiten.

Israel würde die USA benötigen um den Iran richtig zusammenzuschlagen, und das scheint nicht die Richtung zu sein, in die die Obama-Regierung sich bewegt. Ein Angriff auf den Iran würde Israel und die USA diplomatisch isolieren und die NATO spalten zu einer Zeit, in der Washington verzweifelt versucht die Allianz zusammenzuhalten.

Jedenfalls sind sich Tel Aviv und Washington wohl bewusst, dass der Iran keine „existenzielle“ Bedrohung für Israel darstellt. Selbst wenn der Iran mehrere nukleare Sprengköpfe bauen sollte – und es gibt keine Beweise dafür, dass das beabsichtigt ist – würde das Land einem Israel gegenüberstehen, das mit zwischen 100 und 200 nuklearen Sprengköpfen bewaffnet ist, ausreichend die iranische Gesellschaft zu zerstören. Selbst der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak gibt zu, dass der Iran keine Bedrohung für die Existenz Israels darstellt.

Wenn es etwas gibt, das die Bombardierung erreicht hat, so ist das eine Verstärkung der Mauern zwischen Israel und dem übrigen Nahen/Mittleren Osten. Tel Aviv stellt Raketenabwehrsysteme an seiner nördlichen Grenze auf und verteilt Gasmasken in Galiläa. Es verstärkt seine Präsenz auf den Golan-Höhen und die Grenze zu Ägypten. Und in der Zwischenzeit verkündete die Netanjahu-Regierung eine weitere Runde an Siedlungsbauten.

Ob Spaltung und Chaos, zusammen mit diesen Mauern und Raketen und Gasmasken, Israel die es umgebende Anarchie vom Leibe halten werden ist dann noch eine ganz andere Frage. Ziegel und Bomben jedenfalls erzeugen niemals wirkliche Sicherheit.

[Übersetzung aus dem Englischen: Eckart Fooken]

Originalartikel: „Israel & Syria: Behind the Bombs“. In: Dispatches from the Edge, February 17, 2013; http://dispatchesfromtheedgeblog.wordpress.com/


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