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Israelische Kampfflugzeuge bombardieren Syrien – nicht zum ersten Mal

Unterschiedliche Angaben über das Ziel – Tel Aviv und Washington schweigen

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Israelische Kampfflugzeuge haben in der Nacht zu Mittwoch (30.1.2013) eine militärische Forschungsanlage in Jamraya, nördlich von Damaskus bombardiert. Das berichtete die syrische Nachrichtenagentur SANA am Mittwochabend unter Berufung auf das Oberkommando der syrischen Armee und Streitkräfte. Die Forschung in der Anlage diene „der Verbesserung unseres Widerstandes und der Selbstverteidigung“, hieß es in der Stellungnahme. Israelische Kampfjets seien vom Südlibanon her, nördlich des Jebl Scheich (Berg Hermon) in den syrischen Luftraum eingedrungen und hätten das syrische Radar unterflogen, um die Forschungsanlage anzugreifen. Es sei erheblicher Sachschaden an Gebäuden, Forschungsanlagen und Garagen entstanden. Zwei Personen wurden getötet, fünf weitere verletzt.

Syrien bestätigte damit Meldungen westlicher Nachrichtenagenturen über einen israelischen Luftangriff auf Syrien. Das Ziel allerdings wird verschiedenen angegeben. Unter Berufung auf anonyme Quellen in der Region berichteten übereinstimmend Reuters, AP und AFP, israelische Kampfjets hätten einen Angriff in der Grenzregion zwischen Libanon und Syrien geflogen. Ziel sei ein Waffentransport gewesen, der die Grenze in den Libanon überqueren wollte. Die Nachrichtenagentur AP vermutete, es könne sich bei der (zerstörten) Ladung um Teile des russischen Luftabwehr-Raketensystems SA-17 gehandelt haben, andere Meldungen vermuteten Teile einer Radaranlage.

Die Armeeerklärung bezeichnete diese Meldungen „substanzlos“. Israel habe eine Forschungsanlage angegriffen und damit „offenkundig und dreist die Souveränität und den Luftraum Syriens verletzt.

Die libanesische Armee hatte am Mittwochmorgen bestätigt, dass 12 israelische Kampfjets in der Nacht zuvor in drei Wellen den libanesischen Luftraum verletzt hätten. Die Überflüge hätten am Dienstag um 16.30 Uhr begonnen, die letzten Maschinen hätten den libanesischen Luftraum am Mittwochmorgen um 7.55 Uhr verlassen.

Nach Angaben des Internetportals Al Monitor (www.al-monitor.com) hat Israel im Vorfeld seinen Angriff in Washington und Moskau abgesichert. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu telefonierte am Montag mit US-Präsident Barak Obama, nachdem er sich tags zuvor mit dem US-Botschafter in Israel, Dan Shapiro getroffen hatte. Der militärische Geheimdienstchef Israels, Generalmajor Aviv Kochavi, traf sich am Dienstag hinter geschlossenen Türen in Washington u.a. mit General Martin Dempsey, dem Chef des Obersten US-Militärkommandos. Den Nationalen Sicherheitsberater Ya’akov Amidror schickte Tel Aviv nach Moskau.

Israel und die USA lehnten eine Stellungnahme zu dem Angriff ab.

Israelische Medien kommentierten, Israel sei „heute näher an einer Konfrontation an der Nordgrenze als jemals seit dem Zweiten Libanonkrieg“ (Yedioth Ahronoth). Haaretz schrieb, der Angriff könne ein Wink mit dem Zaunpfahl an die Türkei und die USA sein, dass „ein militärischer Angriff um das Regime in Syrien zu stürzen, eine Option sein könnte“. In Ma’ariv hieß es, „ein Angriff, ob er stattgefunden hat oder nicht, führt nicht automatisch zum Kriegsausbruch im Norden“. Und in Ysrael Hayom hieß es: “Sollte Israel das getan haben, was ausländische Medien berichten, ist der Ball jetzt in Assads Feld“.

Offenbar in Vorbereitung auf ihren Angriff hatten die israelischen Streitkräfte am Sonntag zwei Raketenabwehrsysteme „Eiserne Kuppel“ (andere Meldungen berichten von einem System) nördlich der Stadt Haifa stationiert. Der stellvertretende israelische Ministerpräsident Silvan Shalom hatte am Sonntag einen „Präventivschlag gegen Syrien“ nicht ausgeschlossen. Angeblich um zu verhindern, dass die in Syrien vermuteten Chemiewaffen in die Hände der Hisbollah oder von Al Khaida gelangten.

In einer ungewöhnlich ausführlichen Erklärung brachte das Oberkommando der syrischen Armee und Streitkräfte den israelischen Angriff in Verbindung mit den Angriffen bewaffneter Aufständischen auf Militär- und Luftverteidigungssysteme der syrischen Armee seit fast zwei Jahren. Mit dem Angriff auf die militärische Forschungseinrichtung sei klar geworden, dass „Israel der Anstifter, Nutznießer und manchmal auch der Vollstrecker terroristischer Aktionen“ sei, denen Syrien und die Syrer ausgesetzt seien. Insbesondere „die Türkei und Katar“ hätten sich dabei „zu Komplizen“ gemacht. Der Angriff reihe sich ein in „die lange Geschichte (Israels) von Aggression und Verbrechen gegen Araber und Muslime“, so die Armeeführung weiter. Die „internationale Gemeinschaft“ werde sich zu dieser „israelischen Arroganz und Verletzung der syrischen Souveränität“ verhalten müssen.

Sollte der Angriff auf die syrische Forschungsanlage bestätigt werden, habe man es mit „nicht provozierten Angriffen auf Ziele auf dem Territorium eines souveränen Staates zu tun“, hieß es im russischen Außenministerium. Das sei eine „krasse Verletzung der UN-Chart und unakzeptabel, egal welche Motive zur Rechtfertigung vorgebracht“ würden.

Die iranische Regierung verurteilte den Angriff scharf. Es handle sich um eine "brutale Aggression", erklärte Außenminister Ali Akbar Salehi am Donnerstag. Der Angriff sei im Sinne westlicher Politik, die eine Befriedung und Stabilisierung Syriens verhindern wolle. Der syrische Botschafter im Libanon, Ali Abdul-Karim Ali erklärte, Syrien habe „die Möglichkeit einen überraschenden Vergeltungsschlag auszuführen“.

Die libanesische Hisbollah verurteilte den israelischen Luftangriff als Versuch, „jeden arabischen und muslimischen Staat davon abzuhalten, eigene technologische und militärische Fähigkeiten zu entwickeln“. Die internationale Gemeinschaft, arabische und muslimische Staaten sollten den Angriff verurteilen, hieß es in der Stellungnahme. Allerdings sei man „an das Schweigen dieser Gemeinschaft angesichts solcher Angriffe gewöhnt, besonders wenn das zionistische Gebilde der Angreifer ist“. Angesichts der möglichen schwerwiegenden Folgen, die der Angriff auf Syrien haben könne, sollten „einige Seiten“ erneut über einen Dialog in Syrien nachdenken, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden.

Ali Mohamad, Chefredakteur des Internportals Syria Tribune sagte dem russischen Nachrichtensender Russia Today, der israelische Angriff folge gezielten Angriffen bewaffneter Gruppen, die seit „sieben Monaten Stellungen der militärischen Luftabwehr bei Damaskus“ angegriffen hätten. Der Luftangriff zeige, „dass Israel großes Interesse an der Instabilität Syriens hat und dabei helfen ihm Gruppen bewaffneter Rebellen in Syrien.“

In ersten Reaktionen zeigten Gesprächspartner in Damaskus sich empört. „Israel greift Gaza an, den Libanon, selbst Schiffe auf dem Meer“, sagt ein Mann, als er von dem Angriff in den syrischen Abendnachrichten hört. „USA und Europa sagen nichts, Israel steht über jedem Gesetz.“

Die syrische Gesellschaft für die Vereinten Nationen verurteilte den Angriff der Kampfjets als Bruch des Völkerrechts und Missachtung der syrischen Souveränität. Der Vorsitzende der Gesellschaft, George Jabbour, forderte den UN-Sicherheitsrat auf, das Vorgehen Israels zu verurteilen und Strafmaßnahmen zu verhängen.

2007 zerstörten israelische Kampfjets im Norden Syriens einen Rohbau. Israel behauptete, es habe sich um eine mit Hilfe Nordkoreas errichtete Nuklearanlage gehandelt. Syrien wies die Darstellung zurück.

* Artikel der Autorin zum Thema erschienen am 1. Februar 2013 in der "jungen Welt" und im "neuen deutschland".


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