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Islamisten übernehmen Kriegsregie

Auch Flüchtlinge aus Sudan und Somalia fürchten Gewalt in Syrien

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Nachrichten der unterschiedlichsten Art stürzten am Wochenende auf die Korrespondenten in der syrischen Hauptstadt ein. Auf baldigen Frieden ließ keine hoffen.

Eine bewaffnete Gruppe haben unweit der syrischen Hauptstadt Damaskus einen Bus mit 48 iranischen Pilgern entführt. Die Männer und Frauen wurden auf dem Weg von Saida Zeynab zum Internationalen Flughafen mit Waffengewalt gestoppt und verschleppt. Während iranische Medien meldeten, die Gruppe sei durch syrische staatliche Sicherheitskräfte noch am Sonntagabend befreit worden, hieß es in syrischen Medien lediglich, die Sicherheitskräfte seien »mit der Aufklärung befasst«.

Saida Zeynab, das rund 20 Kilometer südwestlich von Damaskus liegt, beherbergt einen der wichtigsten Schreine, der jährlich von Zehntausenden schiitischen Pilgern aus aller Welt besucht wird. In den vergangenen Wochen war es in den kleinen Ortschaften und Dörfern, die zwischen Saida Zeynab und Damaskus liegen, wiederholt zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen bewaffneten Aufständischen und Militär- und Sicherheitskräften gekommen. Die islamistische »Al-Baraa-Märtyrerbrigade«, die sich in einem Video auf dem saudiarabischen Sender »Al Arabija« zu der Entführung bekannte, behauptet, unter den Pilgern befänden sich Agenten der iranischen Revolutionsgarden. Irans Außenminister Ali Akbar Salehi wiederum ersuchte die Türkei und Katar, bei der Befreiung der Pilger zu helfen.

Der vor zwei Wochen aus seinem Haus in Damaskus entführte prominente Fernsehmoderator Mohammed al-Said ist offenbar von seinen Entführern ermordet worden. Per Internet erklärte die islamistische Gruppe »Al-Nusra-Front«, sie habe Al-Said getötet und werde weitere Unterstützer von Präsident Baschar al-Assad angreifen. Das Staatliche Syrische Fernsehen, bei dem Al-Said arbeitete, erklärte unterdessen, man habe keine »haltbaren Beweise« für den Tod des Kollegen. Die islamistische Gruppe, die bis Ende 2011 als unbekannt galt, hat seit Dezember die Verantwortung für schwere Anschläge in Aleppo und Damaskus übernommen.

Unweit der Hauptstadt, in der Ortschaft Yelda, waren am Sonnabend 22 Leichen gefunden worden. Nach Angaben syrischer Medien, die von dort berichteten, sollen die Opfer unbewaffnete Männer gewesen sein, die von einer bewaffneten Gruppe angegriffen wurden. Fotos zeigen die Leichen in ziviler Kleidung, ein Mann war offenbar durch einen Schuss ins Auge hingerichtet worden.

Die Kämpfe zwischen bewaffneten Aufständischen, Al-Qaida-Kämpfern und anderen Islamistengruppen einerseits und der syrischen Armee andererseits in und um die nordsyrische Wirtschaftsmetropole Aleppo hielten auch am Sonntag an. Während die bewaffneten Gruppen behaupten, weite Teile der Stadt bereits zu kontrollieren, heißt es aus syrischen Militärkreisen lediglich, es werde noch gekämpft. Am Sonnabend hatten die Aufständischen versucht, das Radio- und Rundfunkgebäude Aleppos zu stürmen, wurden aber von Armee- und Sicherheitskräften zurückgeschlagen. Offiziellen Quellen zufolge sollen die Aufständischen dabei hohe Verluste erlitten haben.

Zu den vielen zivilen Opfern der militärischen Auseinandersetzungen in der Umgebung von Damaskus gehört auch eine Gruppe von rund 350 Flüchtlingen aus Somalia und Sudan. Die Menschen, die seit drei Jahren oder länger in Damaskus leben und bei der UN-Organisation für Flüchtlinge ((UNHCR) offiziell registriert sind, mussten sich aus ihren Wohnungen in östlichen Vororten der syrischen Hauptstadt in Sicherheit bringen. Mit Hilfe der Arabischen Organisation für Entwicklung fanden sie Unterkunft in Schulen, die während der zweimonatigen Sommerferien geschlossen sind. In der Schule Mohamed Abdulrahman Abdin in Midan leben neben einige Familien aus Sudan vor allem alleinstehende Frauen aus Somalia mit ihren Kindern. Verzweifelt äußerten sie sich im Gespräch mit der Autorin über ihre Lage. Sie fühlten sich unsicher, Gewalt ausgesetzt und suchten dringend nach Wegen, Syrien zu verlassen, das ihnen bisher eine sichere Zuflucht geboten hatte. Eine Frau zeigte auf ihre Kinder und flehte weinend: »Nehmen Sie wenigstens meine Kinder mit, ich kann sie nicht versorgen.«

* Aus: neues deutschland, Montag, 6. August 2012


Terror gegen Journalisten

Von Karin Leukefeld **

Die islamistische Terrorgruppe Al-Nusra-Front hat in der syrischen Hauptstadt Damaskus offenbar den prominenten Fernsehmoderator Mohammed Al-Saeed ermordet. Das geht aus einer Erklärung hervor, die die Gruppe, deren Zusammensetzung und Herkunft unbekannt ist, auf einer islamistischen Webseite veröffentlicht hat. Diese Internetplattform wird von der geheimdienstlichen Organisation SITE in den USA regelmäßig überprüft; unklar ist, wer die Onlinepräsenz organisiert. Das staatliche syrische Fernsehen, bei dem Al-Saeed arbeitete, erklärte, man habe keine »haltbaren Beweise« für den Tod des Kollegen.

Mohammed Al-Saeed war am 19. Juli, einen Tag nach dem Anschlag auf die Militär- und Sicherheitsführung in Damaskus, aus seinem Haus entführt worden. Die Gruppe erklärte nun, sie habe Al-Saeed »befragt« und anschließend getötet. Man werde weitere Unterstützer von Präsident Baschar Al-Assad angreifen, vor allem Journalisten, die für die staatlichen Medien arbeiten. »Die Schwerter der Mudschaheddin werden ihre Köpfe abschlagen und die Levante von ihrer Obszönität säubern«, hieß es in der Erklärung.

Die Al-Nusra-Front war bis Ende 2011 unbekannt. Sie hat mittlerweile die Verantwortung für mehrere schwere Anschläge in Aleppo und Damaskus mit vielen Toten übernommen. Auf ihr Konto geht u.a. der Angriff auf den Fernsehsender Al-Ikhbariya Ende Juni, dabei wurden sieben Mitarbeiter ermordet. Auch für den Mord an 13 Personen in Deir Ezzor, deren Leichen Ende Mai gefunden worden waren, hatte die Al-Nusra-Front die Verantwortung übernommen. Die Männer waren gefesselt und erschossen aufgefunden worden. Die Terrorgruppe bekannte sich zudem zu dem Sturm auf die Polizeistation in Jdeideh Artus, einem Ort etwa 15 Kilometer westlich von Damaskus. Bei dem Angriff vor etwa drei Wochen waren sieben Polizisten ermordet worden, andere Quellen sprechen von zehn getöteten Polizisten.

Unweit von Damaskus wurden am Samstag 48 iranische Pilger offenbar von bewaffneten Aufständischen entführt. Die Gruppe war auf dem Weg von Saida Zeynab zum Flughafen. Bis jW-Redaktionsschluß war unklar, ob die Männer und Frauen befreit werden konnten. In Saida ­Zeynab befindet sich eines der wichtigsten Heiligtümer für schiitische Muslime, die jährlich zu Zehntausenden aus aller Welt dorthin pilgern. Ein angeblicher Offizier der »Freien Syrischen Armee« erklärte im saudischen TV-Sender Al-Arabiya, unter den Pilgern seien »Mitglieder der iranischen Revolutions­garden« gewesen. Indirekt räumte der Mann damit ein, daß bewaffnete Aufständische für die Entführung der Pilger verantwortlich sind.

In Aleppo gingen indes am Sonntag die Kämpfe zwischen bewaffneten Aufständischen und den regulären Streitkräften weiter. Die Aufständischen rechnen offenbar mit einer schweren Offensive in den nächsten Tagen, die Armee zieht weiterhin große Truppenverbände um die Stadt zusammen. Die Berichterstattung in den internationalen Medien ist wesentlich von Reportern geprägt, die bei den bewaffneten Aufständischen »eingebettet« sind.

Berichte der Süddeutschen Zeitung und der ARD, wonach es in dem Ort Jdeideh Artus ein Massaker der Armee gegeben habe, haben Einwohner im Gespräch mit junge Welt zurückgewiesen. Allerdings sei das Vorgehen der Streitkräfte »sehr hart« gewesen. Dabei dürfe nicht vergessen werden, daß die bewaffneten Männer Dutzende Menschen in den vergangenen Monaten in dem Ort getötet und erheblichen Sachschaden angerichtet sowie Angst und Schrecken unter den Einwohnern verbreitet hätten. Zuletzt hatten die Aufständischen Transformatoren zerstört, die den Ort mit Strom versorgen.

* Aus: junge Welt, Montag, 6. August 2012


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