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Rotes Kreuz in Homs

Vereinte Nationen prüfen Berichte über Gräueltaten in Baba Amr

Von Martin Ling *

Der Kampf um Homs hat vorerst ein Ende gefunden. Nach der Flucht der Kämpfer der »Freien Syrischen Armee« hat die reguläre Armee die Kontrolle übernommen. Die Vereinten Nationen wollen die Berichte von Assad-Gegnern überprüfen, die von zahlreichen Gräueltaten sprechen.

Sie sind in Homs sicherlich willkommen: die Hilfskonvois des Roten Kreuzes und des syrischen Roten Halbmondes. Beide erreichten am Freitag (2. Feb.) die wochenlang umkämpfte Stadt. Freiwillige Helfer stünden bereit, um notleidende Menschen in dem vorher tagelang umkämpften Viertel Baba Amr zu versorgen, berichtete die Sprecherin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Carla Mardini. Wann die Behörden den Helfern den Zugang zu dem Viertel ermöglichen werden, blieb zunächst unklar.

Die Sympathien für die anderen Neuankömmlinge dürften sich derweil in engen Grenzen halten: Armee, Milizionäre und Geheimdienst. Letzterer habe eine große Zahl von Zivilisten festgenommen, berichteten Gegner des Regimes von Präsident Baschar al-Assad. Zehn junge Männer seien öffentlich hingerichtet worden.

Die Vereinten Nationen reagierten besorgt auf Berichte über derartige Gräueltaten. Neben Hinweisen auf verschiedene brutale Verbrechen in Baba Amr gebe es einen Bericht über eine Massenexekution am Donnerstag, der 17 Menschen zum Opfer gefallen sein sollen. »Wir sind durch solche Angaben sehr beunruhigt, auch wenn wir sie im Moment nicht verifizieren können«, sagte der Sprecher des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, Rupert Colville, in Genf gegenüber der dpa. »Es darf Racheakte wie Exekutionen, Folter oder willkürliche Verhaftungen nicht geben.« Das Hochkommissariat für Menschenrechte appelliere an die syrischen Behörden, sofort sicherzustellen, dass keine derartigen Verbrechen verübt werden, sagte Colville.

Oppositionelle berichteten, alle Anführer des Aufstandes in Baba Amr hätten sich vor dem Eindringen der Armee in Sicherheit bringen können. In den Foren der Oppositionellen hieß es am Freitag, Bürgerjournalisten, das medizinische Personal der Behelfsklinik des Viertels und die Deserteure hätten rechtzeitig fliehen können. Unter ihnen sei auch Oberstleutnant Abdul Rasak Tlass, der Kommandeur einer Brigade von Deserteuren.

Auch der EU-Gipfel in Brüssel kam um Syrien nicht herum. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärte, die Gewalt des Regimes gegen die Zivilbevölkerung sei »völlig inakzeptabel«. Die EU werde alles tun, damit diejenigen, »die heute Menschenrechte aufs Schärfste verletzen, in Zukunft auch zur Verantwortung gezogen werden«, so die Kanzlerin in der belgischen Hauptstadt.

Aus Moskau meldete sich der russische Regierungschef Wladimir Putin und forderte die verfeindeten Lager in Syrien zu einem Ende der Gewalt auf. »Ein schlechter Friede ist immer besser als ein guter Krieg«, sagte Putin in einem am Freitag veröffentlichten Gespräch mit sechs internationalen Zeitungen, darunter dem »Handelsblatt«. Putin forderte den umstrittenen syrischen Präsidenten Baschar al-Assad auf, »längst überfällige« Reformen umzusetzen.

Er wisse allerdings nicht, wie sich die Lage in Syrien entwickeln werde, sagte Putin. »Und ich kann auch keine Einschätzung abgeben.« Assad werde sich aber vermutlich nicht freiwillig »in einen Sarg legen«. Die UN-Vetomacht Russland fordert, dass beide Konfliktparteien in einer »ausgewogenen« Entschließung zum Waffenstillstand aufgerufen werden.

Die Protestbewegung hatte für diesen Freitag zu Demonstrationen unter dem Slogan »Freitag der Bewaffnung der Freien Syrischen Armee« aufgerufen. Aktivisten veröffentlichten ein Video, das ihren Angaben zufolge zeigt, wie die erste von mehreren Granaten die Teilnehmer einer Anti-Regime-Kundgebung in der Ortschaft Al-Rastan trifft. 16 Menschen seien bei der Kundgebung getötet worden, hieß es. Landesweit zählten die Aktivisten bis zum Nachmittag 37 Todesopfer.

* Aus: neues deutschland, 3. März 2012


Ausland mischt sich in Syrien-Konflikt

Rebellenführer aus Homs flüchteten nach Libanon / Freie Syrische Armee erhält Geld aus Katar

Von Karin Leukefeld, Damaskus **


Die Vereinten Nationen haben unbestätigte Berichte über Gräueltaten beim Vordringen syrischer Truppen in die Rebellen in Baba Amr erhalten. »Wir sind sehr bemüht, diese Angaben zu überprüfen, waren dazu aber bisher nicht in der Lage«, sagte der Sprecher des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, Rupert Colville, am Freitag in Genf.

Einen knapp vier Wochen dauernden Kampf um Baba Amr, einen Vorort von Homs, haben die syrischen Streitkräfte am Donnerstag (1. Feb.) für sich entschieden. Die Rebellen hatten nach eigenen Angaben am Mittwochabend einen »taktischen Rückzug« angetreten, um rund 4000 Menschen, die sich geweigert hatten, ihre Wohnungen zu verlassen, einen Großangriff der Armee zu ersparen. Nach Angaben der Regierungsgegner sollen sich alle Anführer des Aufstands aus Baba Amr in Sicherheit gebracht haben. Arabische Medien berichten von einem Rückzug der Kämpfer nach Libanon.

Die syrische Nachrichtenagentur Sana berichtete am Freitag (2. Feb.), dass drei Leichname aus Baba Amr geborgen und nach Damaskus in ein Krankenhaus gebracht worden seien. Es handele sich um die Körper der US-Journalistin Marie Colvin und des französischen Fotografen Remi Ochlik, die beim Angriff der Armee auf ein provisorisches Medienzentrum in Baba Amr getötet worden waren. Der dritte Leichnam konnte noch nicht identifiziert werden. Die toten Journalisten sollen der polnischen Botschaft übergeben werden, die nach der Schließung der US-Botschaft deren Interessen wahrnimmt. In Beirut traf am Donnerstagabend ein Rettungskonvoi mit den beiden in Baba Amr verletzten Journalisten Edith Bouvier und dem Fotografen William Daniels ein. Wie die Verletzten Baba Amr trotz des Vormarsches der syrischen Armee verlassen konnten, ist bisher nicht bekannt.

Die Militarisierung des Konflikts in Syrien hat die politische Protestbewegung ins Abseits gedrängt. Fortschrittliche oppositionelle Kräfte finden kein Gehör. Von verschiedenen diplomatischen und humanitären Kreisen in Damaskus wird der bewaffnete Aufstand gegen das »System Assad« und dessen Machtapparat »zu 80 Prozent als religiös fundamentalistisch« eingestuft. Zu den bewaffneten Gruppierungen der Rebellen zählen vor allem die Kämpfer der »Freien Syrischen Armee«, in der Mehrheit desertierte Armeeangehörige, über deren Stärke nur spekuliert werden kann, sowie Kämpfer der Muslimbruderschaft, die zumeist aus der Türkei eingeschleust werden.

Etwa 20 Prozent der Bewaffneten sind Milizen, die höchstwahrscheinlich aus dem Ausland bezahlt und ausgerüstet werden. Libyen soll bisher offiziell 100 Kämpfer und Geld geschickt haben, das ursprünglich aus Katar stammt, wie hier in Damaskus zu erfahren war. Die Übergabe fand bei einem Treffen zwischen dem Syrischen Nationalrat, der in Istanbul residiert, und Vertretern der libyschen Übergangsregierung in der Türkei statt. Vor Kurzem gab Libyen offiziell den Tod von drei Kämpfern in Syrien bekannt.

Die offiziell von Syrien nicht bestätigte Festnahme von etwa 50 türkischen Soldaten sowie mindestens vier, vermutlich aber mehr französischen Agenten in Homs und an der libanesischen Grenze zeigt, wie intensiv Kräfte aus dem Ausland bereits an den Kämpfen beteiligt ist.

** Aus: neues deutschland, 3. März 2012


Exilopposition bildet Militärrat

Von Ralf Klingsieck, Paris ***

Der oppositionelle Syrische Nationalrat hat einen Militärrat gegründet, um den bewaffneten Kampf der Opposition gegen die Regierung in Damaskus in »geordnete Bahnen« zu führen. Das erklärte der Vorsitzende des Nationalrats, Burhan Ghalioun, auf eine Pressekonferenz in Paris. Man suche nicht die militärische Auseinandersetzung mit der Armee oder anderen bewaffneten Kräften, aber es sei »unerlässlich, die Zivilbevölkerung mit der Waffe in der Hand zu schützen«.

»Die Kräfte der Opposition scheuen nicht den Kampf, aber sie wollen Chaos im Land und einen Bürgerkrieg vermeiden«, sagte Ghalioun. Einige Staaten hätten der Opposition Waffen angeboten. »Damit solche Lieferungen geordnet verlaufen und die Waffen in die richtigen Hände kommen, soll alles über den neuen Militärrat laufen.« Der soll auch über den Bedarf an Waffen der verschiedensten Art entscheiden, die entsprechenden Verhandlungen mit Geberländern führen und den Transport ins Land organisieren.

Über die personelle Besetzung des Militärrats, der direkt dem Nationalrat unterstehe, sei noch nicht entschieden, aber es sollten alle Kräfte der Opposition, die sich dem Nationalrat angeschlossen haben, angemessen vertreten sein. Man wolle sich auch eng mit den Deserteuren abstimmen, die sich zur Freien Syrischen Armee zusammengeschlossen haben.

»Die syrische Revolution hat als gewaltfreie Bewegung begonnen und konnte sich diesen friedlichen Charakter monatelang bewahren«, behauptete Ghalioun. »Jetzt hat sich die Lage geändert, und der Nationalrat muss sich angesichts der neuen Realitäten seiner Verantwortung stellen.« Er räumte ein, dass schon jetzt Waffen ins Land gelangen und es immer mehr Gruppen gibt, die auf eigene Faust agieren. Das sei eine »bedenkliche Entwicklung«.

Der Nationalrat wolle alle Kräfte sammeln und zu einem geordneten Vorgehen führen. Die Entsendung ausländischer Kämpfer nach Syrien lehne er ab, könne aber nicht ausschließen, dass solche - meist extremistische - Personen bereits eingesickert sind.

*** Aus: neues deutschland, 3. März 2012


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