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Kampf um Homs

Mehrere Viertel der Stadt im Westen Syriens werden von Aufständischen kontrolliert. Die Einwohner vermuten ausländische Unterstützung

Von Karin Leukefeld, Damaskus/Homs *

Homs ist eine gespaltene Stadt. Das wird auch bei einem Besuch deutlich, den das syrische Informationsministerium am Dienstag (24. Jan.) für gut zwei Dutzend internationale und arabische Journalisten organisierte. Als der Bus von Nordwesten her in die Stadt fährt, sind die meisten Straßen leer. Soldaten kontrollieren die wenigen Fahrzeuge, die im langsamen Zickzack um improvisierte Hindernisse aus Steinen und Autoreifen kurven. Vor offiziell aussehenden Gebäuden sind Panzersperren errichtet worden, Sandsäcke sind aufgetürmt, hinter denen Soldaten mit ernsten Gesichern stehen.

Von Gegnern kontrolliert Die Journalistengruppe müsse zusammenbleiben, mahnt ein Begleiter des Ministeriums. Baba Amro und Khaldiye seien nicht zugänglich. Der im Plan der Arabischen Liga vereinbarte Rückzug der syrischen Armee aus den Städten habe diese beiden Viertel unter die Kontrolle bewaffneter Gruppen gebracht.

Unbestätigten Angaben zufolge soll dort ein »Politischer Rat« gebildet worden sein, der – ausgestattet mit eigenem Budget – die Bevölkerung medizinisch und mit Lebensmitteln versorge. Das Geld stamme aus den Golfstaaten, heißt es, überprüfen läßt sich das nicht. Unklar bleibt, wer die bewaffneten Gruppen sind und was sie wollen. Westliche Medien sprechen von einer »Freien Syrischen Armee«, deren Basis sich – das ist erwiesen – in einem Flüchtlingslager in der südlichen Türkei befindet. Ihre Anhänger stellen täglich neue Filme ins Internet, in denen angebliche Deserteure der syrischen Armee ihre Personalausweise in die Kamera halten. Der Wahrheitsgehalt der Aufnahmen läßt sich nicht überprüfen. Einwohner berichten auch von islamistischen Gruppen, Salafisten, die schon für ihren Einsatz in Afghanistan, Irak, Libanon und Libyen von Saudi-Arabien bezahlt wurden. Syrische Gesprächspartner zeigen sich überzeugt, daß sich nur wenige Deserteure an den Kämpfen beteiligten, dafür umso mehr junge, arbeitslose Männer, die dafür bezahlt würden.

Dieser Meinung ist auch der 21jährige Bahidsch Massour, ein Student aus dem Stadtteil Hamidiye in Homs. Das bunte Kragenfutter seiner Winterjacke hat er nach außen gekehrt und ein goldenes Kreuz angeheftet. Mit einer Plastiktüte voller Bücher ist er auf dem Weg zu einem Freund, um sich auf die anstehenden Universitätsprüfungen vorzubereiten. Er studiere im vierten Semester Tourismus, sagt er, während im Hintergrund laute Schießereien zu hören sind. Schon häufiger sei er von maskierten Männern bedroht worden, erzählt er. Er solle sich den Protesten anschließen, sonst ergehe es ihm schlecht. Er stehe jedoch auf keiner Seite und habe auch nicht vor, Partei zu ergreifen. Seiner Meinung nach seien es »arme Männer, die diesen Aufstand machen«. Viele hätten mit »dem System«, wie er sich ausdrückt, schlechte Erfahrungen gemacht. Sicherlich seien ihre Forderungen gerecht, doch mit Waffen ließe sich das nicht lösen. »Wir leben im 21. Jahrhundert. Menschen sind auf den Mond geflogen! Wir haben gelernt, unsere Konflikte friedlich, im Dialog und mit Verhandlungen zu lösen.«

Posten hinter Barrikaden

Die Straßen in Hamidiye sind eng. Viele Geschäfte sind geschlossen, an einigen Ecken haben Soldaten hinter Sandsäcken Stellung bezogen, um bei möglichen Angriffen die Bevölkerung zu schützen. Sie regeln den Verkehr, helfen Kindern und Frauen über die Straße. Bei den vielen freundlichen Zurufen der Anwohner geht auch mal ein strahlendes Lächeln über ihr Gesicht. Trotzdem dehnen die bewaffneten Aufständischen ihren Einfluß immer weiter in Homs aus, sagt eine 60jährige Lehrerin. Auch Al-Hamidiye versuchten sie unter ihre Kontrolle zu bringen. Ihren Namen möchte die Frau nicht nennen und auch nicht fotografiert werden. »Uns geht es gut«, sagt sie, während sie mit hochgezogenen Augenbrauen mit dem Kopf in die Richtung weist, aus der die Schüsse kommen, »solange nicht Bomben explodieren oder Mörsergranaten in unsere Häuser einschlagen.« Das Heim ihres Nachbarn sei so in Brand geraten. Sie hoffe, daß die Bewaffneten einlenken und einem Dialog zustimmten: »Mit Waffen läßt sich Demokratie nicht erreichen.«

* Aus: junge Welt, 26. Januar 2012


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