Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Wir brauchen einen nationalen Dialog"

Neu geschaffenes Versöhnungsministerium soll in Syrien nach politischer Lösung suchen


Ali Haidar ist Staatsminister im neu eingerichteten Ministerium für die Angelegenheiten der Nationalen Versöhnung in Syrien. Der Augenarzt und Chirurg wurde 1962 in Hama geboren. Er ist Vorsitzender der oppositionellen Syrischen Sozialen Nationalen Partei, SSNP. Die Partei wurde 1932 von Antoun Saadeh in Libanon, damals noch Teil Syriens, gegründet. In Syrien war sie von 1955-2005 illegal, konnte jedoch inoffiziell seit Ende der 90er Jahre wieder arbeiten. Die SSNP hat ca. 90 000 Mitglieder. Seit Mai ist die Partei mit zwei Mandaten in der Syrischen Volksversammlung (Parlament) vertreten. Mit Ali Haidar sprach in Damaskus für »nd« Karin Leukefeld.


Seit zwei Monaten sind Sie im Amt und waren an vielen Brennpunkten hier in Syrien …Homs, Hama, Haffa, Zabadani, Deraa ... Was sind die Ziele Ihrer Arbeit?

Wir suchen einen politischen Weg aus dieser Krise, wir wollen eine neue politische Struktur, ein neues politisches System. Das ist die erste Grundlage dieses Ministeriums. Um das zu erreichen brauchen wir einen nationalen Dialog und wir versuchen, die Grundlage dafür zu schaffen. Unsere drei zentralen Eckpunkte sind erstens die Ablehnung jeder ausländischen Einmischung, zweitens die Ablehnung jeder Gewalt und drittens hat jeder das Recht, am nationalen Dialog teilzunehmen. Wir erleben hier eine syrische Krise, die eine syrische Lösung braucht.

Wie verschaffen Sie sich Informationen über die Lage, mit wem sprechen Sie?

Unsere Partei gibt es hier seit mehr als 70 Jahren. Wir haben hier Wurzeln, wir haben Mitglieder und Anhänger in allen Teilen des Landes, auf allen Ebenen, in allen Kreisen der Gesellschaft. Und wir haben Kontakte zu allen sozialen und gesellschaftlichen Gruppen, die in Syrien aktiv sind. Dadurch wissen wir ziemlich genau, was die Nöte und Sorgen der Menschen sind und darauf können wir aufbauen. Nehmen wir zum Beispiel Al Haffa in der Provinz Lattakia. Die Kämpfe dort haben zur Vertreibung von ungefähr 5000 Familien geführt. Wir haben uns also genau kundig gemacht, welche religiösen Gruppen dort vertreten sind, welchen Einfluss sie haben. Wir haben die soziale Situation der Bevölkerung analysiert, ausgewertet, welche Probleme es gibt. Und wir haben das Gespräch mit den verschiedenen bewaffneten Gruppen gesucht, die dort aktiv waren. Dann wurde ein lokales Komitee gegründet, in dem die Regierung nichts zu sagen hatte, ein ausschließlich von lokalen Vertretern zusammengesetztes Komitee. Dieses Komitee hat alle Voraussetzungen diskutiert und festgelegt, unter denen die 5000 Familien in ihre Häuser und Wohnungen zurückkehren können. Die Arbeit ist nun abgeschlossen und alle erforderlichen Maßnahmen wurden getroffen, so dass jetzt damit beginnen werden, die 5000 Familien zurückzuführen. Ähnlich sind wir in den westlichen Bezirken von Homs, den nördlichen Bezirken von Hama und in der Umgebung von Damaskus vorgegangen.

Werden Sie von anderen Ministerien unterstützt?

Aber ja. Wir arbeiten mit anderen Ressorts zusammen, die gemäß unserer ausgehandelten Vereinbarung für die erforderliche Infrastruktur und die Sicherheit der Bevölkerung sorgen. Dazu gehören auch die humanitäre Versorgung, die Freilassung von Gefangenen, Amnestie für polizeilich Gesuchte und die Abgabe von Waffen. Wir arbeiten auch auf der lokalen Ebene, richten Dialogkreise ein, um Menschen davon abzuhalten, zur Waffe zu greifen. Oder um Streitigkeit untereinander zu schlichten. Es gibt in dieser Regierung einen neuen politischen Willen, das hat auch Präsident Assad ganz deutlich gemacht. Die Einrichtung unseres Ministeriums ist ein Beleg dafür, dass wir es ernst meinen. Alle Ministerien, alle Behörden sind angewiesen, unsere Arbeit zu unterstützen.

Das hört sich sehr positiv an, als funktioniere alles problemlos.

Nun, so sind der politische Wille und die Anordnungen. Aber es gibt natürlich jede Menge Hindernisse. Die liegen vor allem im Mechanismus, nach dem die Regierung bisher funktioniert hat und den wir noch nicht überwunden haben. Aber wir werden das überwinden.

Und haben die Menschen Vertrauen in Ihre Arbeit?

Vertrauen muss immer erworben werden. Die Regierung muss hart arbeiten, um das Vertrauen der Bevölkerung zu erwerben, nicht anders herum. Ja, es gibt vermutlich bei der Bevölkerung Zweifel an der Regierung, auch an diesem Ministerium. Wir werden uns das Vertrauen der Syrer nur erwerben können, wenn wir gute Ergebnisse liefern.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 11. August 2012


Brahimi soll's wohl richten

UNO sucht neuen Syrien-Vermittler **

Der algerische Krisendiplomat Lakhdar Brahimi ist als möglicher Nachfolger des scheidenden Syrien-Vermittlers Kofi Annan im Gespräch.

Der 78-jährige ehemalige algerische Außenminister Brahimi (Foto: dpa) habe »gute Chancen«, den Syrien-Auftrag im Namen der Vereinten Nationen und der Arabischen Liga zu erhalten, sagte ein westlicher Diplomat mit Einblick in die Diskussionen am Freitag in Beirut. Brahimi war in der Vergangenheit als UN-Sondergesandter unter anderem in Afghanistan und Irak tätig. Die Ernennung eines Annan-Nachfolgers soll nach UN-Angaben bald erfolgen. »Wir wollen uns nicht lange Zeit damit lassen, weil wir nicht wollen, dass auf dieser Position ein Vakuum entsteht«, sagte ein Sprecher von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in New York.

In der syrischen Wirtschaftsmetropole Aleppo gingen die Gefechte zwischen Truppen von Präsident Baschar al-Assad und Aufständischen weiter. Dabei gerät auch das einzigartige kulturelle Erbe der historischen Handelsstadt zunehmend in Gefahr. Eine Granate habe das Eingangstor der mittelalterlichen Zitadelle beschädigt, teilte der oppositionelle Syrische Nationalrat mit. Aleppo ist eine der ältesten, durchgehend bewohnten Städte der Welt. 1986 wurde sie zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt.

Großbritannien stellt derweil den Regierungsgegnern in Syrien Ausrüstung im Wert von fünf Millionen Pfund (6,3 Millionen Euro) für ihren Kampf zur Verfügung. Dabei handle es sich nicht um tödliche Waffen, erklärte Außenminister William Hague in London. Vielmehr gehe vor allem um Funk- und Kommunikationstechnik sowie medizinische Hilfe. Auch Schutzanzüge seien dabei.

Eine eintägige Syrienkonferenz in Teheran endete ohne konkrete Ergebnisse. Der iranische Außenminister Ali-Akbar Salehi konnte am Ende der Tagung nur bekannt geben, dass sich alle 30 Teilnehmer gegen Gewalt in Syrien und für eine nationale Lösung ohne ausländische Einmischung ausgesprochen hätten. Für Iran gelte weiterhin, dass Präsident Assad an der Macht bleiben müsse, sagte Salehi.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 11. August 2012


Zurück zur Syrien-Seite

Zurück zur Homepage