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Neues Aufmarschgebiet

Seit halbem Jahr haben syrische bewaffnete Aufständische einen Korridor durch den Golan. Die dort stationierten UN-Soldaten unternehmen nichts

Von Karin Leukefeld *

Die Kontaktgruppe der »Freunde Syriens« trifft sich an diesem Samstag in Istanbul. Dem Führungsgremium gehören die Türkei, Katar, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Jordanien, Frankreich, USA, Großbritannien, Deutschland und Italien an. Mit dabei ist auch eine Delegation der syrischen oppositionellen Nationalen Koalition, die von ihren westlichen Unterstützern mehr Waffen und den Sitz Syriens in der UNO fordert. Die Bundesregierung wird durch Außenminister Guido Westerwelle vertreten.

US-Außenminister John Kerry will in Istanbul »alle dazu bringen«, in dem, was man für die Zeit »nach Assad« in Syrien will, »Übereinstimmung herzustellen«. Bei einer Anhörung im Auswärtigen Ausschuß des US-Kongresses am Mittwoch in Washington betonte Kerry, er wolle sicherstellen, daß »Kataris, Saudis, die Emirate, die Türken und Europa« alle das gleiche Ziel haben. Washington will eine »pluralistische und demokratische« Zukunft für Syrien, alle Seiten müßten sich daher »für einen Verhandlungsprozeß und eine politische Lösung« öffnen. Das Auswärtige Amt teilte auf jW-Anfrage am Freitag mit, daß Bundesaußenminister Guido Westerwelle in Istanbul erläutern werde, wie die Bundesregierung »die Nationale Koalition stärken« könne. Frage sei, »was können wir tun, um Assad zu einem politischen Prozeß zu bewegen?« sagte ein Sprecher. Die Bundesregierung unterstütze das Genfer Abkommen. Man rede auch in Istanbul »mit allen führenden Mitgliedern der Nationalen Koalition«, wie mit Moas Al-Khatib und Ghassan Hitto, der zum Ministerpräsidenten einer Oppositionsregierung gewählt worden war, die in den »befreiten Gebieten« amtieren soll.

Verhandlungen erschwert

Al-Khatib, dessen Rücktritt als Präsident von den »Freunden Syriens« nicht anerkannt wird, hatte vor der Bildung einer Übergangsregierung gewarnt, da diese eine Verhandlungslösung nach der Genfer Vereinbarung erschweren werde. Hitto lehnt Gespräche mit der syrischen Regierung ab. Der Sprecher des Auswärtigen Amtes erklärte, Westerwelle werde sich auch zu der Forderung der Türkei äußern, einen »humanitären Korridor« einzurichten.

Die syrische Opposition allerdings, auf die der US-Außenminister und auch die Bundesregierung setzen, die Nationale Koalition, zeigt sich in Sachen der Kampfgruppen äußerst flexibel. Die Nusra-Front sei »Teil der bewaffneten Kräfte gegen die Unterdrückung des Assad-Regimes«, hieß es in einer Erklärung, mit der die Entscheidung der USA, die Nusra-Front auf die Liste »terroristischer Organisationen« zu setzen, scharf kritisiert wurde.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu warnte am Donnerstag in einem Interview mit der britischen BBC davor, Waffen an die Aufständischen in Syrien zu schicken. Man müsse sich fragen, welche Waffen geliefert würden und wer sie erhielte. Sollten sie in die Hände islamistischer Gruppen gelangen, könne dies zu einer Veränderung der Kräfteverhältnisse im Nahen Osten führen und damit die Sicherheit in der gesamten Region bedrohen, sagte Netanjahu. Er verwies auf »Luftabwehrsysteme, Chemiewaffen und andere sehr, sehr gefährliche (Waffen)«, die »weltweit eine terroristische Bedrohung darstellen« könnten. Sollte Israel sich dagegen zur Wehr setzen, sei »dies auch im Interesse anderer Länder«.

Tel Aviv hat bereits Raketenabwehrsysteme auf den syrischen Golanhöhen stationiert, die 1967 völkerrechtswidrig besetzt und später annektiert wurden. Eine Pufferzone, die den Waffenstillstand zwischen Israel und Syrien gewährleisten soll, wird seit 1974 von einer UN-Mission (UNDOF) kontrolliert. Seit einem halben Jahr wird diese von Aufständischen, die aus Jordanien kommen, als Aufmarschgebiet benutzt. Die syrische Armee, die in der Pufferzone nicht operieren darf, hat sich zurückgezogen.

Waffenlieferungen

Rund 1000 Soldaten sind auf dem Golan im Rahmen von UNDOF stationiert. Ihr Mandat sieht ein Vorgehen gegen die bewaffneten Aufständischen nicht vor. Die hatten kürzlich UNDOF-Fahrzeuge auf dem Weg zum Flughafen in Damaskus angegriffen, wenig später wurde eine Gruppe philippinischer UN-Soldaten entführt. Das größte Kontingent der Mission stellt Österreich mit rund 370 Soldaten. Vizekanzler Michael Spindelegger hat vorgeschlagen, daß der Nationale Sicherheitsrat seines Landes über deren Verbleib entscheiden soll. Er selbst sei dafür, sie dort zu belassen, das sei auch der Wunsch der Soldaten, die Spindel­egger am vergangenen Wochenende besucht hatte. Dennoch sei jederzeit möglich, daß »etwas passieren kann«.

Derzeit stellen Österreich, die Philippinen und Indien Soldaten für UNDOF. Japan hat seine 31 Militärs im Januar 2013 zurückgezogen. Kroatien rief seine 97 Soldaten Mitte März zurück. Vorher war bekanntgeworden, daß aus Kroatien große Waffenlieferungen über Amman an die Aufständischen in Syrien gehen.

Syrien wird auch Thema auf dem NATO-Außenministertreffen (22. bis 24. April) in Brüssel sein. US-Außenminister Kerry will sich dort mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow beraten. Rußland beharrt auf einer Verhandlungslösung, wie sie im Genfer Abkommen vom 30. Juni 2012 vorgesehen ist. Mitte letzter Woche hatte Lawrow nach einem Treffen mit seinem türkischen Amtskollegen Ahmed Davutoglu deutlich gemacht, daß die »Freunde Syriens« mit ihrem bisherigem Verhalten Dialog in Syrien unterlaufen hätten. Zu der Genfer Vereinbarung, die den Konflikt in Syrien lösen sollte, hätten sie bisher »Negatives beigetragen«.

* Aus: junge Welt, Samstag, 20. April 2013


Eskalation

Kampagne für militärisch geschützte »humanitäre Korridore« in Syrien

Von Karin Leukefeld **


Die oppositionelle Nationale Koalition erwartet von ihren westlichen Unterstützern aus dem Kreis der »Freunde Syriens« neben Waffenlieferungen auch Hilfe bei der humanitären Absicherung von »befreiten Gebieten« im Norden des Landes. Das Anliegen machte sich vor dem Treffen der Führungsgruppe der »Freunde Syriens« in Istanbul der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu zu eigen. Die »internationale Gemeinschaft« müsse eine entschiedene Haltung zugunsten von Hilfslieferungen an die Syrer zeigen, die inmitten der Angriffe um ihr Überleben ringen. Aus Damaskus seien 205 »Scud«-Raketen auf Aleppo gefeuert worden. Beweise für diese Aussage legte er nicht vor.

Private und staatliche Hilfsorganisationen drängen auf einen militärisch geschützten Korridor oder eine Flugverbotszone entlang der türkisch-syrischen Grenze. Der Vorsitzende der »Grünhelme«, Rupert Neudeck, forderte die Bundesregierung auf, dort »wie beim Bosnienkrieg« ein Verbindungsbüro einzurichten, um die Arbeit privater Hilfsvereine in Syrien zu unterstützen. Der Vertreter der US-Organisation Human Rights Watch bei den Vereinten Nationen, Philippe Bolopion, forderte verstärkte Lieferungen von Hilfsgütern in syrisches Gebiet, »egal ob Syrien zustimmt oder nicht«.

Beobachter vor Ort erklärten hingegen, Gefahren für solche Unterstützung gingen nicht von Regierungsseite aus, sondern vielmehr von islamistischen Gruppen und Al-Qaida, die Hilfskonvois entführten oder angriffen. Gestohlene Rettungswagen seien mit Sprengstoff versehen vor Kontroll- oder an Stützpunkten der syrischen Armee zur Explosion gebracht worden. Aus diplomatischen Gründen veröffentlicht die UNO den Diebstahl ihrer Fahrzeuge oder von Hilfsgütern meist nur in internen Berichten. Augenzeugen aus den Provinzen Aleppo, Hasakeh und Idlib berichteten der Autorin in Damaskus, daß Kriminelle Hilfsgüter stehlen und in den »befreiten Gebieten« oder in der Türkei verkaufen.

UN-Organisationen, das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), Rotkreuz- und Roter-Halbmond-Gesellschaften kooperieren mit dem Syrischen Roten Halbmond, um Hilfsgüter in alle Teile des Landes zu liefern. Mehr als einmal wurden Fahrzeuge und Ladung gestohlen, mindestens sechs Freiwillige des Syrischen Roten Halbmonds wurden getötet.

Der UN-Sicherheitsrat hatte am Donnerstag sowohl die bewaffneten Gruppen als auch die syrischen Streitkräfte aufgefordert, jede Gewalt sofort einzustellen. Die eskalierende Gewalt sei »vollkommen inakzeptabel«, hieß es in der einstimmig verabschiedeten Erklärung

** Aus: junge Welt, Samstag, 20. April 2013


Syria: Joint UN-Arab League Envoy urges Security Council to act on ‘most serious crisis’

19 April 2013 – The Joint Special Representative of the United Nations and the League of Arab States on the Syrian crisis, Lakhdar Brahimi, today reiterated his calls for the Security Council to act in Syria which he calls ‘the most serious crisis.’

“The situation is extremely bad and we need action from the Council,” Mr. Brahimi told reporters at UN Headquarters following a closed-door session with the Council.

“The opposition and the government have got to accept to come to negotiations, and both sides have got to accept that these negotiations are necessary,” Mr. Brahimi added.

Latest figures showing 6.8 million people in need, 4.25 million people internally displaced and an additional 1.3 million seeking refuge in neighbouring countries from a conflict that has killed over 70,000 people since opposition forces sought to oust President Bashar Al-Assad in 2011.

Mr. Brahimi told journalists that he tried to aid the creation of a ‘Syria Plan’ through discussions with both sides in Syria and through discussions with the 15-member Security Council, particularly Russia and the United States.

“With the Syrians, I got nowhere. With the Security Council, with the Americans and the Russians we made some progress, but it was far too weak,” said Mr. Brahimi.

“I am very happy that the Americans and the Russians are talking to one another. I’m very happy that from the discussions we just heard, the Security Council is very now aware that this is an extremely serious problem. As a matter of fact, the most serious crisis,” he continued.

“If they really believe that and they are in charge of looking at the peace and security there is no time for them to lose,” Mr. Brahimi stressed.

Yesterday, the Security Council heard from top United Nations officials, including Under-Secretary-General for Humanitarian Affairs Valerie Amos who said that humanitarian organizations are facing enormous and dramatically growing constraints in aiding millions of Syrians overwhelmed by the ‘human catastrophe’ that the war-torn country has become.

In response to questions from journalists this afternoon, Mr. Brahimi also denied rumours that he planned to resign. “Every day I wake up, I think I should resign, but I haven’t so far,” he said.

Source: Un News Centre, 19 April 2013; http://www.un.org




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