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Zündeln am Pulverfaß

US-Präsident Barack Obama droht mit Militärintervention in Syrien. Washington will UNO umgehen. Vasallentreue in Berlin, scharfe Kritik aus Moskau

Von André Scheer *

Friedensnobelpreisträger Barack Obama geht mit der Drohung einer offenen Militärintervention in Syrien in die heiße Phase des US-Präsidentschaftswahlkampfes. Bei einer Pressekonferenz im Weißen Haus, bei der Obama am Montag (Ortszeit) unangekündigt auftauchte, warnte er »das Assad-Regime, aber auch andere Parteien« in Syrien, daß eine »rote Linie« überschritten sei, »wenn wir sehen, daß ein ganzes Bündel chemischer Waffen transportiert oder eingesetzt wird«. Bislang habe er keinen militärischen Einsatz angeordnet, »aber das würde meine Einschätzung ändern«.

Als Obamas Echo gerierte sich am Dienstag Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP). Ein Chemiewaffeneinsatz durch Damaskus wäre »eine verheerende Grenzüberschreitung«, erklärte er in Berlin: »Ich fordere alle Kräfte in Syrien und insbesondere das Assad-Regime auf, hier nicht mit dem Feuer zu spielen.«

Souveräner zeigte man sich in Rußland. Dort vermutet man, daß Obamas Drohungen vor allem dazu dienen sollen, den oppositionellen Republikanern vor deren am Montag beginnenden Nominierungsparteitag Wind aus den Segeln zu nehmen. Wladimir Sotnikow vom Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen in Moskau geht davon aus, daß es sich die US-Administration nicht leisten könne, vor der Wahl am 6. November in einen akuten Konflikt um Syrien hineingezogen zu werden. Allerdings bestehe die Gefahr einer Intervention von Drittländern, sagte er mit Blick auf die Türkei. Das Land sei NATO-Mitglied, und ein Krieg zwischen Damaskus und Ankara würde alle anderen Mitglieder des Militärbündnisses gemäß Artikel fünf des Nordatlantikpakts zum Beistand verpflichten.

Unterdessen attackierte die Sprecherin des US-Außenministeriums, Victoria Nuland den designierten neuen UN-Sonderbeauftragten für Syrien, Lakhdar Brahimi. Dieser hatte sich am Tag zuvor gegenüber dem französischen Nachrichtensender France 24 von Äußerungen seines Vorgängers Kofi Annan distanziert, der offen einen Rücktritt des syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad gefordert hatte. »Es ist für mich zu früh, so etwas zu sagen«, erklärte der algerische Diplomat. Er habe Assad noch nicht getroffen, und es sei sein Grundprinzip, »niemals das Gespräch zu verweigern«. Nun will ihn Washington offenbar wieder auf Kurs bringen. »Wir glauben nicht, daß es in Syrien Frieden geben wird, bis Assad abtritt und das Blutvergießen endet. Diese Sichtweise werden wir dem Sondergesandten Brahimi gegenüber sehr klar machen«, drohte Nuland. Man werde »wenn nötig außerhalb der UN« die eigene Linie weiterverfolgen«.

Das sei ein »neuer Schlag gegen die Autorität der UNO«, warnte im staatlichen Sender Stimme Rußlands Alexej Podzerob vom Instituts für Orientkunde der Russischen Akademie der Wissenschaften. Er erinnerte an die US-Intervention im Irak 2003. »Das geschah ebenfalls unter Umgehung des Sicherheitsrates, und zwar unter dem erfundenen Vorwand, daß Saddam Hussein über B- und C-Waffen verfügen sollte.«

Damaskus hatte am 23. Juli erklärt, chemische und biologische Waffen würden niemals im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Krise oder mit Entwicklungen im Land selbst eingesetzt werden.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 22. August 2012


Obama droht Assad mit Angriff

USA-Präsident macht Einsatz syrischer Chemiewaffen zur »roten Linie«

Von Olaf Standke **


Erstmals hat Präsident Barack Obama offen eine militärische Intervention der USA in Syrien erwogen - falls chemische oder biologische Waffen zur Gefahr für Verbündete wie Israel werden sollten.

Barack Obama hat eine »rote Linie« gezogen: »Wir dürfen nicht in die Situation kommen, dass chemische oder biologische Waffen in die falschen Hände fallen«, sagte er jetzt vor Journalisten in Washington. Gemeint sind Gruppen wie die islamistische Hisbollah in Libanon. Bisher habe der Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte noch kein militärisches Eingreifen angeordnet. Sollten aber »eine ganze Menge chemischer Waffen bewegt oder eingesetzt werden«, dann würde das »meine Kalkulationen entscheidend verändern«.

Syrien soll nach Expertenschätzung das größte C-Waffen-Arsenal im Nahen Osten besitzen, darunter Senfgas, Tabun und das Nervengas Sarin. Damaskus sah sich zu einem »asymmetrischen« Wettrüsten veranlasst, weil man Atomwaffen in Israel vermutete. Begonnen hat es im Jom-Kippur-Krieg 1973, als Kairo dem Verbündeten Artilleriegeschosse und Bomben mit chemischen Kampfstoffen lieferte. Für das eigene militärische Forschungsprogramm erhielt Syrien später nicht nur aus der Sowjetunion und aus Iran Unterstützung, sondern auch aus Frankreich und der BRD.

Mitte Juli sorgten die C-Waffen für Schlagzeilen, als das »Wall Street Journal« berichtete, die Regierung lasse sie aus den Lagern holen. Überläufer schürten die Angst, Präsident Baschar al-Assad könnte sie im Bürgerkrieg nutzen. Damaskus dementierte umgehend: Syrien werde unter gar keinen Umständen, egal wie sich die Krise entwickelt, chemische oder biologische Waffen einsetzen. Am Dienstag wurde Obamas Drohung über die staatliche Nachrichtenagentur Sana als leeres Wahlkampfgeschwätz zurückgewiesen.

Moskau warnte die USA indirekt vor einem militärischen Alleingang. Russland lege viel Wert darauf, dass internationales Recht und die UN-Charta nicht verletzt würden, so Außenminister Sergej Lawrow gestern. Allerdings sind die USA längst über Worte hinaus in den Bürgerkrieg involviert. So koordiniert Washington etwa Waffenlieferungen an die Aufständischen aus Saudi-Arabien und Katar und unterstützt sie mit Kommunikationsmitteln wie Geheimdienstinformationen. Schon vor Monaten habe Obama der CIA erlaubt, in Syrien aktiv zu werden, enthüllte der Nachrichtensender CNN kürzlich. Den Republikanern aber reicht das nicht, sie machen im Wahlkampf Druck. Senator John McCain z.B. fordert seit Langem Luftschläge gegen Assads Verbände und Stellungen.

Während syrische Regierungstruppen nach Angaben der Rebellen am Dienstag landesweit erneut 60 Menschen getötet haben sollen, signalisierte Vize-Regierungschef Kadri Dschamil gestern in Moskau erstmals die Bereitschaft, sogar über einen Rücktritt von Staatschef Assad zu verhandeln.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 22. August 2012


Kriegskonsens

Obama droht Syrien mit Intervention

Von Werner Pirker ***


US-Präsident Barack Obama will in Syrien militärisch eingreifen lassen, sollten dort Chemiewaffen »in großen Mengen bewegt oder eingesetzt« werden. »Chemische oder biologische Waffen dürfen nicht in die falschen Hände geraten«, sagte er auf einer Pressekonferenz. Das heißt: Die Obama-Administration will Syrien in Schutt und Asche legen, sollten sich ihre zu jeder Schandtat bereiten syrischen Verbündeten der chemischen oder biologischen Waffenarsenale bemächtigen. Daß die von den Golf-Monarchien an die syrische Front abkommandierten islamischen Fundamentalisten an der Seite der von der NATO aufgestellten »Freien Syrischen Armee« zum Einsatz kommen, wird von den falschen »Freunden ¬Syriens« nicht einmal mehr bestritten. Massenvernichtungswaffen in der Hand ruchloser Terrorbanden sind tatsächlich eine Horrorvision. Das macht die Dschihadisten für die westlichen Warlords gleich doppelt wertvoll: als halsabschneiderische Vorhut der »Rebellenarmee« und als Vorwand für eine imperialistische Militärintervention zur Abwehr einer von den Antiterrorstrategen eiskalt eingeplanten terroristischen Bedrohung.

Obamas Drohung sagt noch nichts über seine tatsächliche Bereitschaft aus, einen Krieg gegen Syrien zu beginnen. Kriegsrhetorik hat es indessen an sich, eine fatale Eigendynamik zu entwickeln. Der auf einen bloßen Verdacht hin mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete US-Präsident fühle sich von den Republikanern unter Druck gesetzt, heißt es. Die Obama gewählt haben, taten dies freilich in der Hoffnung auf ein Ende der ¬Bush-Kriege. Kein republikanischer Herausforderer hätte ernsthaft Druck auf Obama ausüben können, hätte er seinem Friedensgerede auch die entsprechenden Taten folgen lassen. Doch das »Yes we can!« ist längst verklungen. Obama konnte oder wollte den Kriegskonsens der US-Eliten nie ernsthaft in Frage stellen.

Es sind durchaus nicht nur die außer Rand und Band geratenen Republikaner, die den Präsidenten auf Kriegskurs drängen. Auch in den Reihen der Demokraten gibt es genügend Befürwortern eines Bombenkrieges gegen Syrien. Unter ihnen die ehemalige Außenministerin Madeleine Albright, Hillary Clintons Vorgängerin als Kriegsfurie. Das Veto von Russen und Chinesen dürfe einer multilateralen Militärintervention nicht im Wege stehen, weil andernfalls Menschen sterben würden. Das sagt die Frau, die einst auf die Frage, ob der Sturz des Saddam-Regimes den embargoverursachten Tod Hunderttausender irakischer Kinder gerechtfertigt hätte, mit Ja beantwortet hat. Um solche Kleinigkeiten, wie zum Eingreifen ermächtigende Resolutionen des UN-Sicherheitsrates hat sich die Lady schon zu ihrer Zeit nicht gekümmert. Die humanitäre Katastrophe, die es angeblich zu verhindern gab, haben sie und ihresgleichen herbeigebombt.

Aus den Fußstapfen demokratischer und republikanischer Kriegsverbrecher kann oder will Barack Obama nicht heraustreten.

*** Aus: junge Welt, Mittwoch, 22. August 2012 (Kommentar)


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