Syrien, Libanon und Iran geraten immer mehr ins Visier des Pentagon - Kleinere
Militäreinsätze schon in Gang?
Im Folgenden dokumentieren wir drei Beiträge, die sich mit der zugespitzten Lage im Libanon und um Syrien und Iran befassen. Die beiden ersten Beiträge sind in deutscher Sprache, der dritte Beitrag - aus dem Newsletter "portside" (www.portside.org/faq) - in Englisch.
Höchstes Risiko
Von Armin Köhli
Bomben, Morde und ein Selbstmord: Der schmutzige Konflikt um Syrien und
den Libanon spitzt sich zu.
Ghasi Kanaan hatte den Libanon im Griff. Als syrischer Geheimdienstchef
kontrollierte er die libanesische Politik, die politische Unterwelt,
und, beinahe zwanzig Jahre lang, den überaus einträglichen
Warenschmuggel aus dem Libanon nach Syrien. Im Jahr 2003 wurde er aus
dem Libanon zurückgeholt. Seit 2004 amtete er als syrischer
Innenminister. Letzte Woche erschoss sich Ghasi Kanaan in seinem Büro.
Warum sich Kanaan, einer der wirklich Mächtigen in Syrien und einer der
«alten Garde» der seit den sechziger Jahren herrschenden Baath-Partei,
umbrachte, bleibt unklar. Wie immer bei den schmutzigen syrischen und
libanesischen politischen Affären kursieren die wildesten Gerüchte. Doch
eines zeigt der Selbstmord Kanaans: Die syrische Machtstruktur ist im
Innersten erschüttert, und der Druck auf Präsident Baschar al-Asad
erhöht sich weiter. Am 21. Oktober wird Detlev Mehlis, der Leiter der
internationalen Untersuchung des Mordes am ehemaligen libanesischen
Premierminister Rafik Hariri, seinen Bericht vorlegen. Ob Mehlis, wie
allgemein vermutet, syrische Verwicklungen in den Mord nachweist, spielt
nicht einmal eine so grosse Rolle - obwohl Syrien dann internationale
Sanktionen drohen. Der Mord an Hariri im Februar dieses Jahres war für
Syrien so oder so ein PR-Desaster. Denn er geschah zu einer Zeit, in der
der Westen, vorab die US-Regierung, das syrische Regime massiv
bedrängte. Theoretisch ist es denkbar, dass andere Mächte Hariri
ermordeten. Immerhin gelang es (mutmasslich) dem israelischen Mossad
letztes Jahr, mitten in der syrischen Hauptstadt Damaskus einen
paläs-tinensischen Militanten in die Luft zu sprengen. Vielleicht kam
der Auftrag zum Mord an Hariri tatsächlich nicht direkt vom syrischen
Regime. Doch dann hätte der allmächtige syrische Geheimdienstapparat den
Mord unbedingt verhindern müssen. Der Wirbel um den Mord an Hariri
kostete Syrien die Kontrolle über den Libanon. 1991 war der Libanon der
Lohn für die syrische Beteiligung am ersten US-Krieg gegen den Irak. Die
syrische Besetzung des Libanon wurde international und vertraglich
anerkannt. Nun, beim zweiten US-Krieg gegen den Irak, ist der Libanon
der Hebel der USA, um Syrien unter Druck zu setzen. Bush, der Vater,
hats gegeben - Bush, der Sohn, hats genommen.
Damit gibt sich die US-Regierung noch nicht zufrieden. Die Motive von
Präsident George Bush und seiner Entourage, Syrien nach Kräften zu
destabilisieren, sind schwer zu erkennen. Sicher ist Syrien der letzte
verbliebene «Frontstaat» gegen Israel. Und sicher finden arabische
Kämpfer den Weg in den Irak via Syrien. Doch das syrische Regime
kooperierte immer wieder mit den USA, und es half den US-Diensten auch
immer wieder wirksam im Kampf gegen einen gemeinsamen Feind: die
islamistische Internationale. Ein langfristiges US-syrisches Arrangement
wäre durchaus erreichbar. Meint es Bush mit seinem Feldzug für
«Demokratie» im Nahen Osten so ernst, dass er riskiert, auch Syrien ins
Chaos zu stürzen? Auch in Washington müsste unterdessen doch deutlich
geworden sein, dass ein «Regime Change» nicht so einfach und
unkompliziert zu haben ist.
Angesichts immer neuer US-Forderungen und Drohungen gegenüber Syrien und
angesichts fehlender Kenntnisse der wahren Machtverhältnisse im
Innersten des syrischen Regimes betreibt man im Westen wieder einmal
verbreitet «Baathologie». Allerorten fragt man sich: Wie lange hält
Baschar al-Asad noch durch? Kollabiert das System? Aus Angst vor einem
Chaos in Syrien versteigt sich etwa Volker Perthes, als Direktor der
Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin vertraut mit Syrien, zur
Aussage, ein Militärputsch sei womöglich die «am wenigsten schlechte
Lösung».
Al-Asad übt sich derweil in jener Politik, die sein Vater Hafis al-Asad
perfekt beherrschte: nachgeben, pragmatisch entgegenkommen, warten - und
beim Grundsätzlichen standhaft bleiben. Vater al-Asad verstand es so
jahrzehntelang, seine Macht zu sichern. Sohn al-Asad zeigt sich
weiterhin gesprächsbereit. Im Kampf um sein Image gab er sich sogar zu
einem - nicht nur in arabischen Augen - demütigenden Interview mit dem
US-Fernsehsender CNN her, zweimal unterbrochen von Werbepausen (im Web
nachzulesen unter
www.sana.org.sy).
So weit war sein Vater nie gegangen. Aber wie sein Vater handelt Baschar
al-Asad rational. Doch ist den Erlösern in Washington mit Rationalität
noch beizukommen?
* Aus: Wochenzeitung WOZ, 20. Oktober 2005
Damaskus im Visier Bushs
Das Weiße Haus debattiert über Einsätze von Sondereinheiten
Von Max Böhnel, New York*
Angesichts der erfolglosen Aufstandsbekämpfung in Irak und des
UNO-Bericht über die Hariri-Ermordung in Libanon nehmen die USA Syrien
erneut ins Visier.
Der Bericht des UNO-Sonderermittlers Detlev Mehlis über die Ermordung
des libanesischen Ex-Premiers Rafik Al-Hariri, der am Freitag
[21.10.2005] der UNO übergeben werden soll, birgt politische
Sprengkraft. Nach Vorabmeldungen in der Presse soll der deutsche
Staatsanwalt beispielsweise den syrischen Geheimdienstkoordinator Asef
Shawkat als »Beschuldigten« vernommen haben. Insgesamt befragte Mehlis
zehn führende syrische Diplomaten und Geheimdienstler, davon fünf als
Beschuldigte. Die Befehlsgeber für den Mord an Hariri sitzen angeblich
im inneren Zirkel um den syrischen Staatschef Bashar Al-Assad. Der
Mehlis-Bericht soll am kommenden Dienstag im UNO-Sicherheitsrat
diskutiert werden. Und die USA machen Druck. Anfang Oktober hatte
Außenministerin Condoleezza Rice die Frage nach möglichen
Militärangriffen gegen Syrien noch mit der Begründung verneint,
Washington wolle zuerst die Ergebnisse des UNO-Berichts abwarten. Falls
darin Fragen unbeantwortet bleiben, erwägt der Sicherheitsrat die
Ausdehnung des Berichtszeitraums und weitere Ermittlungen in Libanon und
Syrien. Nach Auffassung von Nahost-Beobachtern könnten die politischen
Systeme in beiden Ländern aufgrund des Berichts »durchgeschüttelt«
werden. Hohe Polizei- und Sicherheitskräfte in Libanon wurden bereits
festgenommen. Der syrische Innenminister Ghasi Kanaan beging vergangene
Woche in seinem Büro »Selbstmord«.
Beobachter gehen davon aus, dass Syrien, falls es die Ergebnisse des
Berichts zurückweist, in eine weitere Isolierung gerät und eine
UNO-Resolution sowie Sanktionen die Folge sein könnten. Auf jeden Fall
aber werden die USA das Dokument unabhängig von seinem Inhalt für ihr
Ziel – die politische Schwächung Syriens bis hin zur Option
»Regimewechsel« – zu nutzen versuchen.
Einem Bericht der »New York Times« zufolge finden derzeit im Weißen Haus
Diskussionen über Einsätze militärischer Sondereinheiten, etwa der
berüchtigten »Delta Force«, auf syrischem Staatsgebiet statt.
Vordergründig geht es um das Aufspüren und die »Eliminierung« von
Ausländern, die sich dem irakischen Aufstand anschließen wollen.
Regierungsbeamte vergleichen der »New York Times« zufolge Syrien im
Irakkrieg mit der Rolle Kambodschas im Vietnamkrieg – »ein Zufluchtsort
für Kämpfer, Geld und Material, das über die Grenze gebracht wird, und
letztendlich der Ort für einen Schattenkrieg«.
Ein Ehemaliger Geheimdienstmann sagte der Zeitung zufolge allerdings
auch, frustrierte Armeekommandeure in Irak seien »besessen von der Idee
der ausländischen Kämpfer, weil damit einfacher umgegangen werden kann«.
Tatsächlich sind 95 Prozent der Aufständischen irakische Staatsbürger,
so jedenfalls Geheimdienstberichte.
Militäroperationen kleineren Ausmaßes auf syrischem Gebiet fänden
bereits statt, zitierte die »New York Times« andere Regierungskräfte.
Auf jeden Fall würden die Verfolgungsjagden auf syrischem Staatsgebiet
an Intensität zunehmen. Schon im Sommer hatte es eine Reihe von
Gefechten zwischen syrischen und US-amerikanischen Truppen mit einer
geheim gehaltenen Zahl von Toten gegeben, was zu einer Protestnote der
syrischen Regierung an die USA-Botschaft in Damaskus führte.
Um den politischen und militärischen Druck Washingtons auf Damaskus
abzufedern, soll es allerdings zugleich Verhandlungen zwischen beiden
Seiten geben – was Syrien einem Bericht der BBC vom Mittwoch zufolge
aber bestritt. Andererseits ist nicht auszuschließen, dass Washington
auf syrische Zugeständnisse auch nicht mit weiterem Druck reagieren
wird. Denn laut »New York Times« sind sowohl der Mehlis-Bericht als auch
die Sonderkommandos nur Teile einer »breit angelegten Neuorientierung
der Syrien-Politik« der Bush-Regierung.
* Aus: Neues Deutschland, 20. Oktober 2005
An oped by Jeremy Brecher and Brendan Smith
Testifying before the Senate Foreign Relations Committee on
October 19,Condoleezza Rice was asked whether the Bush
administration was planning military action against Syria.
She answered, 'I don't think the President ever takes any of
his options off the table concerning anything to do with
military force.'
Last time we read the U.S. Constitution, the grave decision
to use military force against another country was a matter
for Congress to decide --not an 'option' for a President.
And last time we read the UN Charter, it provided that 'all
members shall refrain in their international relations from
the threat or use of force against the territorial integrity
or political independence of any state.'
We've been here before. President Bush used trumped-up fears
(like mushroom clouds over American cities) and frauds (like
imaginary'yellowcake' uranium) to fool the American people
into attacking Iraq. Now we and the Iraqi people are paying
the price.
With the American military bogged down in what Lt. Gen.
William Odom,director of the National Security Agency under
Ronald Reagan, calls 'the greatest strategic disaster in
United States history,' and with a majority of the American
people saying the US made the wrong decision in using
military force against Iraq, it may be hard to believe that
the Bush administration is really contemplating further
adventures.
But regimes facing military embarrassment are notorious for
expanding the theater of war - witness Nixon's expansion of
the Vietnam war into Cambodia. And the same delusions that
got us into Iraq - from imaginary threats of illicit weapons
to dreams of welcome from cheering crowds - are being
repeated about Iranand Syria.
War with Syriais already dangerously close. A series of
clashes between US and Syrian troops have killed Syrians and,
according to current and former US officials, raise the
prospect that cross-border military operations may become a
dangerous new front in the Iraq war. According to
pressaccounts, US forces have crossed the border into Syria,
sometimes by accident,sometimes deliberately. An October 1
meeting of top Bush officials in the WhiteHouse considered
'options,' including 'special operations' against Syria. Bush
administration officials are already laying the groundwork
for attacks with the kinds of justifications they used to
ensnare the U.S. in Iraq.
The Bush administration seems to believe that the President
has thepower to make war on anybody it chooses without even
having to consult with Congress. Senator Chafee observed to
Secretary Rice, 'Under the Iraq war resolution, we restricted
any militaryaction to Iraq.' Then he asked, 'So would you
agree that if anything were to occur on Syrian or Iranian
soil, you would have to return to Congress to get
thatauthorization?' Rice's reply? 'Senator, I don't want to
try and circumscribe presidential war powers. And I think
you'll understand fully that the President retains those
powers in the war on terrorism and in the war on Iraq.'
The provisions of the Constitution that limit the power of
the President to make war are wisely designed to protect the
people of our country from just the kind of dubious war that
the Bush administration conducted against Iraq - and that the
great majority of Americans now believe was a mistake.
Similarly the restrictions on aggressive war in the UN
Charter protect not only countries that might be attacked,
but also the people of countries whose leaders may be tempted
to conduct such attacks. Nothing could do more for American's
national security today than a reinvigoration ofthese
constraints on military adventurism.
While we are debating how to extricate ourselves from our
quagmire in Iraq, the Congress and the American people need
to make one thing perfectly clear: Attack on Iran,Syria,or
any other country without the explicit endorsement of the
U.S. Congress and the UN is not an 'option' for the
President.
As the old saying goes, 'fool me once, shame on you; fool me
twice, shame on me!' Congress and the American people allowed
President Bush to fool us into war with Iraq. Shame on us if
we allow him to do it again in Syria,Iran,or anywhere else!
Sources:-
Anne Gearan, 'Rice: U.S. May Still Be in Iraqin 10
Years,' Associated Press, October 19, 2005.
-
Evan Lehman,'Retired general: Iraqinvasion was 'strategic
disaster',' LowellSun, September 30, 2005
-
Princeton Survey Research Associates/PewResearch Center for the People and the
Press, interviews conducted October6-10, 2005.
-
James Risen and David E. Sanger, 'G.I's and Syrians inTense Clashes on
Iraqi Border,' New York Times, October 15, 2005.
-
CQTranscriptions, October 19, 2005.
* Legal scholar Brendan Smith (blsmith28@gmail.com) and
historian Jeremy Brecher are the editors, with Jill Cutler,
of IN THE NAME OF DEMOCRACY: AMERICAN WAR CRIMES IN IRAQ AND
BEYOND (Metropolitan/Holt, 2005)
October 20, 2005, Submitted to portside by the author
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