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"Der Syrer" wirbt für Assad

Massendemonstrationen in Städten – Opposition lehnt Dialog ab

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Nachdem Syriens Präsident Bashar al-Assad am Montag (20. Juni) zum »nationalen Dialog« aufgerufen hatte, der von seinen Gegnern postwendend rigoros abgelehnt wurde, erlebte das Land am Dienstag (21. Juni) Massendemonstrationen zur Unterstützung Assads.

Massen strömten in Aleppo, Homs, Hama, Sweida, Lattakia, Daraa, Haska, Tartous und anderen Städten auf Straßen und Plätze. In Damaskus war die Innenstadt weitgehend gesperrt: Seit dem frühen Morgen zogen Zehntausende mit Fahnen, T-Shirts und Sonnenkappen, darauf Assad-Konterfeis, in Richtung Ommajaden-Platz. Aus dem Umland wurden Busschlangen und menschenbeladene Lastkraftwagen gemeldet.

Zur Demonstration war in der Nacht zuvor per Mobilfunk aufgerufen worden. Absender der Kurzbotschaft: »Der Syrer«. Verbunden mit der Aufforderung, am Morgen um 11 Uhr für Syrien zu demonstrieren, war auch die Versicherung, dass die Demonstration angemeldet und genehmigt sei. Die syrischen Medien berichteten live aus verschiedenen Landesteilen. »Das Volk will Baschar al-Assad«, hieß es in Sprechchören, während Oppositionelle bei ihren Protesten formuliert hatten: »Das Volk will den Sturz des Regimes.« Und während der Präsident nach Angaben der amtlichen Nachrichtenagentur Sana am Dienstag eine neue Amnestie für alle vor dem 21. Juni begangenen Straftaten in Kraft setzte, sprachen Oppositionelle im Exil von einem »schlechten Theaterstück«. Der Direktor des in Washington ansässigen Damaskus-Zentrums für Studien der Menschenrechte, Radwan Ziadeh, warf Assad vor, die wirklichen Forderungen der Bevölkerung zu leugnen. Die UNO solle Sanktionen gegen Syrien verhängen, denn das Regime täusche die Welt. Assad handele wie Ghaddafi, dessen Milizen die eigene Bevölkerung töteten und folterten. In Aleppo sollen Demonstranten denn auch gerufen haben: »Kein Dialog mit Mördern!«, berichteten ausländische Medien unter Berufung auf Informationen von Facebook und Aktivisten der Opposition.

Einen nationalen Dialog zum derzeitigen Zeitpunkt schloss auch der Chefredakteur der kommunistischen Wochenzeitung »Qassioun«, Dschihad Mohamad aus. Erst müssten »die Waffen auf allen Seiten« schweigen und die Geheim- und Sicherheitsdienste in ihre Schranken gewiesen werden, bevor mit »Teilen des Regimes« über Reformen geredet werden könne, sagte Mohamad im Gespräch mit der Autorin in Damaskus. Die schwerste Last der Auseinandersetzungen trage die Bevölkerung, deren wirtschaftlichen Sorgen ohnehin groß seien.

Der türkische Präsident Abdullah Gül bezeichnete die Reformankündigungen Assads als unzureichend. Gül forderte seinen syrischen Kollegen über die Presse auf, ein Mehrparteiensystem einzuführen und Wahlen nach internationalen Standards einzuleiten.

Der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Jakob Kellenberg, forderte am Montag bei Gesprächen mit Regierungsvertretern in Damaskus »ungehinderten Zugang zu Gebieten und Personen, die von den aktuellen Unruhen im Land betroffen sind«. Seine Gespräche hätten sich »ausschließlich auf humanitäre Fragen konzentriert«, sagte Kellenberger vor seiner Abreise am Dienstag. Seine Gesprächspartner, darunter Ministerpräsident Adel Safar und Außenminister Walid Mou’allem, hätten »Entgegenkommen gezeigt und zugesagt, dass dem IKRK und dem Syrisch-Arabischen Roten Halbmond mehr Zugang in die Unruhegebiete« ermöglicht wird.

In Begleitung ausgewählter Fernseh- und Fotoreporter hatte am Montag (20. Juni)eine Delegation in Syrien akkreditierter Diplomaten die Stadt Dschisr el-Schugur besucht. Ein Sprecher des UN-Flüchtlingskommissariats UNHCR berichtete, die Stadt nahe der Grenze zur Türkei sei »fast ausgestorben« gewesen, was auf erhebliche Flüchtlingsbewegungen hindeute.

* Aus: Neues Deutschland, 22. Juni 2011


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