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Damaskus wird zur Flüchtlingsstadt

Hilfsorganisationen kümmern sich um die Opfer von Gewalt und Bürgerkrieg

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Während in Syrien die Kämpfe im Bürgerkrieg anhalten, kümmern sich nationale und internationale Hilfsorganisationen um die Flüchtlinge.

Abseits von der Yarmukstraße im gleichnamigen Viertel von Damaskus liegt die Al-Kastel-Schule, eine Grundschule für Jungen und Mädchen. Anfang Juli wurde sie wie alle Schulen und Universitäten in Syrien für die Sommerferien geschlossen, doch vor wenigen Tagen öffnete sie wieder ihre Tore.

Grund war die Flucht von Zivilisten vor Kämpfen zwischen bewaffneten Gruppen und der regulären syrischen Armee. Die einen hatten Mitte Juli zum Sturm auf Damaskus, dem »Damaskus-Vulkan«, aufgerufen, worauf Armee- und Sicherheitskräfte hart durchgriffen. Nach dem Anschlag auf die Militär- und Sicherheitsspitze in Damaskus, bei dem vier Menschen getötet wurden, kannte die Armee kein Halten mehr. Mit Panzern und Soldaten wurden Unruheviertel durchkämmt. Familien, Alte und Kinder verließen ihre Wohnungen und flohen in alle Richtungen.

Auf etwa 200 000 Menschen schätzt Abdul Rahman Attar die Zahl der Vertriebenen in und um Damaskus. Attar ist Präsident des Syrisch-Arabischen Roten Halbmondes (SARC), der in ganz Syrien den Menschen in den Brennpunkten hilft. Die Vertriebenen kamen in Schulen und öffentlichen Gebäuden, in Parks, Moscheen und Kirchen unter, wo ihnen von der Zivilbevölkerung und den Freiwilligen von SARC nun geholfen wird. Eine Statistik gebe es nicht, sagt Attar. Viele Menschen blieben nur eine oder zwei Nächte in den Notunterkünften. Danach zögen sie weiter zu Angehörigen oder sie gingen zurück, wenn die Lage sich wieder beruhigt habe. Das bestätigen Helfer in der Al-Kastel-Schule in Yarmuk. Anfangs seien etwa 750 Menschen in der Schule gewesen, doch inzwischen habe sich die Zahl auf 350 reduziert. Offiziell dürfen die Helfer nicht mit ausländischen Journalisten sprechen. Nicht weil die Regierung etwas dagegen hätte, sondern die UN-Hilfsorganisation für die Palästinensischen Flüchtlinge, UNWRA, die die Schule führt. Die Menschen seien aus Midan, Tadamoun und Hajar al-Aswat nach Yarmuk geflohen, wo bewaffnete Kämpfer oder die »Freie Syrische Armee« bis heute nicht Fuß fassen konnte. »Das ist nicht unser Kampf«, sagt Fahed Soliman von der Demokratischen Volksfront für die Befreiung Palästinas (DFLP) im Gespräch mit der Autorin in Damaskus. »Syrien hat uns aufgenommen und Rechte gegeben wie kein anderes arabisches Land.« In Sorge um die Zivilbevölkerung helfen Palästinenser, wo sie können.

Abdul Rahman Attar geht landesweit von rund 850 000 Vertriebenen aus. Im Gespräch kritisiert er die Gewalt von beiden Seiten, die auch vor dem Emblem und den Mitarbeitern von SARC nicht Halt mache. Fünf Freiwillige habe SARC verloren, einige seien so schwer verletzt worden, dass sie noch immer im Krankenhaus betreut werden müssten. Erst in den vergangenen Tagen seien von Bewaffneten drei Rettungswagen gestohlen worden. Da die Kämpfe weiter anhielten, bereite man mit Partnerorganisationen wie dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und dem Welternährungsprogramm (WFP) einen Hilfsappell für die Versorgung von 1,5 Millionen Menschen vor. Den Vorwurf, internationale Hilfsorganisationen könnten in Syrien nicht arbeiten, weist Attar zurück. Mit dem WFP bereite SARC die Versorgung von Zehntausenden Vertriebenen in Aleppo vor, man kooperiere mit dem IKRK sowie mit UN-Organisationen. Im Übrigen freue er sich, dass mehrere Hilfsorganisationen ihre Arbeit in Syrien aufnähmen: »ECHO, die Hilfsorganisation der EU, das Britische und das Deutsche Rote Kreuz heißen wir willkommen.«

* Aus: neues deutschland, Freitag, 3. August 2012


Assads Richter

Haitham al-Maleh sieht sich von »Brüdern« gebeten, eine syrische Exilregierung zu bilden

Von Karin Leukefeld, Damaskus **


Es war die Zeit des französischen Mandats in Syrien, als Haitham al-Maleh 1931 geboren wurde. Erstmals wurde der syrische Menschenrechtler 1951 inhaftiert, 1958 erhielt er seine Zulassung als Richter. Seit Inkrafttreten des Ausnahmezustands im Jahre 1963 hat Maleh diesen kritisiert. Immer wieder erhielt er Reiseverbote und wurde mit dem Entzug seiner Anwaltszulassung bedroht. Maleh trat - wie viele bekannte und weniger bekannte Oppositionelle - gegen den Mangel an politischen Freiheiten und die Allmacht des Sicherheitsapparates auf.

Nach dem Machtantritt des jungen Präsidenten Baschar al-Assad im Jahr 2000 gehörte Maleh zu den Aktivisten des »Damaszener Frühlings«, einer landesweit aufstrebenden Bürgerrechtsbewegung, die bald wieder von den Sicherheitskräften unterdrückt wurde. Maleh verteidigte inhaftierte Aktivisten, 2003 sprach er in Paris öffentlich über den Ausnahmezustand in Syrien. Ende des gleichen Jahres folgte ein Auftritt im Deutschen Bundestag. Die Niederländer zeichneten ihn wegen seines Engagements für Menschenrechte aus.

In Syrien dagegen folgten seit 2006 weitere Verfahren gegen ihn. Nach einer neuerlichen Verhaftung 2009 kam Maleh infolge einer Amnestie am 8. März 2011 frei und verließ Syrien. Seitdem engagiert er sich im oppositionellen Syrischen Nationalrat (SNR) und befürwortet den bewaffneten Kampf. Im Januar erklärte er dem Londoner »Daily Telegraph«: »Assad und seine Familie werden getötet werden. Sein Ende wird sein wie das von Gaddafi.«

Nun hat Maleh in Kairo einen »Rat für die syrische Revolution« ins Leben gerufen, der unter seiner Führung eine Übergangsregierung bilden soll. Seine »Brüder« hätten ihn aufgefordert, das zu tun, sagte er mit Hinweis auf die in Syrien verbotene Muslimbruderschaft. Der SNR habe versagt. Der wiederum zeigte sich wenig erfreut über den unabgesprochenen Schritt des 81-Jährigen. Maleh will Aleppo zu einer international verteidigten Schutzzone für die syrische Opposition machen: »Von dort werden wir nach Hause zurückkehren.«

** Aus: neues deutschland, Freitag, 3. August 2012


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