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Kerrys Kette

Syrien: Chemiewaffenexperte kritisiert "Beweisführung" des US-Außenministers für mutmaßlichen Einsatz von Sarin

Von Rainer Rupp *

Jean Pascal Zanders ist weithin als einer der weltweit führenden Chemiewaffenexperten anerkannt. In den vergangenen zwei Wochen wurde er von zahlreichen Medien zu dem mutmaßlichen Giftgasangriff in Syrien interviewt, darunter Los Angeles Times, Agence France Presse, Globale Post, Time, Telegraph und Spiegel. In einem Gespräch mit dem Internetportal Huffington Post (30. August) führte er seine Zweifel an der Darstellung des Weißen Hauses aus, der syrische Präsident Baschar Al-Assad sei verantwortlich für den Einsatz der völkerrechtlich geächteten Waffen und den Tod Hunderter Zivilisten. So könne man den von der US-Administration als »schlüssig« bezeichneten Youtube-Videos nicht entnehmen, wann und wo sie aufgenommen worden sind. Auch sei überhaupt nicht klar, ob sie von dem gleichen Vorfall oder einem anderen stammen. Auf die Frage, ob er weitere Videos gesehen habe, die ihn zur einer Meinungsänderung verleitet hätten, erklärte Zanders, solange der Bericht der UN-Untersuchung vor Ort nicht vorliege, behielten seine Beobachtungen weiterhin ihre Gültigkeit. »Ich streite nicht ab, daß eine Chemikalie mit Giftstoffen freigesetzt wurde. Aber ich bin genauso besorgt darüber, daß bestimmt Leute die Dinge in eine ganz bestimmte politische Richtung interpretieren, deren Ziel eine militärische Intervention ist.« Normalerweise sammelten Experten eine Vielzahl von Beweisen vor Ort und analysierten sie, bevor sie zu einem endgültigen Urteil kommen.

Zanders weiter: »Eine meiner Sorgen ist die Tatsache, daß seit dem 19. März 2013, als der Vorwurf von einem Chemiewaffeneinsatz in der Nähe von Aleppo große Wellen schlug, alles zu einem Einsatz von Sarin uminterpretiert wird. Wenn ich mir jedoch die Videobilder anschaue, die im Umlauf sind, so sehe eine große Anzahl von Menschen mit Erstickungssymptomen, aber nur eine Minderheit – falls die Fotos repräsentativ für die Gesamtlage sind – zeigt Symptome, die einer Vergiftung mit Neurotoxinen (Nervengiften wie Sarin, jW) entsprechen würden.« US-Außenminister John Kerry habe den Ausdruck »Signaturen von Sarin« verwendet, so Zander. »Aber diese Signaturen von Sarin können auch von anderen Organophosphatverbindungen stammen.«

Im Gespräch mit dem Internetportal washingtonsblog.com erklärte Zanders mit dem Datum vom 5. September schließlich, »ein falsch positiver Befund« für Sarin in den von US-Stellen untersuchten Haarproben syrischer Opfer könne unter anderem aus freigesetzten Pestiziden resultieren, die in der Landwirtschaft verwendet werden. »Die Verwendung solcher chemischen Verbindungen zur Schädlings- und Rattenbekämpfung ist im Nahen Osten weit verbreitet. Wenn also jemand in hinreichendem Maß solchen Stoffen ausgesetzt war, dann ergäbe das eine klare Signatur, daß die Person Neurotoxinen ausgesetzt war.«

Zanders kritisierte zudem, die Entnahme der fraglichen Haarproben habe keinen wissenschaftlichen Standards entsprochen. Von »Beweisen« könne keine Rede sein. Die westlichen Regierungen »übertreiben diesen Fall«. »Wir wissen nicht, woher die Proben stammen. Und wir wissen nicht, wie repräsentativ sie für eine bestimmte Gegend sind. Proben könnten selektiv westlichen Quellen zur Analyse zugespielt worden sein. Wenn Sie aber nicht wissen, woher Ihre Probe tatsächlich stammt, ist Ihre ganze ›Kette der Aufbewahrung‹ kompromittiert. Deshalb waren die UN-Inspektoren in Syrien, um dort vor Ort selbst die Proben zu sammeln.«

Laut einem Bericht des Wall Street Journal hat der saudische Geheimdienstchef Prinz Bandar bin Sultan ein angebliches Opfer der chemischen Kriegsführung aus Syrien geschmuggelt und nach Großbritannien geschickt. Diese Person stellte die Grundlage für die Behauptungen Londons dar, die syrische Regierung hätte chemische Waffen eingesetzt. »Falls das britische Urteil tatsächlich auf der Untersuchung einer einzigen Person beruht, dann ist das sehr bemerkenswert«, beschied Zanders in aller Kürze.

* Aus: junge welt, Dienstag, 10. September 2013


Sarin-Proben: Unhaltbar

Von Rainer Rupp **

Beweise für eine Schuld der Regierung in Damaskus am Giftgasmassenmord vom 21. August fehlen. Aber US-Außenminister John Kerry will »Machthaber« Baschar Al-Assad nun mit Hilfe des »gesunden Menschenverstandes« verantwortlich machen. Kerry behauptet erstens, daß bei dem Angriff das Nervengift Sarin verwendet wurde, und zweitens, daß nur das syrische Militär die Fähigkeiten habe, dieses herzustellen und anzuwenden. Beide Aussagen sind unhaltbar.

Tatsächlich gibt es keinen Beweis, daß Sarin eingesetzt wurde. Laut Experten weisen bestimmte Chemikalien, die massenweise in der Industrie und Landwirtschaft Verwendung finden, bei Tests die gleichen Merkmale auf wie Sarin. Die von Kerry als »unwiderlegbarer Beweis« zitierten »Sarin-Signaturen« in Haarproben könnten ganz andere Ursachen haben. Verblüffend ist in diesem Zusammenhang der Hinweis des in den USA weithin bekannten Mike Adams, der über gesunde Ernährung schreibt. Laut Adams kann die gängige Laboruntersuchung, mit der Haarproben auf Sarin-Vergiftung getestet werden, diese nicht von Haarproben unterscheiden, die von Menschen stammen, welche über lange Zeit gechlortes Wasser getrunken haben. Das könnte, falls es zutrifft, Berichte einer ehemaligen AP-Reporterin aus Syrien bestätigen, wonach es in der Region des angeblichen Sarin-Einsatzes bei der Vorbereitung eines Rebellenangriffs zu einem Unfall mit Chlorgas mit vielen Toten gekommen ist.

Zum zweiten kann Sarin in Kleinlabors zu Hause mit frei erhältlichen Substanzen hergestellt werden. Beleg: Das Attentat der japanischen Aum-Sekte in der U-Bahn von Tokio 1995 mit von den Terroristen selbst produziertem Gas. Unverständlich ist, daß die Obama-Administration die Razzia von Anfang Juni gegen eine Dschihadistengruppe mit syrischen Verbindungen in Bagdad, in deren Labor verschiedene Giftgase beschlagnahmt wurden, komplett ignoriert.

** Aus: junge welt, Dienstag, 10. September 2013


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