Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

UN-Sicherheitsrat fordert Aufklärung

Syrien: Giftgas-Einsatz wäre "politischer Selbstmord" *

Die syrische Führung hat die Vorwürfe der Rebellen, im Bürgerkrieg Chemiewaffen eingesetzt zu haben, erneut vehement zurückgewiesen. Dies wäre während der Anwesenheit von UN-Inspektoren im Land »politischer Selbstmord«, sagte ein ranghoher Vertreter der syrischen Sicherheitskräfte am Donnerstag gegenüber AFP. Auch »alle Analysten« kämen zu dem Ergebnis, »dass es nicht in unserem Interesse ist, Chemiewaffen einzusetzen, während die Kontrolleure hier sind«. »Das Ziel der Anschuldigungen ist, die Arbeit der Experten zu unterlaufen«, sagte der Vertreter der Sicherheitskräfte weiter. Die syrische Opposition hatte die Regierungstruppen beschuldigt, am Mittwoch bei einem Großangriff mit Chemiewaffen nahe Damaskus ein Massaker mit 1300 Toten verübt zu haben, was die Armee sofort zurückgewiesen hatte.

Der UN-Sicherheitsrat forderte in einer Sondersitzung »Klarheit« über den Vorfall. Auf eine förmliche Erklärung konnte sich das Gremium nicht einigen. Bereits seit Beginn des Konflikts bestehen vor allem zwischen China und Russland auf der einen sowie den NATO-Staaten auf der anderen Seite grundsätzlich unterschiedliche Bewertungen hinsichtlich der Ursachen des Krieges, die auch in diesem Falle ein gemeinsames Papier verhinderten. Die Diplomaten sollen sich aber prinzipiell darüber einig sein, dass die sich seit wenigen Tagen wegen früherer Vorwürfe im Lande befindlichen UN-Inspektoren die Angelegenheit untersuchen sollen. Dies jedoch bedarf laut Vereinbarung der Zustimmung der syrischen Regierung.

Es bestehen jedoch auch innerhalb des westlichen Lagers erhebliche Differenzen hinsichtlich der Bewertung der Vorfälle und noch mehr hinsichtlich möglicher Konsequenzen. Während Frankreich und Großbritannien, auch die Türkei, die Anschuldigungen der Rebellen als bewiesen behandeln und auf militärische Schritte gegen Syrien drängen, verhalten sich die USA äußerst reserviert gegenüber diesen Forderungen.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 23. August 2013


Syrien spaltet die Allianz

Paris kann Obama nicht überzeugen

Von Roland Etzel **


Angesichts der neuen Vorwürfe, Chemiewaffen eingesetzt zu haben, wächst der internationale Druck auf die Führung in Damaskus. Besonders Frankreich und die Türkei fordern ein militärischen Eingreifen in den syrischen Bürgerkrieg – bis jetzt noch mit dem Zusatz »falls sich die Anschuldigungen bestätigen«.

Frankreichs Außenminister Laurent Fabius hat sich einmal mehr an die Spitze der Assad-Jäger gesetzt. Wie schon mehrfach in der zweieinhalbjährigen Geschichte dieses Bürgerkrieges wandelt die sozialistische Regierung Frankreichs in den Fußstapfen ihrer bürgerlichen Vorgängerin, die 2011 den Luftkrieg gegen Libyen anzettelte. Auch Fabius fordert seit einem Jahr eine verharmlosend »Einrichtung einer Flugverbots-Zone« über Syrien genannte Maßnahme.

Fabius drohte sogar laut AFP »mit einem militärischen Vorgehen« gegen die syrische Führung – noch mit dem Zusatz versehen: »Sollten sich die Vorwürfe eines Chemiewaffeneinsatzes bestätigen.« In diesem Falle wäre eine »Reaktion der Stärke« notwendig, die über eine »internationale Verurteilung« hinausgehe, sagte Fabius am Donnerstag gegenüber Radio Monte Carlo.

»Ich will nicht präziser sein«, fügte er hinzu. Sonst hätte Fabius an dieser Stelle sagen müssen, dass mit der Stärke, von der er hier sprach, nicht die eigene gemeint sei. Fabius und andere mittel- oder unmittelbar an der Anti-Syrien-Front Beteiligte wie die Türkei gehen davon aus, dass die Gegenwehr beispielsweise der syrischen Luftabwehr von im Wortsinne anderem Kaliber ist als die libysche. Es bedürfte also einer massiven Führungsrolle der USA. Frankreich könnte allenfalls »mitfliegen«.

Washington hat dazu bisher wenig Neigung gezeigt, und die Chancen, dass einige Falken – beider großer US-Parteien – Barack Obama dahin drängen könnten, sind wohl geringer als vor ein paar Monaten. Mitte Juni hatten Senator John McCain und andere Obama das im äußersten Fall Krieg bedeutende Bekenntnis abgerungen, Syrien habe mit einem Einsatz von Chemiewaffen die »roten Linien« überschritten.

Davon aber ist derzeit in Washington keine Rede. Die US-Regierung strebt nach den neuerlichen Vorwürfen zu einem Giftgaseinsatz durch die syrische Armee keine neue Debatte über eine »rote Linie« für ein Eingreifen in den Konflikt an. »Ich spreche nicht über rote Linien, ich ziehe keine roten Linien«, sagte Außenamtssprecherin Jennifer Psaki am Mittwoch in Washington. Angesichts des Blutvergießens in Syrien solle gar nicht über »Rot« gesprochen werden.

Die Bundesregierung bleibt betont zurückhaltend. »Sollten sich die Angaben bewahrheiten, so ist dies ein entsetzliches Verbrechen«, sagte Angela Merkel nach Angaben der »Stuttgarter Zeitung« am Mittwoch bei einer Diskussion. Damit bleibt sie vier Wochen vor der Wahl auf der sicheren Seite.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 23. August 2013


Russland: Gasangriff kam von Assads Gegnern

Außenamt in Moskau spricht von verbrecherischem Anschlag und geplanter Provokation

Von Irina Wolkowa, Moskau ***


Die Giftgasrakete, die Mittwoch in der Nähe von Damaskus bis zu 300 Menschen getötet haben soll, wurde nach russischen Erkenntnissen nicht von Regierungstruppen abgefeuert, sondern von der syrischen Opposition.

Laut einer Erklärung, die das Moskauer Außenamt am späten Mittwochabend veröffentlichte, handelt es sich um eine von Assads Gegnern selbst hergestellte Rakete mit einem unbekannten chemischen Kampfstoff, die aus deren Stellungen östlich der syrischen Hauptstadt abgefeuert wurde. So wollte man die Offensive der regulären Streitkräfte stoppen, die seit Tagen an mehreren Frontabschnitten angreifen.

Medienberichte, die die Giftgasattacke dem Regime anlasten und sich dabei auf »Aktivisten der Opposition« berufen, bezeichnete Außenamtssprecher Alexander Lukaschewitsch als »vorab geplante Provokation«, mit der UN-Experten beeinflusst werden sollen, die derzeit die gegen beide Seiten erhobenen Vorwürfe des Einsatzes von Chemiewaffen untersuchen. Es sei daher kein Zufall, dass der Beginn ihrer Mission und der »verbrecherische Anschlag« zeitlich zusammenfallen. Auch solle der UN-Sicherheitsrat »um jeden Preis« veranlasst werden, sich auf Seiten der Rebellen zu positionieren. Das gefährde eine neue Syrien-Konferenz. Zu deren Vorbereitung ist für den 28. August ein weiteres Treffen russischer und US-amerikanischer Experten in Genf geplant

Die Giftgasvorwürfe, so der russische Diplomat weiter, müssten »gründlich und objektiv« untersucht werden. Zugleich rief er all jene, die »Einfluss auf die bewaffneten Extremisten haben«, dazu auf, ihn geltend zu machen, damit derartige Provokationen gestoppt werden. Medien mahnte er zu Neutralität. Arabische TV-Sender, die mit den Rebellen sympathisieren, hätten schon öfter über den Einsatz von Chemiewaffen durch Präsident Baschar Assad berichtet; keine der Meldungen habe sich bisher bestätigt.

Moskau dagegen hatte der UNO schon im Juli Beweise für Giftgasanschläge der Rebellen im März im Raum Aleppo zukommen lassen, die Außenminister Sergei Lawrow als wasserdicht bezeichnete. Russische Experten hätten die Proben an Ort und Stelle selbst gezogen, in einem von der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) zertifizierten Labor untersucht und auf dem Weg dorthin »nicht aus der Hand gegeben«. Sowohl die Geschosse wie das Giftgas selbst seien nicht industriell gefertigt wurden. Die Rakete vom Mittwoch sei vom Typ her identisch, so Lukaschewitsch.

*** Aus: neues deutschland, Freitag, 23. August 2013


C-Waffen auf dem Prüfstand

Nicht nur Damaskus ist ein Problem

Von Olaf Standke ****


Mit Åke Sellström steht einer der weltweit führenden Chemiewaffen-Experten an der Spitze der UN-Inspektoren, die jetzt in Syrien gefordert sind. Der Schwede war u.a. Chefprüfer bei der UNCCOM genannten Mission, die in den 90er Jahren die Vernichtung von Kampfstoffen in Irak überwachte. Zur Zeit ist er Projektleiter am European CBRNE Center, einem Institut an der Universität Umeå, das die Wirkung von biologischen und chemischen Waffen erforscht. Kampfstoffe wie Senfgas, Phosgen oder Tabun sind in Kriegen und bei Terroranschlägen in der Vergangenheit immer wieder eingesetzt worden. Im Vietnamkrieg etwa versprühten die US-Amerikaner massenhaft chemische Mittel wie das hochgiftige »Agent Orange« – mit verheerenden Folgen für Menschen und Natur. Während des Irak-Iran-Krieges sollen im März 1988 allein in Halabdscha nach einem Giftgas-Angriff der Truppen von Saddam Hussein mindestens 5000 Menschen gestorben sein.

Die C-Waffen-Konvention verbietet sowohl die Anwendung von Giftgasen als auch Produktion und Besitz; vorhandene Bestände müssen vernichtet werden. Das ist bisher erst mit rund 56 800 der ursprünglich erfassten 71 000 Tonnen geschehen – dabei ist die Frist im Vorjahr abgelaufen. Dem Völkerrechtsvertrag gehören heute 188 Staaten an, es fehlen jedoch Angola, Ägypten, Nordkorea, Südsudan, Somalia – und Syrien. Aber auch Äthiopien, China, Iran und andere Länder werden verdächtigt, insgeheim solche Waffen zu besitzen oder an entsprechenden Forschungen zu arbeiten. Israel und Myanmar haben die Konvention zwar unterzeichnet, aber nicht ratifiziert.

Das Institut für Strategische Studien in London geht davon aus, dass Damaskus seit den 70er Jahren Chemiewaffen produziert habe. Auch deutsche Unternehmen hätten durch Lieferungen technischer Gerätschaften wesentlich am Aufbau des Giftgasprogramms mitgewirkt, so die friedenspolitische Ärzteorganisation IPPNW. Syriens Arsenal gilt als das größte im Nahen Osten und viertgrößtes weltweit. Damaskus besitzt nach Einschätzung der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) mehr als 1000 Tonnen an chemischen Kampfstoffen. Darunter befänden sich Stoffe wie Sarin, Senfgas und das Nervengas VX sowie die entsprechenden Trägersysteme. Nach Pentagon-Angaben sollen Dutzende Raketen des Typs Scud-B Kampfstoffe bis zu 300 Kilometer weit tragen können.

Das Regime von Präsident Baschar al-Assad hat den Besitz von Giftgas indirekt eingeräumt, ohne jedoch Einzelheiten zu nennen. Wie in anderen Ländern der Region auch, sieht man diese Massenvernichtungswaffen als eine Art »asymmetrische« Antwort auf den vermuteten Atomwaffenbesitz Israels. Zuletzt erklärten syrische Regierungsvertreter allerdings wiederholt, man würde Chemiewaffen »niemals« einsetzen.

Seit Beginn des bewaffneten Konflikts in Syrien sind mehr als ein Dutzend konkrete Verdachtsfälle für den Einsatz von Giftgas bekannt geworden. Die Aufständischen behaupten wie die Assad- Regierung, dass die gegnerische Seite chemische Kampfstoffe verwendet habe. Wirklich belastbare Beweise gibt es bisher nicht.

**** Aus: neues deutschland, Freitag, 23. August 2013

Use of chemical weapons in Syria would be ‘crime against humanity’ – Ban

23 August 2013 – The use of any chemical weapons in Syria would amount to a “crime against humanity” and there would be “serious consequences” for the perpetrators, Secretary-General Ban Ki-moon said today, while urging an immediate investigation on this matter.

“Any use of chemical weapons anywhere, by anybody, under any circumstances, would violate international law,” Mr. Ban said ahead of a meeting in Seoul, Republic of Korea (ROK) on the Millennium Development Goals (MDGs).

“Such a crime against humanity should result in serious consequences for the perpetrator. Once again, I call for an immediate investigation of this latest incident.”

A UN team is currently in Syria spending up to 14 days, with a possible extension, probing the alleged use of chemical weapons by the Government at Khan al-Asal, as well as two other allegations reported by Member States.

Yesterday, Mr. Ban called on the Syrian Government to extend its full cooperation so that the team, led by Swedish scientist Åke Sellström, can swiftly investigate the incident, which occurred on the morning of 21 August. Mr. Ban has also instructed the High Representative for Disarmament Affairs, Angela Kane, to travel to Damascus.

“I can think of no good reason why any party – either Government or opposition forces – would decline this opportunity to get to the truth of the matter,” Mr. Ban said.

Since fighting began in March 2011 between the Syrian Government and opposition groups seeking to oust President Bashar Al-Assad as many as 100,000 people have been killed, almost 2 million have fled to neighbouring countries and a further 4 million have been internally displaced. In addition, at least 6.8 million Syrian require urgent humanitarian assistance, half of whom are children.

Mr. Ban stressed that “there is no time to waste” given the alarming humanitarian situation, and repeated his call to all parties to come to the negotiating table.

“The time has clearly come for the parties to stop shooting, and start talking. I am determined to do everything I can to assist the victims and move towards a political solution. That is the only way this crisis will be resolved.”

He added that while a political situation emerges, UN agencies would continue to provide assistance to millions of people inside and outside Syria who are in urgent need.

“Our challenge remains: achieving a complete cessation of hostilities, delivering humanitarian assistance and getting the Government and the opposition to the negotiating table in Geneva as soon as possible,” he said.

Meanwhile, the Joint Special Representative of the UN and League of Arab States for Syria Lakhdar Brahimi said planning for the so-called “Geneva II” conference is still underway, with the conference tentatively taking place in September.

In June, discussions about the international meeting were held in Geneva with participation from senior United States, Russian and UN officials, led by Mr. Brahimi.

The goal of the conference would to be to achieve a political solution to the conflict in Syria through a comprehensive agreement between the Government and the opposition for the full implementation of the Geneva communiqué of 30 June 2012. Issued after a meeting of the Action Group for Syria, the document lays out key steps in a process to end the violence.

In an interview with UNTV, Mr. Brahimi underscored the need to convene the conference, warning that Syria has become “without any doubt, the biggest threat to peace and security in the world today.”

“What has happened, this story, this allegation, that chemical weapons have been used a few kilometres from the heart of Damascus as a matter of fact emphasizes the importance of this crisis and the danger it represents, not only for the Syrian people, not only for the region, but for the world,” he said.

Source: UN News Centre, 23 August 2013; http://www.un.org




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