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Geheimsache Kriegshilfe

Bundesregierung verheimlicht Erkenntnisse über bewaffnete syrische Opposition in Deutschland. Antworten auf Linke-Anfrage nicht für Öffentlichkeit bestimmt

Von Ulla Jelpke *

Offenbar ist die Bundesregierung tiefer in den syrischen Bürgerkrieg verwickelt, als bislang bekannt. Darauf lassen ihre Antworten – oder besser gesagt: Nichtantworten – auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion über »Aktivitäten der Freien Syrischen Armee in Deutschland« schließen. Ob der Bundesregierung Spendensammlungen zugunsten der Freien Syrischen Armee oder anderer bewaffneter syrischer Oppositionsgruppen in Deutschland bekannt seien, wollte die Linksfraktion wissen. Doch die Regierung verweigert eine öffentliche Auskunft und verweist auf die Geheimschutzstelle des Parlaments. In diese haben Abgeordnete nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit Einblick. Auch ihre Erkenntnisse über aus Deutschland stammende Kämpfer und illegale deutsche Waffenlieferungen für bewaffnete syrische Oppositionsgruppen will die Bundesregierung nicht öffentlich machen. Diese werden unter Verweis auf das »Staatswohl« als geheime Verschlußsache eingestuft, da »ihre Veröffentlichung Rückschlüsse auf die Erkenntnislage« der Geheimdienste zuließe.

Weder das Verteidigungs- noch das Bundesinnenministerium hätten bewaffneten Oppositionsgruppen logistische oder Ausbildungshilfe gewährt, versichert die Bundesregierung. Für den Bundesnachrichtendienst will die Regierung dagegen kein solches Dementi geben. Da allerdings Informationen darüber »die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährden« können, wird erneut auf VS-Geheim klassifizierte Dokumente verwiesen. »Die Bundesregierung muß ihr Wissen über eine Unterstützung bewaffneter syrischer Oppositionsgruppen von Deutschland aus unverzüglich öffentlich machen«, fordert die Linksfrak¬tion daher noch vor einer Sichtung der Dokumente in der Geheimschutzstelle.

Das Auswärtige Amt schätzt die Gesamtstärke der bewaffneten Oppositionskräfte in Syrien auf mindestens 35000 Personen. Deserteure der syrischen Armee machten davon einen Anteil von nur maximal 3000 Mann aus, während es sich bei der Mehrzahl um Bewohner der umkämpften Gebiete handeln soll, die sich dem bewaffneten Widerstand angeschlossen haben. Die Regierung messe offenbar mit zweierlei Maß, kritisiert die Linksfraktion. Während kurdische Oppositionsgruppen aus der Türkei in Deutschland als Terroristen verfolgt werden, werde die bewaffnete syrische Opposition hofiert, obwohl ihr selbst nach Kenntnis der Bundesregierung auch dschihadistische Kämpfer angehören.

Mit Repräsentanten des eine ausländische Intervention befürwortenden Syrischen Nationalrates, aber auch anderen Oppositionsbündnissen steht die Bundesregierung in regelmäßigem Gesprächskontakt. Die prowestlichen »Freunde des syrischen Nationalrats« in Berlin haben für ihre »Vernetzung« 115000 Euro aus dem Etat des Außenministeriums und das »Sekretariat der AG Wirtschaftliche Erholung und Wiederaufbau der Freundesgruppe des syrischen Volkes« sogar 550000 Euro zur »Diskussion grundlegender Fragestellungen eines zukünftigen syrischen Staates« und »der Gestaltung des wirtschaftlichen Wiederaufbaus« erhalten. Nicht direkt beteiligt waren Bundesbehörden dagegen am Projekt »The Day After«. Dieser Gesprächskreis aus 45 syrischen Exiloppositionellen hat seit Januar 2012 bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin »über eine Nach-Assad-Ordnung« diskutiert. Die SWP wird aus dem Haushalt des Kanzleramtes mit jährlich über elf Millionen Euro gefördert.

* Aus: junge Welt, Freitag, 7. September 2012


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