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Dialog und Sanktionen

Mit Geschick und Engagement bemüht sich der UN-Gesandte Brahimi, im syrischen Krieg zu vermitteln. Westen setzt weiter auf Strafmaßnahmen

Von Karin Leukefeld, Damaskus *

Die Vermittlungsmission des UN-Sondergesandten Lakhdar Brahimi in Damaskus ist durch die Ereignisse im Libanon schwierig geworden. Er sei hoffnungsvoll gewesen, sagt ein Gesprächspartner in Damaskus, der um Anonymität bittet. Brahimi sei sehr umsichtig vorgegangen, so der Wirtschaftswissenschaftler. Er habe mit allen beteiligten Regierungen gesprochen und von den wichtigsten internationalen Akteuren Zustimmung für sein Projekt erhalten, einen Waffenstillstand während des bevorstehenden Opferfestes (Eid Al-Adha) zu erreichen. Zudem sei es eine Tradition der Araber, währenddessen Streit zu begraben und Kämpfe einzustellen, »damit appelliert er natürlich an die Islamisten unter den Kämpfern«, sich an ihre religiösen Wurzeln zu erinnern. Mit der Zuspitzung der Lage im Libanon nach dem Anschlag auf den Chef des Inlandsgeheimdienstes Wissam Al-Hassan, den Kämpfen und ersten Toten, besonders aber mit der sofortigen Schuldzuweisung gegen die syrische Führung würden die Fronten sich verhärten.

Bei einer kurzen Stellungnahme vor Reportern in Damaskus erneuerte Brahimi seinen Appell an alle Seiten, die Waffen niederzulegen. »Jeder soll für sich die Entscheidung treffen, zum Eid Al-Adha-Fest jede Feindschaft zu beenden« und in den nächsten Tagen mit der Einstellung der Gewalt zu beginnen. Brahimi betonte, es handele sich um eine persönliche Initiative von ihm, der Waffenstillstand sei »kein Friedensplan«. Er rufe »jeden Syrer, auf den Straßen, in den Dörfern, diejenigen, die in der Armee kämpfen und ihre Gegner auf, für sich die Entscheidung zu treffen und die Feindseligkeiten einzustellen«, sagte Brahimi. Alle bisherigen Gesprächspartner der Opposition »in Syrien und außerhalb« als auch von bewaffneten Gruppen hätten sich positiv geäußert. Werde das Opferfest ruhig verlaufen, könne man anschließend mit der Arbeit (für Frieden) weitermachen.

Präsident Baschar Al-Assad zeigte sich »offen für alle ernsthaften Anstrengungen, eine friedliche Lösung für die Krise zu finden«, zitierte die staatliche Nachrichtenagentur SANA nach einem Treffen zwischen Brahimi und Assad. Basis sei »die Ablehnung von jeder ausländischen Einmischung«. Wichtig sei, daß auch die Staaten, die »Terroristen beherbergen, unterstützen und bewaffnen« eine Verpflichtung hätten, damit aufzuhören. Der syrische Außenminister Walid Mou’allem sagte nach einem Treffen mit Brahimi, man hoffe die Gewalt zu stoppen, »um einen umfassenden syrischen Dialog vorzubereiten«. Hassan Abdel Azim vom Nationalen Koordinationsrat für Demokratischen Wandel in Syrien (NCB) erklärte, ein Waffenstillstand würde den Weg für einen politischen Prozeß öffnen. Mit Einstellung der Gewalt müsse die Freilassung von Gefangenen und die Versorgung der Bevölkerung mit medizinischer Hilfe einhergehen. Abdulaziz Al-Khair, ein führendes NCB-Mitglied, ist seit einem Monat verschollen. Das NCB hat erklärt, daß der Geheimdienst der syrischen Luftwaffe Al-Khair und zwei weitere Aktivisten des NCB auf dem Weg vom Flughafen festgenommen hat. Das syrische Informationsministerium erklärte, die drei Männer seien »von terroristischen Gruppen entführt« worden.

Obwohl sich auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle am vergangenen Freitag für einen Waffenstillstand ausgesprochen hatte und »mit allem Nachdruck an Assad und die Kräfte der Opposition« appellierte, »dieser Forderung jetzt nachzukommen«, hat die Bundesregierung sich an führender Stelle vor wenigen Tagen bei der Europäischen Union für eine weitere Verschärfung der Sanktionen gegen Syrien eingesetzt. In der Erklärung Nummer 944/2012 vom 15. Oktober erläutert der Europäische Rat weitere »restriktive Maßnahmen hinsichtlich der Lage in Syrien«. Kern der »Maßnahme« ist, daß die gesamte syrische Regierung nun auf die EU-Sanktionsliste gesetzt wurde und damit keine Berechtigung hat, in ein europäisches Land zu reisen, um Gespräche zu führen oder an internationalen Treffen teilzunehmen. »Das ist ein Zeichen, daß Europa keine politische Lösung will«, kommentierte der Familienvater Naim [1] die Entscheidung mit einem Schulterzucken.

Als Begründung für die EU-Bestrafung des Kabinetts dient die Phrase, daß jede Person, ungeachtet ihres Amtes »mitverantwortlich ist für die gewaltsame Unterdrückung der Zivilbevölkerung durch das Regime«. Walid Mou’allem, der oberste Diplomat der syrischen Regierung, der für die Zusammenarbeit mit der UN-Mission verantwortlich ist, wird ebenso mit EU-Kontaktverbot belegt wie die Minister und Ministerinnen für Gesundheit, Tourismus, Kultur, Wasserwirtschaft und religiöse Angelegenheiten. Auch Kadri Jamil von der oppositionellen Volksfront für Wandel und Befreiung steht auf der Liste. Er wurde bei den Wahlen im Mai 2012 gewählt und als Vertreter der Opposition zum Vizeministerpräsidenten für Wirtschaft und Verbraucherschutz ernannt. Auch vor Ali Haidar, dem neuen Staatsminister für Versöhnung macht die Liste nicht halt. Haidar ist Vorsitzender der oppositionellen Syrischen Sozialen Nationalistischen Partei und hat für seine oppositionellen Ansichten selber im Gefängnis gesessen. Während des Wahlkampfes wurde sein Sohn erschossen, als er mit dem Wagen des Vaters auf dem Nachhauseweg war. Beobachter vermuten, daß der Anschlag Haidar galt, weil er und seine Partei sich an den Wahlen beteiligten.

[1] Name geändert.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 23. Oktober 2012


"Eine Menge fauler Taktiken und Strategien"

Wie Regierungsgegner in Syrien versuchen, Hightechwaffen der staatlichen Streitkräfte in ihren Besitz zu bringen

Von Karin Leukefeld, Damaskus **


»Syrische Rebellen belagern Raketenbasis bei Homs«, »syrische Rebellen greifen Einrichtung der syrischen Luftwaffe an«. So oder ähnlich häuften sich Meldungen aus Syrien seit dem Sommer. Der Vorsitzende des Syrischen Nationalrates, Abdulbasit Sayda, stellt die Angriffe als legitim dar, die »Rebellen« würden sich nur »verteidigen«. Tatsächlich greift die Luftwaffe seit einigen Wochen verstärkt in die blutige Auseinandersetzung mit den Aufständischen ein.

Die Angriffe der Regierungsgegner scheinen einem Muster zu folgen, sagt Khalid [1], der als ehemaliger Armeeleutnant die militärischen Vorgänge in Syrien mit besonderem Interesse verfolgt. »Warum greifen sie Stützpunkte der Luftwaffe an und stehlen Raketen, mit denen sie gar nichts anfangen können?« Nur wenige Tage zuvor hatte es in Aleppo einen Überfall auf eine Ausbildungseinrichtung der Streitkräfte gegeben, Spezialisten für den Einsatz schwerer Waffen wie Luftabwehrgeschütze werden hier ausgebildet.

Für einen ausländischen Diplomaten in Damaskus sind diese Angriffe kein Zufall. Einfache Syrer, die sich bewaffnet hätten, um sich und ihre Familien zu verteidigen, kämen nie auf die Idee, Stützpunkte der Luftwaffe anzugreifen, zumal deren Lage meist gar nicht bekannt sei. Die Angriffe auf Luftwaffenstützpunkte würden von ausländischen Experten geführt, ist der Mann überzeugt, der anonym bleiben möchte. Deren Operationsräume seien in der Türkei und Jordanien.

Die Luftwaffenbasen würden meist von Dutzenden wenn nicht Hunderten Kämpfern attackiert. Speziell ausgebildete Kommandos hätten dann Aufklärungsarbeit innerhalb der Basen zu leisten. Die seien mit Satellitenaufklärung ausgerüstet, benutzten ausländische Kommunikationsmittel und wüßten genau, wo sie hinsehen müßten. Ziel sei es, Aufklärungsarbeit zu leisten und Informationen zu sammeln, das wisse man »aus Gesprächen in der Türkei«, sagte der Diplomat. Einrichtung und Ausrüstung, elektronisches Material oder auch Raketen sollten entwendet werden, um an einem anderen Ort von Experten überprüft werden zu können.

»Warum haben die Türken wohl die Zivilmaschine der syrischen Fluglinie kürzlich zum Landen gezwungen?« An Bord seien Ausrüstungsgegenstände für ein Radarsystem gewesen, »und die NATO wollte wissen, was das für Sachen waren«. Inzwischen hat die Türkei eingeräumt, daß die beschlagnahmten Pakete keine militärischen Ausrüstungsgegenstände gewesen seien. Rußland, das Absender der Güter war, fordert die Rückgabe der beschlagnahmten Lieferung.

Als sich Anfang Juni ein syrischer Pilot mit seinem Kampfjet nach Jordanien absetzte, erhielt der Mann umgehend Asyl und einen Aufenthaltsstatus in einem westlichen Land. Seine Maschine wurde von Militärexperten gründlich untersucht, die syrische Luftwaffe mußte ihren internen Kommunikationscode ändern. Der Abschuß eines türkischen Kampfjets in syrischen Küstengewässern bei Lattakia, nur wenige Wochen später, wird von Militärexperten ebenfalls dem Bereich der Spionage zugeordnet. Laut Türkei handelte es sich bei dem Phantom-Jet F4 um ein Aufklärungsflugzeug, das das türkische Radarsystem testen sollte. Möglich ist allerdings auch, daß die Maschine einen Aufklärungsflug unternahm, um Informationen zu sammeln, die von der Türkei nachweislich den bewaffneten Aufständischen in Syrien zur Verfügung gestellt werden. Der Abschuß der Maschine habe gezeigt, daß das syrische Militär »fähig und extrem nervös« reagiert habe, schrieb Reuters-Reporter Peter Apps in einer Analyse des Vorfalls. Dieser werde die NATO weiterhin davon abhalten, sich in Syrien direkt militärisch zu engagieren. Apps zitiert Hayat Alvi, einen Mittelost-Experten am US-College für Seekrieg mit den Worten, der Vorfall mache vor allem eines deutlich: daß es »eine Menge fauler Taktiken und Strategien in der Region gibt, mit vielen Akteuren hinter vielen Gardinen«.

Der eigentliche Grund, warum die NATO bisher in Syrien nicht eingegriffen habe, sei die Unsicherheit über die Schlagkraft der syrischen Luftwaffe und Luftverteidigung, die russischer Bauart seien, sagte der ausländische Diplomat (im Gespräch mit der Autorin). Mehrfach habe Moskau die NATO gewarnt, Syrien nicht zu provozieren. Ein offenes Vorgehen sei zu riskant, daher würden Spezialkommandos zur »Vor-Ort-Aufklärung« eingesetzt. Medien sorgten für deren notwendige Tarnung als »Freie Syrische Armee«.

[1] Name von der Redaktion geändert.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 23. Oktober 2012


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