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Verdeckte Operationen

Mitgliedsstaaten der NATO sind längst aktiv in Syrien: Waffen und Freiwillige sollen Aufständische gegen Präsident Assad stärken. Spezialeinheiten übernehmen Ausbildung

Von Joachim Guilliard *

Syrische Aufständische werden von Kräften des NATO-gestützten Nationalen Übergangsrats in Libyen ausgebildet, wie Rußlands UN-Botschafter Witali Tschurkin am Mittwoch vor dem Weltsicherheitsrat beklagt hat. Doch auch Mitgliedsstaaten des Nordatlantikpakts selbst mischen im syrischen Bürgerkrieg aktiv mit. Für eine direkte und auch militärische Unterstützung bewaffneter Oppositionsgruppen durch die USA, Frankreich und Großbritannien gibt es zahlreiche Hinweise, auch wenn sich die intervenierenden Mächte alle erdenkliche Mühe geben, keine deutlichen Spuren zu hinterlassen. Eine völlig offene Unterstützung betreibt das NATO-Mitglied Türkei allein schon dadurch, daß es die sogenannte Freie Syrische Armee (FSA) auf seinem Territorium operieren läßt. Sehr aktiv sind auch die im Golfkooperationsrat (GCC) zusammengeschlossenen arabischen Feudalstaaten, vorneweg Katar, der aktuell aggressivste Verbündete der westlichen Mächte, und Saudi-Arabien, das schon lange klandestin islamistische Oppositionsgruppen in Syrien unterstützt.

Wie der Ex-CIA-Mann Philip Giraldi Mitte Dezember berichtete, fliegen nichtmarkierte NATO-Flugzeuge Waffen und Freiwillige aus Libyen zu türkischen Stützpunkten bei Iskenderun. Die Hafenstadt nahe der syrischen Grenze ist gleichzeitig auch Basis der FSA. Die in Libyen eingesammelten Waffen sind sehr praktisch, können sie doch nicht zu den Lieferanten zurückverfolgt werden. Und die libyschen Kämpfer bringen ihre frischen Erfahrungen mit, wie man neu rekrutierte Leute in den Kampf gegen ausgebildete Soldaten führt, die aufgrund äußeren Drucks nicht völlig frei zurückschlagen können. Laut Giraldi sind auch Ausbilder der französischen und britischen Spezialstreitkräfte vor Ort, um den syrischen Rebellen zu helfen, während die CIA und US-Spezialstreitkräfte die Aufständischen mit Kommunikationsausrüstung und nachrichtendienstlichen Erkenntnissen versorgen, damit sie größeren Ansammlungen syrischer Soldaten aus dem Weg gehen können.

Auch der russische Außenminister Sergej Lawrow hat dem Westen schon mehrfach vorgeworfen, die Rebellen zu bewaffnen. »Über die Türkei, den Irak und andere Länder werden Waffen nach Syrien geschmuggelt«, zitierte dpa den Moskauer Spitzenpolitiker am 4. November 2011. Zehn Tage später wurde Lawrow noch etwas deutlicher. Die Nachrichtenagentur Interfax berichtete, westliche Staaten lieferten »rechtswidrig Waffen an die syrische Opposition, um den Sturz von Präsident Baschar Al-Assad zu erzwingen, sagte Rußlands oberster Diplomat. Niemand nimmt dazu Stellung, und niemand gibt es zu, aber die Fakten sind unmöglich zu widerlegen: Waffen werden von der Türkei und Irak nach Syrien geschmuggelt, so der russische Außenminister Sergej Lawrow. Bewaffnete Extremisten nutzen friedliche Demonstrationen, um Gewalt der syrischen Regierung zu provozieren.«

Agenten im Einsatz

Auch das israelische Militärinformationsportal DEBKAfile hat einiges dazu veröffentlicht, u.a. über geplante Lieferungen von Panzerabwehrwaffen. Bereits im August hieß es, syrische Sicherheitskräfte »stoßen nun auf heftigen Widerstand. Es erwarten sie Panzerfallen und befestigte Barrikaden, besetzt durch Protestierer mit schweren Maschinengewehren.« Am 14. August 2011 meldete DEBKAfile: »Das NATO-Hauptquartier in Brüssel und das türkische Oberkommando arbeiten inzwischen Pläne für ihre erste militärische Stufe in Syrien aus, die in der Ausrüstung der Rebellen mit Waffen für Kämpfe gegen Panzer und Hubschrauber besteht (…). Statt das libysche Modell von Luftangriffen zu wiederholen, denken die NATO-Strategen vielmehr daran, große Mengen von Panzer- und Luftabwehrraketen, Mörser und schwere Maschinengewehre in die Protestzentren bringen zu lassen, zum Zurückschlagen der gepanzerten Einheiten der Regierung.«

Der britische Daily Star schließlich meldete Anfang des Jahres, »Agenten des MI6 und der CIA sind schon in Syrien, um die Lage einzuschätzen. Spezialeinheiten sprechen auch mit regimekritischen syrischen Soldaten« – »Deserteuren« klingt dem Blatt wohl zu abwertend. Man wolle wissen, »was geschieht und ermitteln, welche Ausrüstung die regimekritischen Soldaten benötigen«. Auf einer Internetseite der »Elite UK Forces« heißt es: »Jüngere Berichte stellten fest, daß britische und französische Spezialeinheiten aktiv, von einem türkischen Stützpunkt aus, Angehörige der FSA ausbilden. Einige Berichte weisen darauf hin, daß das Training auch an Orten in Libyen und Nordlibanon stattfindet. Britische MI-6-Agenten und Angehörige der britischen Spezialkräfte (SAS/SBS) haben den Berichten zufolge die Rebellen im Städtekampf ausgebildet sowie sie mit Waffen und Ausrüstung versorgt. Es wird angenommen, daß CIA-Agenten und US-Spezialeinheiten den Rebellen Kommunikationsunterstützung bieten.«

Pepe Escobar von der Asia Times berichtet ähnliches. Diplomaten in Brüssel haben ihm bestätigt, daß NATO- und GCC-Militärs im südtürkischen Iskenderun eine Kommandozentrale eingerichtet haben. Offiziell soll diese dazu dienen, einen »humanitären Korridor« nach Syrien zu schaffen. Die französische satirische Wochenzeitung Le Canard Enchaine und die türkische Tageszeitung Milliyet berichten jedoch, daß Kommandos des französischen Geheimdienstes und des britischen MI 6 bereits Kämpfer der FSA in Hatay im Süden der Türkei und in Tripoli, im Nordlibanon, in Stadtguerillatechniken trainieren. Waffen – von Schrotflinten bis zu israelischen Maschinengewehren und Raketenwerfern – seien in Massen nach Syrien geschmuggelt worden. Es sei in Syrien kein Geheimnis, so Escobar, daß seit den Anfängen der Protestbewegung bewaffnete Banden von Salafisten bis zu simplen Kriminellen regelmäßig Soldaten, Polizisten und sogar Zivilisten angegriffen haben.

Erinnerung an Afghanistan

Laut den israelischen Quellen von DEBKAFile wird in Brüssel und Ankara auch über eine Kampagne nachgedacht, Tausende Freiwillige aus der moslemischen Welt anzuwerben, um neben den syrischen Rebellen zu kämpfen. Die türkische Armee würde diese Freiwilligen dann unterbringen, trainieren und ihre Passage nach Syrien sicherstellen. Pläne also, die sehr an die Anwerbung von Mudschaheddin durch die CIA für den Kampf gegen die Sowjettruppen in Afghanistan erinnern. Anfang Februar meldete ­DEBKAfile dann, die ersten ausländischen Truppen hätten in Syrien mit der unmittelbaren Unterstützung von Rebellenmilizen begonnen.

Laut DEBKAfiles exklusiven Militär- und Nachrichtenquellen operieren britische und katarische Spezialeinheiten in der syrischen Stadt Homs, nur 162 Kilometer von Damaskus, undercover zusammen mit Rebellengruppen. Die ausländischen Truppen greifen nicht direkt in die Kämpfe mit den syrischen Streitkräften ein, die verschiedene Teile von Syriens drittgrößter Stadt mit 1,2 Millionen Einwohnern bombardieren. Sie sind taktische Berater, kümmern sich um die Kommunikationskanäle der Rebellen und geben deren Forderung nach Waffen, Munition, Kämpfern und logistischer Hilfe an die ausländischen Unterstützer, hauptsächlich in der Türkei, weiter. DEBKAfiles: »Diese Website ist die erste, die von der Präsenz ausländischer militärischer Kräfte in irgendeinem der im syrischen Aufstand umkämpften Gebiete berichtet. Unsere Quellen melden, daß die zwei ausländischen Kontingente vier Operationszentren eingerichtet haben – im nördlichen Bezirk von Homs, Khalidiya, in Baba Amr im Osten, in Bab Derib und Rastan im Norden. In jedem dieser Bezirke wohnen über eine Viertelmillion Menschen.«

Die Informationen von DEBKAFile sind mit Blick auf die mutmaßliche Nähe zu israelischen Geheimdiensten immer mit Vorsicht zu genießen. Die Meldungen über Einsätze von NATO-Spezialeinheiten in Libyen, die das Portal im vergangenen Jahr ebenfalls sehr früh veröffentlichte, haben sich jedoch alle bestätigt.

* Langfassung dieses Beitrags sowie Quellenangaben im Internetblog des Autoren: jghd.twoday.net

Aus: junge Welt, 9. März 2012



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