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Attentat auf syrischen Premier

Autobombe tötete sechs Menschen, der Ministerpräsident blieb unverletzt

Von Roland Etzel *

Der syrische Regierungschef Halki hat ein Attentat in Damaskus unverletzt überlebt. Sechs andere Menschen hatten allerdings keine Chance, der Bombe zu entgehen. In Westeuropa und in den USA wird unterdessen weiter ein militärisches Eingreifen in den Konflikt diskutiert.

Der syrische Ministerpräsident Wael al-Halki ist am Montag nur knapp dem Tod entronnen. Die Bombe, die vor seinem Auto hochging, verletzte ihn nicht. Dafür tötete sie einen seiner Leibwächter sowie fünf völlig unbeteiligte Personen, denn die Täter hatten sich die morgendliche Hauptverkehrszeit auf der Straße unterhalb des Französischen Gartens in Damaskus für den Anschlag auf Halki ausgesucht und die kollaterale Tötung Unschuldiger offenbar billigend in Kauf genommen.

Als bei der jüngsten vergleichbaren Aktion im Juli der syrische Verteidigungsminister Daud Ra᠆dscha einer Bombe zum Opfer fiel, reklamierten gleich zwei Gruppen die Urheberschaft der Tat für sich: die islamistische Rebellengruppe Liwa al-Islam und die vor allem aus Deserteuren bestehende Freie Syrische Armee.

Wohl weil die jetzige Aktion alles andere als Sympathie in der Bevölkerung ausgelöst haben wird, hat sich bisher niemand zu der Tat bekannt. Zugeschrieben wird sie aber auch diesmal sunnitischen Extremistengruppen. Auch in den USA sieht man das so. Die Obama-Administration - die Entwicklung mancher ihrer Ziehkinder in Afghanistan, Irak oder Libyen vor Augen - zögert diesmal noch immer damit, politische Abenteurer wie jene Attentäter offen zu munitionieren, allein weil sie die Feinde ihrer Feinde sind. Der ultramilitaristische Senator John McCain fordert seit Monaten und immer lauter die Invasion Syriens durch die US-Armee.

McCains Demokratenkollegen sind da vorsichtiger. Zusammengefasst lautet ihre Position: Wie schaffen wir es, dass Assad verliert, aber Al Qaida nicht gewinnt? Und das alles, ohne einen weiteren teuren Krieg mit ungewissem Ausgang zu führen?

Allerdings wird der Druck auf Obama, ihn dennoch zu führen, auch von außen größer. Er selbst hatte voriges Jahr von »roten Linien« gesprochen. Würden diese von der syrischen Regierung überschritten, käme ein militärisches Eingreifen der USA in Frage; erst dann und auch nicht automatisch. Eine dieser definierten Grenzüberschreitungen sei der Einsatz von Giftgas, angeblich weil dann Israels Sicherheit bedroht sei. Dies, der Einsatz von Sarin, wird nun von israelischer Seite behauptet, allerdings wird die angeblich daraus resultierende Notwendigkeit zum Krieg gegen Syrien selbst in Israels Regierungslager kontrovers diskutiert.

Dabei ist die Tatsache, dass Syriens Präsident Baschar al-Assad den Einsatz von Giftgas befohlen haben soll, wenig wahrscheinlich. Das sehen vor allem Fachleute so. Der Mainzer Nahostexperte Günter Meyer, Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt, vermutete gestern gegenüber der Deutschen Presseagentur sogar, dass der Gaseinsatz auf die Opposition zurückgeht: »Der Regierung kann der Chemiewaffen-Einsatz nur schaden, weil sie damit ihren Gegnern den Grund für Waffenlieferungen an die Aufständischen und die Einrichtung einer Flugverbotszone liefert«, so Meyer. »Die Regierungstruppen haben eine solch übermächtige Feuerkraft mit konventionellen Waffen und ihrer Lufthoheit, dass sie auf chemische Waffen nicht angewiesen sind.« Der Einsatz von chemischen Waffen sei außerdem schwer zu kontrollieren.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 30. April 2013


Arbeitsteilung

Berlin trägt Kriegspolitik mit

Von Werner Pirker **


Guido Westerwelle mahnt angesichts der Debatten um eine Militärintervention in Syrien zur Besonnenheit. Ziel sei nach wie vor eine politische Lösung und ein demokratischer Neuanfang, äußerte er sich gegenüber Bild. Das hört sich noch einigermaßen vernünftig an. Wenn er allerdings ein Ende der Gewalt von Baschar Al-Assad »gegen sein eigenes Volk« fordert, ohne auf die von den Assad-Gegnern angewandte terroristische Gewalt auch nur einzugehen, wird klar, welche »politische Lösung« Berlin vorschwebt: die Kapitulation der Regierungsseite und damit ein letztlich gewaltsam erzwungener Regimewechsel.

Der Bundesaußenminister vertritt nahezu deckungsgleich die Position der bewaffneten syrischen Opposition, die im Einklang mit ihren ausländischen Unterstützern nur unter der Bedingung eines Rücktritts von Präsident Assad in Verhandlungen mit der Regierung in Damaskus eintreten will. Dabei müßte es eigentlich klar sein, daß die Eliminierung des Präsidentenlagers, das einen beträchtlichen Teil, wenn nicht die Mehrheit der syrischen Bevölkerung hinter sich weiß, nicht der Ausgangspunkt von Verhandlungen und noch weniger der Beginn eines demokratischen Neuanfangs sein kann.

Auch wenn Berlin an einer direkten Militärintervention, für die Paris und London wild entschlossen die Trommel rühren, keinen Gefallen zu finden scheint, ist es längst an der Aggression gegen Syrien beteiligt. Die Bundesrepublik hat an der türkisch-syrischen Grenze sein »Patriot«-Raketenabwehrsystem installiert, leistet Spionagedienste für die Antiregierungskräfte und übernimmt zunehmend Aufgaben im nichtmilitärischen Bereich, die im Fall des ausländischen Eingreifens eine Entlastung der in direkte Militärhandlungen involvierten Länder bewirken soll. Die gleiche Arbeitsteilung ergibt sich auch hinsichtlich der Finanzierung des Regimewechsels. Deutschland, das nach Angaben des Auswärtigen Amtes zu den »größten Gebern« zählt, überläßt es anderen, die für den Aufstand benötigten Waffen zu bezahlen und widmet sich eher der Finanzierung von humanitären Projekten, womit das Ziel verfolgt wird, die Bevölkerung für die mit den Geberländern verbundenen Aufständischen zu gewinnen.

Gerüchte, wonach die Regierungstruppen chemische Waffen zum Einsatz gebracht haben sollen, haben die Gefahr eines zwischenstaatlichen Krieges, in dem sich Syrien einer Allianz aus NATO-Staaten und Golfmon­archien gegenübersähe, extrem erhöht. Washington hat den Einsatz von Chemiewaffen durch das »Assad-Regime« zur roten Linie erklärt. Doch auch wenn sich der extrem-islamistische Flügel des Rebellenlagers in den Besitz von C-Waffen brächte, könnte dies von der NATO als Kriegsvorwand genutzt werden. Nachdem die Islamisten ihre Schuldigkeit als Brechstange des fremdgesteuerten Aufstandes gegen das Baath-Regime getan haben, hätten sie wieder ihre Aufgabe als »feindliche Kämpfer« im »Antiterrorkrieg« zu erfüllen.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 30. April 2013 (Kommentar)


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