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Syrienkrise: Assad von UNO unbehelligt

Resolution im Sicherheitsrat gescheitert / Massenproteste und Militäraktionen / Damaskus im Visier der Atombehörde

Von Karin Leukefeld, Beirut *

Während eine von Frankreich, Großbritannien, Portugal und Deutschland eingebrachte Resolution gegen Syrien im UNO-Sicherheitsrat vorerst gescheitert ist, demonstriert die Regierung von Präsident Baschar al-Assad Stärke gegen neue Proteste.

Zehntausende Syrer gingen in Aleppo, Daara, Homs und anderen Städten nach dem Freitagsgebet zu Protesten gegen die Regierung auf die Straße. Bei Zusammenstößen mit Sicherheitskräften gab es nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten mehr als 20 Tote. Medien berichteten derweil vom Vorrücken syrischer Truppen auf Dschisr al-Schogur. Dort waren Anfang der Woche 120 Sicherheitskräfte getötet worden. Hunderte Einwohner der Stadt haben sich über die nahe Grenze in die Türkei zurückgezogen. Das türkische Militär hat die Zeltlager, wo diese Menschen untergebracht sind, für Journalisten gesperrt.

Der zunächst im UNO-Sicherheitsrat gescheiterte Resolutionsentwurf der vier EU-Staaten sah eine Verurteilung Syriens wegen anhaltender Menschenrechtsverletzungen vor und forderte den Zugang für humanitäre Hilfe in syrische Städte. Alexander Lukaschewitsch, Sprecher des russischen Außenministeriums, erklärte allerdings, Russland werde »jede UN-Resolution gegen Syrien« zurückweisen, da die Situation dort nicht den Weltfrieden bedrohe und »keine Bedrohung der globalen Sicherheit« darstelle. Die Probleme in Syrien müssten »von den Syrern selber in Ordnung gebracht« werden, »ohne Einmischung von außen«. Jede Sicherheitsratsresolution, die Syrien kritisiere, »bedeutet indirekte Unterstützung der Verbrechen, die von bewaffneten Gruppen« in Syrien unternommen würden, fügte Lukaschewitsch hinzu. Das sei nicht die Aufgabe des Sicherheitsrates, denn es verschärfe die Spannungen in Syrien und in der Region. Die internationale Gemeinschaft solle der syrischen Regierung Zeit geben, um die von ihr begonnenen Reformen konkret umzusetzen. Die Ablehnung Russlands wird von Beobachtern auf die Erfahrungen in Libyen zurückgeführt, wo die NATO ihren durch die Sicherheitsratsresolution 1973 ausgelösten Kriegseinsatz ausgeweitet und gerade erst verlängert hat.

Auch in der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA gibt es Bestrebungen, Syrien wegen eines angeblich geheimen Atomprogramms vor das höchste UN-Gremium zu bringen. Allerdings könnte neben Russland auch China eine entsprechende Resolution ablehnen, die vor dem Gouverneursrat der höchsten Atombehörde eingebracht werden soll. Hong Lei, Sprecher des chinesischen Außenministeriums, bezeichnete gegenüber Journalisten Syrien als »wichtiges Land im Mittleren Osten« und forderte einen »konstruktiven« Umgang. Man solle »den beteiligten Parteien in Syrien durch politischen Dialog helfen, eine Lösung zu finden«, so Hong Lei.

Das syrische Außenministerium hat derweil den französischen Außenminister Alain Juppé scharf für seine Äußerung kritisiert, Syriens Präsident Assad habe die Legitimation verloren, sein Land zu führen. Eine solche Stellungnahme sei völlig unakzeptabel, hieß es. Juppés Äußerung erinnere an »alte Kolonialzeiten und das Verhalten der Hohen Kommissare« damals. »Diese Zeit ist aber vorbei und wird nicht wiederkommen«, hieß es in Damaskus. Syrien werde »keine ausländische Einmischung zulassen« und sein Reformprogramm umsetzen, wie es der Wille des syrischen Volkes sei.

Trotz oder möglicherweise auch wegen der innenpolitischen Anspannung hat Syriens Präsident sich am Donnerstag (9. Juni) für eine rasche Regierungsbildung im Nachbarland Libanon ausgesprochen. Beim Treffen mit Drusenführer Walid Dschumblatt sagte Assad, sowohl für Libanon wie für Syrien sei das von großer Bedeutung.

* Aus: Neues Deutschland, 11. Juni 2011


Meldung beim Sicherheitsrat

Die USA und ihre Verbündeten setzen Resolution gegen Syrien in der Atombehörde durch

Von Knut Mellenthin **


Der UN-Sicherheitsrat soll sich mit angeblichen Verstößen Syriens gegen den Atomwaffensperrvertrag (NPT) beschäftigen. Das beschloß der Vorstand der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) am Donnerstag nach heftiger Debatte. Rußland und China lehnten die von den USA und ihren Verbündeten eingebrachte Resolution ab.

Von den 35 Staaten, die nach einem Rotationsverfahren im Board of Governors der Behörde vertreten sind, stimmten 17 dem westlichen Antrag zu. Es gab sechs Nein-Stimmen und elf Enthaltungen. Ein Boardmitglied nahm nicht an der Abstimmung teil.

In der Resolution wird Syrien vorgeworfen, es unterlassen zu haben, den Bau eines Kernreaktors bei Dair Alzour an die IAEA zu melden. Israelische Kampfflugzeuge hatten das noch nicht fertiggestellte Gebäude im September 2007 zerstört und damit eine Untersuchung erheblich erschwert. Die Regierung in Damaskus bestreitet, daß es sich um einen Reaktor handelte, doch geht die IAEA inzwischen davon aus, daß die Hypothese mit hoher Wahrscheinlichkeit zutrifft. Die jetzt verabschiedete Meldung an den Sicherheitsrat beanstandet darüber hinaus, daß Syrien nicht seinen vertraglichen Verpflichtungen nachgekommen sei, nach dem israelischen Angriff mit der IAEA bei der Aufklärung der tatsächlichen Funktion der Anlage zu kooperieren. Syrien hatte der Behörde lediglich einen einzigen Besuch in Dair Alzour gestattet und danach weitere Inspektionen abgelehnt. In jüngster Zeit hat Damaskus allerdings seine Bereitschaft zur Ausweitung der Zusammenarbeit erklärt.

Das war eines der Argumente für Rußland und China, die Einschaltung des UN-Sicherheitsrates abzulehnen. Die Resolution sei »nicht objektiv« und komme »zum falschen Zeitpunkt«, sagte der russische Vertreter Grigori Berdennikow. Es bestehe auch kein unmittelbarer Handlungsbedarf, da die Anlage ohnehin zerstört sei. Der chinesische Vertreter Wang Minzheng rief dazu auf, die offenen Fragen im Rahmen der IAEA durch Konsultation und Kooperation zu lösen. Derzeit sehe China keine Notwendigkeit für eine Resolution und erst recht nicht für eine Überweisung des Falls an den Sicherheitsrat.

Eine Kampfabstimmung wäre im Board of Governors noch vor wenigen Jahren völlig ausgeschlossen gewesen. Das Gremium arbeitete jahrzehntelang nach dem Konsensprinzip, indem um Kompromisse gerungen wurde, die einstimmig getragen werden konnten. Abweichungen gab es seit einigen Jahren bei den Resolutionen gegen das iranische Atomprogramm, doch wurde noch niemals eine Entschließung gegen die Stimmen Rußlands und Chinas durchgepeitscht. Dieses Präzendens paßt aber in die Gesamttendenz, daß die USA und ihre Verbündeten bei Abstimmungen in internationalen Gremien immer weniger Rücksicht auf russische und chinesische Einwände und Interessen nehmen.

Wider Erwarten legte die westliche Allianz auf der fünftägigen Tagung des Board of Governors keine neue Resolution gegen Iran vor, doch wird eine solche während der nächsten Sitzung im September erwartet. Während der Tagung kündigte die iranische Atomenergiebehörde an, die Anreicherung von Uran auf knapp 20 Prozent aus der Anlage Natanz in eine neue in Fordow zu verlagern und die Kapazität zu verdreifachen. Der Brennstoff wird für den Betrieb eines Reaktors in Teheran benötigt, in dem Isotope zur Behandlung von Krebspatienten produziert werden. Die IAEA hatte sich vertragswidrig geweigert, dem Iran beim Kauf des Materials auf dem Weltmarkt zu helfen.

** Aus: junge Welt, 11. Juni 2011


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