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Assads neue Widerstandsfront

Syriens Präsident richtet den Blick nach Israel / Verhaftungen in der Türkei

Von Roland Etzel *

Liefert Russland Kampflugzeuge nach Syrien? Plante ein Teil der Anti-Assad-Guerilla Giftgasanschläge in der Türkei? Droht auch an der israelisch-syrischen Front Krieg? Die Nachrichten zum Syrien-Konflikt überschlugen sich gestern. Jede von ihnen machte eine Friedenskonferenz notwendiger, aber keine wahrscheinlicher.

Die militärischen Erfolge seiner Armee lassen Syriens Präsidenten Baschar al-Assad selbstbewusst auftreten wie wohl noch nie seit Beginn des Bürgerkrieges vor zwei Jahren. Gegenüber dem libanesischen Fernsehsender »Al-Manar« erklärte Assad, dass Russland ihm zehn Kampfflugzeuge des Typs MiG-29 MM2 liefern werde. Sergej Korotkow, Chef der russischen Flugzeugbaukorporation MiG, habe dies, so die Moskauer Agentur RIA-Novosti, am Freitag bestätigt.

Assad hatte aber noch mehr mitzuteilen. Wohl zum ersten Mal überhaupt in seiner Amtszeit bringt er die seit 1967 besetzten syrischen Golanhöhen ins Spiel und damit von sich aus eine direkte Konfrontation mit Israel. »Es gibt eindeutig öffentlichen Druck, eine neue Widerstandsfront auf dem Golan zu eröffnen«, sagte Assad am Donnerstag gegenüber »Al-Manar«. Als Grund dafür nannte er »mehrere Faktoren«, darunter »wiederholte israelische Aggressionen«. Israel hatte mehrfach syrische Ziele bombardiert, angeblich um Waffenlieferungen an die Hisbollah zu verhindern. Die libanesische Schiitenpartei unterstützt Assad seit kurzem auch direkt mit Tausenden ihrer Kämpfer, die aus ihrem Krieg mit Israel sehr viel mehr Erfahrungen in Guerillataktik mitbringen als die syrischen Soldaten. Das Pikante daran ist, dass zuletzt die gegen Assad kämpfenden islamisch-fundamentalistischen Kampfgruppen erklärten, sie würden, nach einem Sieg über Assad »die zionistische Besetzung« des Golan nicht so hinnehmen wie dieser.

Israel kommentierte die Äußerungen Assads nicht, so wie es auch zu den Ankündigungen von dessen Gegnern geschwiegen hatte. Jerusalem fuhr bislang eine Doppelstrategie: einerseits keine militärische Eskalation mit Syrien, andererseits Angriffe dort, wo es angeblich der Hisbollah schadet.

Die Bundesregierung appellierte am Freitag an Russland, seinen »Beitrag zu einer friedlichen politischen Lösung« zu leisten und nicht weiter dazu beizutragen, »dass die Lage in Syrien eskaliert«, wie Regierungssprecher Steffen Seibert laut AFP betonte.

Mitglieder der zum Terrornetzwerk Al Qaida gehörenden Al-Nusra-Front in Syrien sollen Giftgas-Anschläge gegen USA-Truppen im Süden der Türkei geplant haben. Eines der Ziele sei das US-Patriot-Kontingent in der Stadt Gaziantep gewesen, meldete die türkische Zeitung »Vatan« am Freitag. Die Behörden in Adana hatten am Donnerstag die Festnahme mehrerer Verdächtiger bestätigt, bei denen »chemische Stoffe« gefunden wurden.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 1. Juni 2013


Machtpolitik mit MiG

Von Roland Etzel **

MiG-29-Kampfflugzeuge für Damaskus? Moskau bestätigt. Der Westen schäumt. Die Kritik an der Lieferung hochmoderner Raketen für Syrien hatte Russlands Außenminister Lawrow vor zwei Wochen noch mit dem Argument gekontert, diese seien für den Ausgang des Bürgerkrieges unerheblich. Sie dienten ausschließlich zur Abwehr äußerer Feinde Syriens. Machtpolitik wird nicht zugegeben.

Beide Seiten reden bewusst aneinander vorbei. Denn das war es ja gerade, was Frankreich, aber auch Israel so erzürnte: Die Raketen sind eine empfindliche Störung der längst nicht aufgegebenen Pläne für eine NATO-Flugverbotszone über Syrien und eine Seeblockade. Und Israel fürchtet, nun vielleicht nicht mehr nach Belieben und ohne Gegenwehr strategische Ziele im Nachbarland zerstören zu können.

Bei den MiGs geht das Lawrow-Argument fehl. Die Jets sind in der Lage, das militärische Kräfteverhältnis in Syrien sehr wohl und weiter zugunsten Assads zu verändern. Darum geht es Russland ja letztlich. Nur ein Sieg der Assad-Seite lässt Moskau seine strategische Präsenz in Syrien, seine letzte im Nahen Osten. Ein Anrecht darauf gibt es nicht. Es ist das alleinige Recht der Syrer, darüber zu entscheiden. Nur welche Syrer – das versuchen Moskau wie der Westen nach Kräften zu beeinflussen. Ist das legitim? Es ist die Realität. Aber beide sollten wenigstens das heuchlerische Wehklagen einstellen, die Waffenlieferungen der anderen verhinderten das Ende des Blutvergießens in Syrien.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 1. Juni 2013 (Kommentar)


Jaulende Kriegstreiber

Rußland liefert Kampfjets an Syrien

Von Werner Pirker ***


Die Ankündigung aus Moskau, Kampfjets nach Syrien zu entsenden, hat die Kriegstreiber in die bereits gewohnte Rage versetzt. Die betrachten es für selbstverständlich, gegen die Regierung in Damaskus kämpfende Rebellenverbände massiv aufzurüsten und damit den Krieg in der Levante am Leben zu erhalten, was bereits Zehntausenden Menschen das Leben gekostet hat. In der Lieferung von russischen Militärgütern zur Erhöhung der Verteidigungsfähigkeit des angegriffenen Staates aber sehen sie eine Bedrohung des Weltfriedens. Den Gipfel an Unverschämtheit leistete sich – wer denn auch sonst? – die israelische Regierung, die Syrien mit Raketen beschießen läßt, die geplante Lieferung eines russischen Raketenabwehrsystems aber als nicht hinnehmbare Aggressionshandlung wertet.

Unter den Empörten sind auch die EU-Staaten, deren Außenminister gerade erst beschlossen haben, das ausgelaufene Waffenembargo gegenüber Syrien nicht zu verlängern, was Frankreich und Großbritannien dazu nutzen wollen, die islamistischen Mordgesellen mit noch mehr und noch besseren Waffen zu versorgen.

Die Lieferung von Kampfflugzeugen vom Typ MiG-29MM2, einer modernisierten Variante der MiG-29 erfolgt in Erfüllung eines Vertrages. Business as usual somit, gegen das nichts spricht, außer daß die westlich-wahhabitische Werte- und Aggressionsgemeinschaft eine Modernisierung der syrischen Luftwaffe nicht zulassen will. Zu Recht argumentiert Moskau, daß es normale Beziehungen zu einer legitimen Staatsmacht unterhalte, ganz im Gegensatz zum Nahverhältnis, das die westlichen Hegemonialmächte mit Terrorbanden eingegangen seien. Das Gros der von der Türkei und den arabischen Golfdiktaturen unter CIA-Anleitung zur Diktaturbekämpfung Rekrutierten, wären aus US-Sicht »illegale Kämpfer« und somit Guantánamo-Kandidaten, würde im Krieg gegen den »Diktator Assad« nicht eine ganz andere Logik gelten.

Die Nichtverlängerung des EU-Waffenembargos ist von den Rebellen begeistert aufgenommen worden. Sie erhoffen sich damit eine Erhöhung ihrer militärischen Schlagkraft, worauf sie auch gleich ihr Desinteresse an einer Verhandlungslösung offen bekundeten. Dieses Desinteresse teilen sie mit Frankreich und Großbritannien, die eine Entscheidung auf dem Schlachtfeld forcieren, um mit einer militarisierten Außenpolitik ein Gegengewicht zu Deutschlands ökonomischer Vormachtstellung zu schaffen. Doch scheint diese Arbeitsteilung Berlin ohnedies ins Konzept zu passen. Vor allem in Wahlkampfzeiten zeigt man wenig Neigung, sich in kriegerische Abenteuer einzulassen, die von der Mehrheit der Bevölkerung nach zwei verlorenen Weltkriegen abgelehnt werden. Statt als Waffenlieferant tritt die Bundesrepublik lieber als Lehrmeister für neoliberales Wirtschaften »am Tag danach« auf. Daß diese Rechnung aufgeht, ist angesichts der jüngsten Terraingewinne auf Regierungsseite und den inferioren Darbietungen der Opposition keineswegs eine ausgemachte Sache.

*** Aus: junge Welt, Samstag, 1. Juni 2013 (Kommentar)


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