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Syrien: Ausblick ins Ungewisse

Früherer Vizepräsident fordert Bewegung zum Sturz von Präsident Assad

Von Markus Bickel, Damaskus

Der syrische Präsident Baschar el Assad hat die Vorwürfe seines früheren Stellvertreters Abdul Halim Chaddam im Mordfall Hariri zurückgewiesen. Chaddam selbst arbeitet vom Exil aus an einer Bewegung zum Sturz des Präsidenten.

»Niemand war bei meinem letzten Treffen mit Hariri dabei, wie kommt man also zu derartigen Anschuldigungen?« Mit dieser Aussage in einem Interview der am Sonntag erschienenen Ausgabe der ägyptischen Wochenzeitung »El Asbua« versucht Syriens Präsident Baschar al-Assad die Vorwürfe zu entkräften, die sein früherer Vertrauter Abdul Halim Chaddad gegen ihn erhoben hat. Er habe den libanesischen Exministerpräsidenten Rafik Hariri niemals wie von Chaddam behauptet bedroht, betonte Assad.

In der syrischen Bevölkerung hat Assad durchaus Rückhalt.. Hoch unter dem Kuppeldach des Al- Hamidiye-Souks sind etliche Parolen angebracht. »Das syrische Volk steht zu seinem Präsidenten«, heißt es auf einem der Transparente, die im langen Durchgang zu den Säulen des antiken Jupitertempels und der im 8. Jahrhundert erbauten Omayyadenmoschee hängen.

Es ist ein seltsamer Kontrast zum orientalischen Treiben der Händler, die vor ihren eng aneinander gedrängten Läden bunte Kleider, Parfüm und Schmuck anbieten. Aber jedermann soll es lesen können: In Arabisch, Französisch und Englisch werden die »Angriffe der USA und Israels« auf Baschar Assad verurteilt.

»Die Anschuldigungen gegen Assad sind total verlogen«, sagt auch Ramiz, ein Verkäufer Anfang 20. Vor gut einer Woche hatte der langjährige Vizepräsident Abdel-Halim Chaddam dem seit bald sechs Jahren regierenden Präsidenten vorgeworfen, in die Ermordung des ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri verwickelt gewesen zu sein. Assad und seine engsten Berater, behauptete der im vergangenen Sommer zurückgetretene 73-jährige Chaddam in einem Interview mit dem Fernsehsender »Al Arabija« aus seinem Pariser Exil, hätten darüber hinaus alle Reformbemühungen im Keim erstickt. Für Ramiz ist das nichts als Heuchelei: »Über Jahrzehnte saß er im Zentrum der Macht, und jetzt stellt er sich als Reformer dar – während er in Paris Champagner trinkt und sein Geld zählt.«

Die seit dem Mord an Hariri im Februar 2005 unter erheblichem internationalen Druck stehende syrische Regierung reagierte schon am Tag nach dem Interview mit einer Anzeige wegen Hochverrats gegen Chaddam. Am Donnerstag berichtete die staatliche Tageszeitung »Al-Thawra«, dass sein Haus konfisziert und sein in Syrien vorhandener Besitz beschlagnahmt worden seien. Über eine Milliarde US-Dollar soll das Vermögen des über Jahrzehnte für die syrische Kontrolle Libanons Zuständigen betragen. Restaurants, eine Mobilfunkkette, eine Ölfirma sowie zahlreiche Paläste, Luxuswagen und Jachten zählen Zeitungsberichten zufolge zu seinem Besitz. Dissidenten sehen anders aus.

Und doch weisen Medienberichte darauf hin, dass um Chaddam herum eine Opposition im Entstehen begriffen ist, die das bröckelnde Regime Assads ablösen könnte. Dass er trotz seines Rücktritts politische Ambitionen hegt, gab er am Freitag gegenüber der Tageszeitung »Asharq al- Awsat« offen zu. »Ich möchte das Land retten«, sagte er dem in London ansässigen Blatt und forderte die syrischen Oppositionsparteien dazu auf, »die richtige Atmosphäre zu schaffen, damit das syrische Volk das Regime stürzen kann«. Angeblich soll er am Mittwoch in Paris mit Ägyptens Präsident Hosni Mubarak zusammengetroffen sein, der neben Saudi-Arabiens König Abdullah zum wichtigsten Vermittler zwischen Assad und den UNO-Vetomächten Frankreich und USA geworden ist.

Inwieweit Zugeständnisse der syrischen Regierung die schon im Oktober vom UNO-Sicherheitsrat angedrohten Sanktionen noch verhindern können, ist höchst ungewiss. Nach den Äußerungen Chaddams forderte die Sonderkommission zur Ermittlung der Verantwortlichen für das Hariri- Attentat die Behörden in Damaskus auf, bis Dienstag Woche ihr Einverständnis zum Verhör Präsident Assads und Außenminister Farouk Sharaas zu geben. Sharaa ist dazu offenbar bereit, Assad hingegen nicht.

In dieser Woche wird der neue Chef der Kommission zur Untersuchung des Hariri-Mordes, der Belgier Serge Brammertz, in Beirut erwartet. Wird er sich auf Hinhaltemanöver einlassen? Was aus Assad und seiner Gefolgschaft wird, weiß in Syrien zur Zeit niemand, auch Ramiz bleibt es ein Rätsel, wie stark der Rückhalt für den Jungpräsidenten innerhalb der herrschenden Schicht noch ist. Blauäugig-optimistisch ist er dennoch. »Für das Land kann es nur gut sein, wenn sich die Führung untereinander streitet. Das heißt, es ändert sich was.«

Aus: Neues Deutschland, 9. Januar 2006


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