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Pufferzone als Brücke zum Krieg

Teile der syrischen Opposition drängen Türkei zum Eingreifen

Von Roland Etzel *

Am Dienstag (10. April), sechs Uhr, sollte im syrischen Bürgerkrieg die Umsetzung der vereinbarten Waffenruhe beginnen. Davon ist in den Nachrichten aus Syrien wenig die Rede. Die Verantwortung für die andauernden Kämpfe schieben sich die Konfliktparteien gegenseitig zu. Aber wenigstens gehen auf internationalem Parkett die diplomatischen Aktivitäten zur Befriedung weiter.

In Syrien haben die Kampfhandlungen auch gestern nicht aufgehört. Die Armee habe die Großstädte Hama und Homs mit Artillerie beschossen. Dies erklärte von London aus Rami Abdel Rahman, der Leiter der dortigen Beobachtungsstelle für die Menschenrechte in Syrien. Für die behaupteten Zerstörungen ganzer Dörfer gibt es allerdings keinen Beleg. Die Regierung wiederum sagt, sie reagiere auf Angriffe auf staatliche Einrichtungen.

Offenkundig passte eine sofortige Waffenruhe keiner Seite. Allem Anschein nach versuchen die Regierungstruppen, bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist am Donnerstagmorgen noch Tatsachen zu schaffen, damit ihre Gegner nicht Stellungen beziehen, die die Armee gerade geräumt hat. Wie das ohne neutrale Beobachter funktionieren kann, ist allerdings nicht ersichtlich. Russlands Außenminister Sergej Lawrow, der gestern in Moskau seinen syrischen Amtskollegen Walid al-Muallim empfing, erklärte danach, er habe Informationen, dass Syrien mit der Umsetzung der UNO-Auflagen begonnen habe.

Die syrischen Rebellen bestreiten das vehement. Sie bezichtigen die Armee der Fortsetzung des »Vernichtungsfeldzugs gegen das syrische Volk«. Doch einen Waffenstillstand ihrerseits lehnen sie ab. Ein desertierter syrischer Offizier rief am Montag über ein Youtube-Video die Türkei erneut auf, »endlich in Syrien einzugreifen«. Die Exilopposition hofft, dass Ankara endlich seine Drohung wahr macht, im Grenzgebiet zu Syrien eine so genannte Pufferzone einzurichten.

Nach dpa-Informationen gibt es für die Deserteure, die sich Freie Syrische Armee nennen, bereits Rückzugsgebiete auf türkischer Seite im bergigen Grenzgebiet. Von dort aus sollen sie die Grenze überschreiten, um Angriffe auf die Assad-Armee zu führen und sich anschließend wieder in die Türkei zurückzuziehen. Die Schwelle zu einem syrisch-türkischen Waffengang würde damit noch niedriger. Der außenpolitische Sprecher der LINKEN im Bundestag, Jan van Aken, warnt deshalb die Türkei vor der Einrichtung einer »militärischen Pufferzone auf syrischem Gebiet«. Noch gebe es eine Chance für den Friedensplan von Kofi Annan. Die militärischen Drohgebärden der Türkei könnten diese Chance endgültig zunichtemachen.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 11. April 2012

Syrische Behörden kündigen Waffenruhe an: ab 06.00 Uhr morgens am Donnerstag

Die syrische Armee wird das Feuer am Donnerstag, 12. April, 06.00 Uhr Ortszeit, einstellen.

Das teilte Russlands Vizeaußenminister Gennadi Gatilow am Mittwoch im Kurznachrichtendienst Twitter unter Berufung auf eine Mitteilung der Regierung in Damaskus mit. "Jetzt ist die bewaffnete Opposition am Zuge - das sind Bedingungen des Plans (des Sondergesandten Kofi) Annan", schrieb der russische Minister.

Zuvor hatte Ex-UN-Generalsekretär Annan vorgeschlagen, dass die Konfliktseiten in Syrien am 10. April mit der Umsetzung seines Planes zur friedlichen Beilegung der Krise im Land beginnen sollen. Am vergangenen Dienstag versicherte Damaskus Moskau, dass der Plan bereits realisiert werde. Die Opposition in Syrien erklärte, dass sie das Feuer einstellen werde, wenn die Regierungstruppen die besetzten Großstädte bis Donnerstag werden verlassen haben.



* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 11. April 2012; http://de.rian.ru



Lage in Syrien unklar

Regierung meldet Rückzug. Aufständische lehnen Garantien für Gewaltverzicht ab **

Die Meldungen über die Lage in Syrien nach Inkrafttreten der ersten Phase einer Waffenruhe am Dienstag waren widersprüchlich. Laut der von den Vereinten Nationen ausgehandelten Vereinbarung war ab Dienstag der Einsatz schwerer Waffen untersagt, ab Donnerstag soll ein vollständiger Waffenstillstand herrschen. Während die syrische Führung erklärte, daß sie militärische Einheiten aus einigen Provinzen zurückgezogen habe, verbreiteten die Nachrichtenagenturen Berichte von Aufständischen, wonach weiterhin Ortschaften von der Armee beschossen würden. Der oppositionelle Syrische Nationalrat mit Sitz in Paris nannte unterdessen die von Damaskus geforderten schriftlichen Garantien für einen Gewaltverzicht seitens der Aufständischen »unannehmbar« und »unausführbar«, wie der Ratssprecher Bassma Kodmani in Genf sagte.

Der syrische Außenminister Walid Muallem warf den Rebellen bei einem Besuch in Moskau vor, ihre Angriffe zu verschärfen. Er sprach sich dafür aus, daß die Waffenruhe mit der Ankunft internationaler Beobachter beginnen solle. Außerdem beschuldigte Muallem die Türkei, den Plan des UN-Sonderbeauftragten und ehemaligen -Generalsekretärs Kofi An­nan hintertreiben zu wollen. Das Land beherberge auf seinem Territorium »bewaffnete Gruppen« und erlaube diesen, die Grenze zu Syrien »illegal zu überqueren«.

Am Montag (9. April) waren bei Gefechten an der Grenze mehrere Menschen getötet worden. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sprach am Dienstag am Rande eines Besuchs in Peking von einer »klaren Grenzverletzung« durch Syrien.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow appellierte an die Staaten der internationalen Gemeinschaft, ihren Einfluß bei der syrischen Opposition geltend zu machen und auf einen Waffenstillstand zu dringen. Der chinesische Außenamtssprecher Liu Weimin äußerte die Hoffnung, daß die Konfliktparteien »ihr Versprechen in bezug auf eine Waffenruhe und den Truppenabzug einlösen« würden.

Kofi Annan, der Beauftragte der UNO und der Arabischen Liga, wollte nach Angaben seines Sprechers noch im Laufe des Tages den UN-Sicherheitsrat in einem Schreiben über die Lage in Syrien unterrichten. Zuvor traf er zu einem Besuch in der Türkei ein, um sich ein Bild von der Situation in den dortigen Flüchtlingslagern zu machen.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 11. April 2012


Jetzt ist der Westen am Zug: Moskau überredet Syriens Regime zum Truppenabzug ***




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